Henryk M. Broder / 04.08.2016 / 11:15 / 6 / Seite ausdrucken

Erst kommt der Bus, dann die Türkei

Gestern Abend in der 20-Uhr-Tagesschau. Der "Putsch" in der Türkei liegt nun zwei Wochen zurück; die Lage normalisiert sich, vor allem in Deutschland. Das Kabinett billigt einen neuen Verkehrswegeplan, und der Marktführer Flixbus übernimmt den Konkurrenten. Die Kunden der Busunternehmen sorgen sich, ob sie auch weiterhin für 19.- Euro von München nach Berlin werden fahren können. Es dauert fast zehn Minuten, bis die Türkei an die Reihe kommt. "Die Organisation amnesty international hat erneut die Behörden in der Türkei kritisiert. Zahlreiche Menschen, die nach dem gescheiterten Putschversuch festgenommen wurden, seien unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt. Auch sei bei vielen Gefangenen nicht klar, wohin sie gebracht wurden. Nach Regierungsangaben gab es inzwischen 26.000 Festnahmen. In knapp der Hälfte der Fälle sei Haftbefehl erlassen worden. Wegen des Ausnahmezustandes können Verdächtige bis zu 30 Tage eingesperrt werden, bevor sie dem Haftrichter vorgeführt werden müssen." Das wars. Dann geht es weiter nach Aleppo, wo die Kämpfe zwischen den "islamistisch geführten Rebellen und Regierungstruppen unvermindert" anhalten.

Derweil spricht sich Außenminister Steinmeier dagegen aus, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei auf Eis zu legen. "Verbindungen kappen, das ist das denkbar schlechteste Mittel von Politik." Sollte die Türkei jedoch die Todesstrafe wieder einführen, sagt Steinmeier, würde dies Einfluss auf die Gespräche nehmen. "Das wäre mit europäischen Werten nicht vereinbar."

Was mit europäischen Werten dagegen sehr wohl vereinbar ist, sind die Folterungen und Vergewaltigungen in den türkischen Gefängnissen, wo der eine oder andere Inhaftierte schon mal tot umfällt. Dazu fällt dem Schwätzer aus dem AA nix ein. Dabei hat er vor etwas mehr als einem Jahr, bei einer Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Berfreiung des KZ Sachsenhausen, in einer langen Rede erklärt, was es für ihn bedeutet, "Verantwortung tragen zu können", nämlich: "Gegen Unrecht aufzustehen". Aber das gilt nur in Deutschland, und nur für den Fall, dass jemand das KZ Sachsenhausen wiedereröffnen möchte. Für die Türkei gelten andere Maßstäbe.

So ähnlich sieht es auch der Riesenzwerg Jakob Augstein, wenn er twittert: "Wir sind nicht für die Demokratie in der Türkei zuständig. Das ist Sache des türkischen Volkes." Und: "Was, wenn die Türken andere Ansprüche an ihre Demokratie haben als wir an unsere?" 

Wir sind nur für die Demokratie in den USA und in Israel zuständig, da kennen wir keine Hemmungen. 

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Leserpost

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Waldemar Undig / 05.08.2016

Oh ja, ich will auch neue Berichte über Island lesen. Zum Selberhinfahren habe ich leider nicht die nötige Kohle…

Hannah Berg / 05.08.2016

Ja, viel einfacher ist es, 70 Jahren später mutig zu sein und seine Großeltern zu fragen, warum sie wegschaut hatten. Die Menschen ändern sich nicht, die Geschichte wiederholt sich immer wieder…Grauenvoll.

Daan Marret / 05.08.2016

Hm….  ich weiss nicht… die Türkei ist auch nur ein Dritte-Welt-Land und hat damit sozusagen das Recht auf Nichtbeachtung. Nur weil viele Türken in Deutschland leben, muss das nicht heissen das die Türkei wichtig ist.  Bei uns in Holland kommen viele Menschen aus Suriname oder Java und dieses Länder schaffen es nicht mal in den Wetterbericht.

E. G. Hain / 04.08.2016

Lieber Herr Broder. Island, mein Shootingstar bei der EM in F, ist nicht nur Ihr Favorit. Jeder weitere Tag in diesem unserem Lande erhöht die Attraktivität dieses Landes in meinen Augen. Ich vermisse Geschichten aus und über Island.

B.Kröger / 04.08.2016

Genau richtig, Herr Broder!

Ernst-Fr. Siebert / 04.08.2016

“Wir sind nur für die Demokratie in den USA und in Israel zuständig, da kennen wir keine Hemmungen. ” Rußland nicht vergessen… ;-)

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