Peter Grimm / 06.05.2025 / 16:24 / Foto: Montage achgut.com / 66 / Seite ausdrucken

Erster Kanzler zweiter Wahl

Friedrich Merz hat flugs eine Brandmauer geopfert, um noch am gleichen Tag die Chance zum zweiten Wahlgang zu bekommen. So ist er nur mit leichter Verspätung Kanzler geworden.

Was war das für ein Tag, dieser 6. Mai 2025? Auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Zerbrechen der Ampel-Koalition gab es im Reichstag eine Premiere. Friedrich Merz war der erste designierte Bundeskanzler, der im ersten Wahlgang nicht gewählt wurde. Das kam unerwartet und war ein Tiefschlag, mit dem offensichtlich keiner ernsthaft gerechnet hätte. Die Plenarsitzung wurde unterbrochen und die meisten Fraktionen zogen sich zu Beratungen zurück, während sich alle – ob professionelle Politiker oder professionelle Parlamentsjournalisten – erst einmal kundig machen mussten, welches Procedere in einem solchen Fall eigentlich einzuhalten ist. In der deutschen Nachkriegsgeschichte gab es den bis dato noch nicht. 

Nur in manchen Landtagen hatten sich Ministerpräsidenten schon mehreren Wahlgängen stellen müssen. Da folgte der zweite Wahlgang dem ersten nahezu auf dem Fuße. Doch für die Kanzlerwahl – so lernten alle Interessierten nun – gelten andere Regeln. 

Da gibt es Fristenregelungen, die festlegen, dass es den zweiten Wahlgang frühestens 48 Stunden nach dem ersten geben soll. Zunächst hieß es deshalb auch zeitweise in fast allen Medienberichten, dass es am Dienstag keinen neuen Kanzler mehr geben könne. Doch was sind schon Regeln gegen den Willen von Friedrich Merz und den Seinen, in Regierungsämter zu kommen? Wer sich das Grundgesetz zu seinen Gunsten vom eigentlich abgewählten Bundestag in dessen Restlaufzeit ändern lässt, schreckt auch keine Geschäftsordnung.

Es muss heute noch sein, soll er angeordnet haben und darum kümmerten sich die Funktionäre aus den Koalitionsfraktionen auch prompt. Schnell war klar, dass sich diese Frist mit einer Zweidrittelmehrheit aufheben lässt. Die AfD signalisierte prompt, für eine solche zur Verfügung zu stehen. Aber dürfen CDU und SPD einen Antrag stellen, der mit Hilfe der AfD durchkommen könnte? Da steht selbstverständlich die Brandmauer vor. Also kümmerten sich die Koalitionäre stundenlang darum, mit den anderen Fraktionen im Vorfeld deren Zustimmung auszuhandeln.

Die Brandmauer nach links ist gefallen

Im Prinzip waren Grüne und Linke dazu bereit, aber insbesondere die Linken forderten von Merz eine Gegenleistung, nämlich den deutlichen Bruch des eigentlich gültigen CDU-Unvereinbarkeitsbeschlusses mit der Linken, also das Niederreißen der CDU-Brandmauer nach links, um die nach rechts zu halten.

Zwar verbietet der Unvereinbarkeitsbeschluss nicht, dass es Mehrheiten auch mit Stimmen der Genossen Linkspopulisten gibt, doch gemeinsame Anträge fallen unter ein solches de facto-Verbot. Damit wollte sich die selbsternannte Partei der Mitte den Anschein der Äquidistanz zu Links- und zu Rechtspopulisten geben sowie zu allem, was weiter links- und rechtsaußen liegt. 

Die Genossen von der Ex-SED sahen nun ihre Chance, den CDU-Chef zum offenen Bruch dieses Beschlusses zu drängen, indem sie auf einem gemeinsamen Geschäftsordnungsantrag von CDU, SPD, Grünen und Linken bestanden. Sie hatten zu recht einkalkuliert, dass ein Mann wie Merz, der auf dem Weg zur Kanzlerschaft schon viele Prinzipien und Versprechen über Bord geworfen hat, sich auch nicht von einem Unvereinbarkeit-Parteitagsbeschluss aufhalten lässt. Und so kam es, dass dieser Geschäftsordnungsantrag, der Merz den Weg zum schnellen zweiten Wahlgang ebnete, gemeinsam mit den Linken gestellt wurde, damit man die Stimmen der AfD nicht brauchte. Die Brandmauer nach links wurde niedergerissen, um die nach rechts zu halten. Wer kann da noch leugnen, dass Friedrich Merz die Merkelsche Linksdrift der Partei nicht bremsen, sondern fortsetzen will?

Aber darum geht es nicht. Es erscheint wie ein kleiner Treppenwitz, dass dann ausgerechnet dieser Geschäftsordnungsantrag einer war, dem einstimmig von allen Fraktionen von AfD bis Linken zugestimmt wurde. Natürlich nicht ohne zuvor dem Publikum noch eine Geschäftsordnungsdebatte zu bieten, in der der CDU-Redner Steffen Bilger auch noch einmal ausdrücklich den Linken dankte, den schnellen zweiten Wahlgang mit ermöglicht zu haben. 

Ein wenig ging der Fall der CDU-Brandmauer nach links in der Aufregung des Tages unter. Vielleicht weil manch einer dachte, die wäre ohnehin schon gefallen? Vor allem aber waren Politiker und Meinungsbildner mit der Frage beschäftigt, wer denn eigentlich Friedrich Merz die Zustimmung verweigert hatte. Waren es unzufriedene Christdemokraten, die sich an den SPD-lastigen-Koalitionsplänen störten? Oder waren es Genossen aus der SPD, die Lars Klingbeil eins auswischen wollten? Alle leugneten. Keiner wollte es gewesen sein.

Start mit einem Alleinstellungsmerkmal

So wundert es nicht, dass es Friedrich Merz im zweiten Wahlgang geschafft hat, zum neuen Bundeskanzler gewählt zu werden. Statt der 310 Stimmen im ersten Wahlgang bekam er nun 325. Das sind zwar neun Stimmen mehr als er zur Kanzlermehrheit braucht, aber drei Stimmen weniger, als Koalitionsabgeordnete anwesend waren. Immerhin hat Friedrich Merz in diesem Amt von vornherein ein Alleinstellungsmerkmal: Er ist der erste Kanzler zweiter Wahl.

Und wir bekommen eine neue Bundesregierung. Eine, die sich noch mit abgewählten Mehrheiten die Lizenz zur grandiosen Neuverschuldung ins Grundgesetz hat schreiben lassen, damit bei der Fortsetzung des deutschen Politikstils, die Welt mit Geld und guten Worten zu beglücken, nicht irgendwann die Mittel ausgehen. Auch die amtliche Extremisten-Einstufung für die größte Oppositionspartei hat noch die alte Regierung an ihren letzten Tagen erledigt. Da kann jetzt das Dreamteam Merz-Klingbeil (oder sollte man besser schon Klingbeil-Merz sagen?) unbeschwert in die Zukunft starten. 

Für die Bürger bleibt es wohl bis zum nächsten Koalitionsbruch beim Herumwursteln am Abstieg. Vielleicht werden begleitend dazu noch ein paar neue schöne Formulierungen geschaffen, wie „gutes soziales Abstiegsmanagement“ oder „nachhaltige Wohlstandsverschlankung“.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: Montage Achgut.com/ MGA Research Corporation, NHTSA/ via Wikimedia Commons

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Leserpost

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U. Frey / 06.05.2025

Ist eigentlich schon bekannt, ob der neue Kanzler die Wohnung im Kanzleramt bezieht? Oder gründet er eine WG mit “Mutti”?

Ulla Schneider / 06.05.2025

Die schönste Wortbedeutung fand ich bei Köppel: Merz liegt unterm Klingbeil!

Bertram Scharpf / 06.05.2025

Den Bürger entmündigen wollen, aber nichteinmal die eigenen Abgeordneten im Griff haben: Diese Flaschen sind einfach nur erbärmlich.

Marcel Seiler / 06.05.2025

Der politischen Kaste sind das äußere Erscheinungsbild ihrer Manöver wichtiger als das Volk, welches sie regieren sollen. Das sind schlechte Omen für dieses Volk und für eine Regierung, die im Sinne dieses Volkes regieren soll.

Hans Walter Müller / 06.05.2025

@Christian Tauber: Einer schreibt die Unwahrheit- entweder Sie oder Wikipedia, nach der Brandt 1969 die absolute Mehrheit im 1. Wahlgang erhielt. Das haben bestimmt andere Leser auch schon überprüft und nimmt Hr. Merz nicht den Anspruch der erste BK zu sein der im 2. Wahlgang erstmals gewählt wurde.

A. Ostrovsky / 06.05.2025

Da hört man auf den höchsten Stufen Auf einmal eine Stimme rufen: “Sieh da! Sieh da, Timotheus, Die Kraniche des Ibykus!” - Und finster plötzlich wird der Himmel, Und über dem Theater hin Sieht man in schwärzlichtem Gewimmel Ein Kranichheer vorüberziehn.

EEkat / 06.05.2025

Die AfD wurde auf offener Bühne kaltgestellt, alle haben es mitbekommen. Den Beginn der Marginalisierung der CDU CSU hingegen besorgt diese in Eigenleistung, Ohne es selber bisher bemerkt zu haben. Jetzt kommt erst mal der Tanz der NGOs auf den Straßen, den Verbotsantrag zu stellen. Folge staatlicher Finanzierung, sowie Propaganda. Da wird Herr Merz noch das eine oder andere Haar verlieren. Dann der Verbotsantrag durch ein Parlament, welches entscheiden muß, ohne den Inhalt der BfV- Expertise ” Gesichert Rechtsradikal” überhaupt zu kennen. Die Abgeordneten des deutschen Parlaments müssen Kenntnislos entscheiden, sich bescheiden mit der Rolle des reinen Erfüllungsgehilfen des Inland-Geheimdienstes. Geschieht dies nicht, wird der Wille der NGOs, der Gewerkschaften, der Medien, der roten und grünen Sozialisten, sowie der CSU-Führungsetage also nicht erfüllt, dann muß sich Merz die Frage gefallen lassen,  warum er sich schützend vor die AfD stellt. Vielleicht bietet Taurus dann noch einen Ausweg. In anderen Worten: mit dem heutigen Tag dürfte die Hatz auf die CDU angeblasen worden sein. Herr Klingbeil, Sie haben Merz schreckt davor, er hat es angekündigt, nicht zurück. Dieses mal könnten einige dann auf seinen Wortbruch hoffen. Dünner Faden, an dem wir alle mittlerweile hängen

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