Der Anschlag von Würzburg hat erneut gezeigt: Zum Terroristen des Islamischen Staates wird man nicht, weil man sich ihm förmlich anschließt, sondern wenn man in seinem Namen mordet und verletzt. Längst setzt der IS verstärkt auf seine suizidale Fangemeinde im Westen und weitet so die Kampfzone aus. In Deutschland verweigert man sich dieser Erkenntnis allerdings noch weitgehend.
Ein übermäßig großes Gewicht sollte man einem flüchtigen, schnelllebigen, die Verkürzung begünstigenden Medium wie Twitter – genauer gesagt: den dort produzierten und verbreiteten Inhalten – zwar nicht unbedingt zusprechen. Dennoch ist es immer wieder aufschlussreich, wie in diesem Netzwerk mit seinen unzähligen Nutzern auf bedeutsame Ereignisse reagiert wird, welche Reflexe dabei zu beobachten sind und welche Dynamiken sich entwickeln.
Nachdem der 17-jährige Islamist Riaz Khan Ahmadzai in Würzburg unter »Allahu Akbar«-Rufen in einem Regionalzug mehrere Fahrgäste mit einer Axt verletzt hatte – einige davon schwer – und schließlich von der Polizei erschossen worden war, machten beispielsweise die Grünen-Politikerin Renate Künast und der Verleger Jakob Augstein ihre zweifelhaften Prioritäten deutlich, als sie sich weniger um die zahlreichen Opfer als vielmehr um den Angreifer sorgten. Warum dieser nicht lediglich »angriffsunfähig geschossen« worden sei, wollte Künast in einem kurz nach der Tat veröffentlichten Tweet wissen, und wie zur Untermauerung ließ sie gleich vier Fragezeichen folgen.
Augstein wiederum dekretierte: »Gerechtigkeit entsteht vor Gericht, nicht durch Erschießen.« Der Juristin Künast scheint also der Unterschied zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nicht klar zu sein, der Publizist Augstein kennt darüber hinaus auch den zwischen Recht und Gerechtigkeit offenbar nicht. Sogar noch ärger, weil zutiefst verständnisinnig, war ein Statement der Piraten-Politikerin Julia Probst. »Der Amoklauf [d]es unbegleiteten Flüchtlings ist einfach nur traurig. Wie traurig und wie wütend muss er gewesen sein, um sowas zu tun?«, twitterte sie.
Als der Islamische Staat (IS) schließlich verlautbaren ließ, Ahmadzai sei einer ihrer »Kämpfer« und habe seinen Angriff »als Antwort auf unsere Aufrufe ausgeführt, die Länder der Koalition anzugreifen, die den IS in Syrien und im Irak bekämpft«, fand auf Twitter der Hashtag #ISbekenntsich rasch eine vieltausendfache Verbreitung: Der IS bekenne sich zu den Serverproblemen bei »Pokémon Go«, zum schlechten Wetter auf Festivals, zu den Verspätungen bei der Deutschen Bahn, zu den Abgängen bei Borussia Dortmund, zum Analogkäse auf der Pizza. Und so weiter und so fort. Damit wurde die islamistische Terrororganisation zu einer Ansammlung von Trittbrettfahrern verniedlicht, die gerne alles Mögliche für sich reklamiere – darunter auch einen Anschlag in Deutschland –, um mächtig zu wirken. Dumm nur, dass der IS am Tag nach dem Attentat ein Video veröffentlichte, in dem der Täter sich als »Soldat des Kalifats« bezeichnete und ankündigte, durch eine Attacke mit einem Messer und einer Axt zum »Märtyrer« werden zu wollen. Da hätte den Scherzkeksen auf Twitter eigentlich das Lachen im Halse stecken bleiben müssen. Hier geht es weiter.