Die angeschlagene New Yorker MET-Opera ließ ihre Künstler während des Lockdowns hängen, um nun theatralisch nach 18-monatiger Pause wiederzueröffnen. Mit einem woken PR-Gag.
Die New Yorker MET hat ihre großen Zeiten längst hinter sich. Das Haus darf sich zwar nominell noch zu den TOP5-Opernhäusern weltweit zählen, kämpft jedoch mit gravierenden Finanz- und Imageproblemen. Weil das Kulturleben in den USA gar nicht oder nur rudimentär bezuschusst wird, müssen sich die Häuser aus Spenden, Kartenverkauf und Event-Trallala wie Kinoübertragungen und allerlei Merchandising finanzieren. Die Eintrittspreise sind exorbitant und liegen in der MET bei bis zu 480 Dollar. Und da die bösen, alten, weißen Klassikliebhaber immer älter werden und sich jüngere Leute, wenn sie überhaupt noch Interesse an dieser Art von Kunst haben, solche Preise nicht leisten können, schwinden die Einnahmen. Und in krisenhaften Zeiten zeigen sich auch Sponsoren weniger geneigt, Millionenbeträge für, nun ja, Verzichtbares zu spenden.
Nicht lange zurück liegt der Skandal um den langjährigen, im März dieses Jahres nach langer Krankheit verstorbenen MET-Musikchef und großen Orchesterdirigenten James Levine. Der soll sich schon seit den 60er Jahren an jungen Männern vergangen haben, was er selbst bestritt. Jahrzehntelang wurde über Levines Vorlieben in der Klassikszene gemunkelt, doch erst 2018 feuerte die MET ihren damaligen Ehrendirigenten fristlos, der daraufhin wegen Rufschädigung vor Gericht zog und im Rahmen eines Vergleichs eine Entschädigungssumme in Höhe von 3,5 Millionen Dollar erstritt. Die ihm vorgeworfenen Taten waren bereits verjährt. Unklar blieb, wie viel die Verantwortlichen der MET von den Vorfällen gewusst hatten. Zuletzt hatte Levine, schwer an Parkinson leidend, nur noch von einem speziellen Rollstuhl mit Hilfe von Assistenten aus dirigieren können.
Jubel nach Programm
Die im demokratisch dominierten New York besonders ausgeprägte Corona-Hysterie hat dem Haus schließlich den Rest gegeben. Intendant Peter Gelb entließ kurzerhand fast die gesamte Belegschaft. Viele Mitarbeiter der Renommieroper mussten die Stadt verlassen, Musiker sogar ihre Instrumente verkaufen, um überleben zu können. Und dass sich der allseits gehypte, junge und offen schwule Musikchef der MET, der Kanadier Yannick Nézet-Séguin, für seine Leute in besonderer Weise in die Bresche geschlagen hätte, konnte man nicht behaupten. Die Verhandlungen mit Mitarbeitern und Gewerkschaften um Wiedereinstellung zogen sich lange hin; das Management soll die Krise dazu genutzt haben, dauerhaft niedrigere Löhne durchzusetzen.
Jetzt brauchte es, nach 18-monatiger „Pandemie“-bedingter Schließung, einen Coup, um nicht völlig in der Versenkung zu verschwinden, einen glaubhaft vermittelten Neuanfang, eine Läuterung. Und diese gelang dem gewieften Manager Gelb mit der erstmaligen Aufführung einer von einem schwarzen Komponisten komponierten Oper in der 138-jährigen Geschichte des Hauses. Am Premierenabend unter 2G-Bedingungen war der 3.800-Plätze-Saal im Lincoln-Center immerhin „fast ausverkauft“, wie zu lesen war. Als sich der Vorhang wieder schloss, „jubelte, pfiff, johlte und schrie“ das Publikum, Beobachtern zufolge, programmgemäß.
Gefundenes Fressen für die MET
Und die Feuilletons johlten mit. Von einem „Triumph über die Pandemie und den Trumpismus“ schrieb der enthusiasmierte Berichterstatter der „Welt“, dem beim Absingen der US-Nationalhymne zu Beginn der Vorstellung vor Ergriffenheit angesichts des welthistorischen Ereignisses offenbar die Tränen kamen. Die Washington Post sah gar einen „Wendepunkt der amerikanischen Oper“ und auch die deutsche taz konnte sich kaum einkriegen an diesem „fast schon utopischen Abend“. Immerhin war der Rezensentin nicht entgangen, dass die MET einen „gelungenen Eröffnungs-Coup“ dringend habe gebrauchen können.
Dabei war es noch nicht einmal eine Uraufführung, denn die Oper „Shut Up in My Bones“ war schon 2019 auf einem Festival in Saint Louis herausgekommen. Und der Komponist Terence Blanchard war bislang weniger als Opern-, denn als Filmmusikkomponist und Jazz-Trompeter hervorgetreten. Textgrundlage der Oper ist die als Buch unter gleichem Titel erschienene Autobiografie des 1970 geborenen, farbigen NYT-Kolumnisten und linken Politaktivisten Charles M. Blow. Er erzählt darin von seiner Kindheit und Jugend in Louisiana, wo er bereits am College eine Schülerzeitung gründete und dann die (einst rein schwarze) Grambling-Universität mit einen Prädikatsexamen abschloss, bevor er zunächst als Grafiker bei der NYT anheuerte. In Buch wie Oper geht es um „Effekte des strukturellen Rassismus (...) der siebziger und achtziger Jahre“ (FAZ) und Blows Bisexualität, ein gefundenes Fressen für die MET in Zeiten von Black Lives Matter. Mit Camille A. Brown führt auch zum ersten Mal eine schwarze (!) Frau (!) Regie in der MET.
Es ging um ein Statement
Blanchards Musik zu diesem Plot ist eingängig und nicht frei von Melodramatik an der Grenze zum Kitsch. Ob das an der MET so rückhaltlos bejubelte Stück im Repertoire Bestand haben oder gar andernorts nachgespielt wird? Die allermeisten neuen Opern, ob von weißen, grünen, schwarzen oder bunt gestreiften, hetero-, homo- oder transsexuellen Komponisten welcher Nationalität auch immer geschrieben, verschwinden nach ihrer Uraufführung in den Archiven, was in der Regel daran liegt, dass sie eben keine Meisterwerke sind; echte Ausgrabungen haben Seltenheitswert. Aber um Qualität ging es nicht an der MET. Es ging um ein Statement und einen ziemlich wohlfeilen PR-Erfolg.
Ein fast immer und zu recht ausverkaufter Renner an der MET ist dagegen „Porgy and Bess“. „Porgy and Bess“ handelt von dem von Drogensucht, Gewalt und den meist unerfüllten Hoffnungen auf etwas Wohlstand und Glück geprägten Leben der Afroamerikaner in Charleston Mitte des 19. Jahrhunderts. Komponiert hatte den Zwitter aus Folk Opera und Musical George Gershwin, einer der ganz großen US-Komponisten, dessen „Rhapsody in Blue“ zum Kanon der konzertanten Sinfonik an der Schwelle zu Jazz und Blues zählt.
Gershwin, leider weiß und männlich, hatte verfügt, dass „Porgy and Bess“ in szenischer Form nur von Schwarzen aufgeführt werden darf. Viele große farbige Sängerinnen und Sänger wie Barbara Hendricks, die vom berüchtigten „Altnazi“ Herbert von Karajan geförderte Leontyne Price, Grace Bumbry, Simon Estes und Sammy Davis Jr. haben in diesem aufrüttelnden Werk das Publikum begeistert. Als 2019 die farbige Diva und Opernlegende Jessye Norman starb, widmete ihr die MET eine Aufführung von „Porgy and Bess“. Sie selbst hatte einmal erklärt, sie empfinde ihr „Schwarzsein nicht als Problem. Ich finde, es sieht eher schön aus“.