Thilo Schneider / 02.07.2018 / 14:30 / Foto: Timo Raab / 7 / Seite ausdrucken

Erziehen mit Angie

Nachdem Angela Merkel ja auch uns allen ein Vorbild ist, haben wir unsere Erziehung umgestellt. Keine Drohungen gegenüber den Teenagern mehr, wie: „bis heute Abend um 19.00 Uhr ist Dein Zimmer aufgeräumt, ansonsten sperre ich Dein verdammtes Handy“, sondern, integrativ: „Das Säubern Deines Zimmers würde von Deinen Verziehungsverpflichteten als hilfreich begrüßt.“ Wir beschweren uns auch nicht mehr über Frechheiten und Respektlosigkeiten, sondern „verurteilen jede Form prä-aggressiver Ansprachen gegenüber den Schon-länger-hier-Wohnenden“. Wenn es hart auf hart kommt, tun wir das sogar „aufs Schärfste“ und reagieren auf zehn Wochen alte Pizza-Reste und schimmlige halbvolle Colaflaschen „mit Abscheu und Empörung“. 

Gegen zugeworfene Türen und temperamentvolle Ausbrüche bis hin zu „auf-den-Tisch-hauen“ und dem Ignorieren von Verboten „verwahren wir uns in aller Deutlichkeit“. Und sollte sich der Nachbar mal wieder wegen zu lauter Musik beschweren, dann schlagen wir „ergebnisoffene Gespräche am Grünen Tisch“ vor. Schmeißt sich der Jüngste vor der Kasse mal wieder zornig auf den Boden, weil er kein Überraschungsei kriegt, dann treten wir, sehr zur Unfreude der hinter uns Wartenden, in einen „konstruktiven Dialog“, der „beiden Seiten gerecht wird“ – und kaufen das verdammte Ei. 

Wir sagen auch unseren Bekannten nicht mehr, dass wir ihre Blagen für verwöhnte, verzogene Gören ohne jegliche Erziehung halten, sondern loben das „verhaltensoriginelle und unkonventionelle Auftreten“ der halslosen Monster, wenn sie ungefragt an die Schränke gehen und diese nach Schokolade durchsuchen. Das ist für uns einfach eine „bunte, familienkulturelle Abwechslung“, von der wir „sehr profitieren“, weil wir ja nicht fett werden. Kritik äußern wir, wenn überhaupt, nur noch von einer unverbindlichen Metaebene, und den kleinen Ringkampf, bei dem das Nachbarskind unserem Jüngsten mit Schmackes ins Gesicht trat, bezeichnete meine Lebensgefährtin vorbildlich als „Missverständnis und Unstimmigkeit“, das „weiterer Aufklärung bedürfe“. Unsere Nachbarin, auf den „Vorfall mit jungen Menschen“ angesprochen, teilte uns mit, dass sie sich „jeder Form von Gewalt unter Kindern konsequent entgegenstelle“. Außerdem wäre die Nase ja nur kaputt, weil unser Kleinster „die falsche Deeskalationsstrategie“ gewählt hätte. Was die gebrochene Nase des Jüngsten aber auch nicht schneller heilen ließ.

Die „Flexibilität des Zeitplans“

Meinen Mitarbeitern und Angestellten werfe ich keine Unpünktlichkeit mehr vor, sondern stelle die „Flexibilität des Zeitplans“ fest, mit „atmenden Unter- und Obergrenzen“, was Arbeitsbeginn und -ende betreffen. Seitdem gibt es auch keine Fehler oder Reklamationen mehr, sondern lediglich „unkonventionelle Lösungswege“, die „mehrere Handlungsoptionen offen lassen“. 

Ich gebe zu, es lebt sich mit diesen konsequenzlosen Allgemeinermahnungen leichter. Der Antagonist kann sich zwar angesprochen fühlen, muss aber nicht. Und daher ist er mir als Mahnendem auch nicht böse und bleibt freundlich.

Einen kleinen Nachteil gibt es allerdings: Die Zimmer bleiben unaufgeräumt, die Reklamationen unerledigt und die Pünktlichkeit meiner Mitarbeiter lässt schwer zu wünschen übrig. Im Gegenteil wird der Problem- und Dreckberg dadurch größer. Aber ich fühle mich gut dabei. Mich regt nur noch das dunkeldeutsche Dreckspack aus dem ersten Stock auf, das alle sechs Wochen pünktlich die Hausordnung erledigt und uns Andersdenkende somit unter Zugzwang zu setzen versucht. Aber da haben sie sich schön geschnitten, die Nazi-Urenkel! Das bedarf noch „intensiver hausinterner  Kommunikation“.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Walter Elfer / 02.07.2018

Sie schaffen das, Herr Schneider. Sie müssen nur noch ein Zeichen setzen. Alles natürlich auf freiwilliger Basis. Dem (oder der?) Hatespeech keine Chance! Ach - und natürlich noch etwas “rauten”. Und ab und an mit dem Mensch-der-erst-kurz-hier-ist Kirchenlieder säuseln. Den Rest einfach aussitzen.

toni Keller / 02.07.2018

Vorhin im Radio Frau Annegret Kamp-Karenbauer gehört,Ich dachte, mir fliegt gleich der nichtvorhandene Hut weg: Die CSU stelle sich mit Seehofer gegen Deutschland und ganz wichtig gegen Europa! Bitte was nehmen die da im Bundestag? P.S ich hielt mich immer für einen überzeugten Europäer., mittlerweile kann ich das Wort “Europaparlament” nicht mehr hören und ich werde den Eindruck nicht los,. dass außer einer gewissen Clique, kein Mensch so ein geeintes Einheitsbreieuropa will

Joachim Lucas / 02.07.2018

Wir hatten früher im Studium ein ganz witziges Gerät, eine “Phrasendreschmaschine” Sie bestand aus drei parallelen Rollen mit gewichtigen Begriffen. Da konnte man beliebig gewaltige Wortkonstrukte erzeugen, so z.B.: adäquate-Diversions-Abstinenz usw., frei von jedem Sinn, klang aber gewaltig und gebildet. Das war schon witzig, aber Frau Merkel muss noch eine bessere Phrasendreschmaschine unter der Matratze haben in den Varianten Soziologen-/Psychologen-Geschwafel.

Wolfgang Richter / 02.07.2018

Schöner Zeitgeist konformer Neusprech in Zeiten der Deeskalation auf allen Ebenen, der belegt, daß nicht mehr angesprochene Müllhaufen dadurch halt nicht aus der Realität verschwinden, sondern zunehmend weiter und intensiver müffeln, bis es auch dem Gutmütigsten stinkt, was er aber tunlichst zu ignorieren hat, um den Verursacher auf gar keinen Fall zu traumatisieren. Das legt die Grundlage für u.a. kriminelle Karrieren. Die verwendeten Beispiele ließen sich durch Merkel-Geschwurbel noch etwas aufhübschen, bekämen dadurch erst den “richtigen” Pfiff.

Frank Stricker / 02.07.2018

In 100 Jahren wird man sich fragen , ob die mittlerweile stark untersetzte und moralinsaure,  ältere Dame nicht doch von Hape Kerkeling dargestellt wurde. Soviel Stuß und Naivität wie die Kanzlerette in den letzten Tagen von sich gegeben hat , würde locker für 3 Rücktritte reichen. Allein schon die Fata Morgana Gespräche mit Ungarn, Tschechien und Polen auf dem europäischen Flüchtlings-Gipfel sind keinem Bürger mit halbwegs ansprechendem IQ vermittelbar.  Der Druck , Ergebnisse zu liefern , muß wohl so groß gewesen sein , dass sich Frau Merkel vermeintliche Einigungen mit den o.a. Staaten ausgedacht hat. Wie sie immer wieder Geschichtsklitterung betreibt im Hinblick auf den legendären 04.09.2015 ist wirklich nicht mehr auszuhalten. Spätestens seit der präzisen Schilderung der Abläufe von Robin Alexander (Welt) wissen wir, dass Frau Merkel weder früher noch aktuell je einen Plan hatte !

Leszek Kolakowski / 02.07.2018

Wunderbar. Die Methoden der Königin der Euphemismen als Anleitung für den Alltag. Ich befürchte, meine Pubertiere werden diese feinen Stilmittel nicht zu würdigen wissen.

Peter Adel / 02.07.2018

Steuerzahler also wenn die Kanzlerin das Konzept für richtig hält, dann gilt es das unbedingt auch auf Stuerzahlungen auszudehen. Keine Sankionen mehr bei verspäteter oder Nichtzahlung, höchstens freundliche Ermahnungen. Wenn die Steurschuld zu hoch geworden ist dann gibts die Möglichkeit einfach einen Antrag auf steuerlichen Neuanfang (auch Finanzasyl genannt) zu stellen. Oder man wirft einfach seine Steueridentifikationsnummer weg und lässt sich eine neue Steueridentität ausstellen. So würde sich schneller zeigen, ob mit solchen Konzepten ein Staat funktionieren kann.

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