Reinhard Mohr, Gastautor / 29.06.2013 / 16:37 / 0 / Seite ausdrucken

Erpresser und Erpresste

Reinhard Mohr

Der Hungerstreik, erst recht die Verweigerung von Flüssigkeit, ist das allerletzte Mittel eines Menschen, dem absolut kein Ausweg mehr geblieben scheint: Die unmittelbare Drohung mit dem selbst herbeigeführten Tod. Doch nicht erst seit dem RAF-Terrorismus wissen wir, dass er auch ein hervorragendes Mittel im politischen Propagandakampf sein kann. Motto: Aus der Schwäche eine Stärke machen, den Opferstatus in revolutionären Aktivismus verwandeln.

Das wesentliche Ingredienz, der Wirkstoff des Aufstands durch Selbstvernichtung, ist die reine Moral. Sie wird zur Waffe der Erpressung: „Seht her“, „heißt es, Ihr lasst uns sehenden Auges verrecken, während unsere Forderungen nur recht und billig sind!“ Auf diese Weise ist es der RAF in den siebziger Jahren zeitweise gelungen, den demokratischen Staat als skrupellose Mordmaschine darzustellen – eine klassische Projektion, der sogar linksliberale Kulturschaffende etwas abgewinnen konnten.

Noch Jahrzehnte nach den Selbstmorden von Stuttgart-Stammheim 1977 wurde in bestimmten Kreisen die These kolportiert, Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe seien vom Staat „exekutiert“ worden.

Es ist kein Zufall, dass der iranische Sprecher jener mehreren Dutzend Asylbewerber, die vor einer Woche in München einen Hunger- und Durststreik begonnen haben, Holger Meins zur Ikone erwählten, jenes RAF-Mitglied, das sich 1974 im Gefängnis zu Tode hungerte. Sein legendärer Kampfruf: „Mensch oder Schwein, Sieg oder Tod!“

Wir verstehen: Die etwa 50 Asylbewerber, die aus Afghanistan, Pakistan, Somalia, Äthiopien, Nigeria und anderen Ländern geflohen sind, in denen ein Menschenleben nichts gilt, sehen sich in der Rolle der „Rote Armee Fraktion“, die ihren unversöhnlichen Kampf gegen den deutschen Faschismus und Imperialismus bis zum bitteren Ende führen wollte.

Ihre Hauptforderung nach sofortiger Anerkennung als politische Flüchtlinge – jenseits des gesetzlich vorgeschriebenen Asylverfahrens – ist taktisch durchaus klug gewählt. Für den Rechtsstaat unerfüllbar – selbst der sozialdemokratische Münchner Oberbürgermeister Ude sagt das unmissverständlich –, ist sie für einen Teil der Öffentlichkeit dennoch „irgendwie“ und „ein Stück weit“ nachvollziehbar, jedenfalls aus moralisch-humanitären, letztlich christlichen Motiven. Klassisches Argument: Wer derart sein Leben aufs Spiel setzt, muss schon sehr verzweifelt sein. Dazu kommt die Angst: Wehe, wenn der erste stirbt! Dann wird der Aufschrei groß sein, und die Fratze des rassistisch-chauvinistischen deutschen Faschismus wird wieder in blutroten Farben leuchten.

Doch genau das ist ja Teil des Kalküls: Die Organisatoren des Hungerstreiks wissen um die Dialektik im Herzen der deutschen Bestie: Die Hebelwirkung der moralischen Erpressung ist umso größer, Trauma und Schuld sei Dank. Die Plakate „Merkel = Mörder“ sind schnell gemalt, mit und ohne Hitlerbärtchen.

Ein Zyniker könnte sagen: Erstaunlich, wie schnell sich Asylbewerber aus Somalia und anderswo in die komplizierte Geschichte der RAF eingearbeitet haben. Kein Wunder, dass OB Ude im Zusammenhang dieses wohlorganisierten Hungerstreiks von einer „Kommandostruktur“ spricht. Schon beim Hungerstreik von Asylbewerbern vorm Brandenburger Tor in Berlin war schnell klar geworden, dass sogenannte deutsche „Unterstützer“ ein Aktions-Drehbuch in der Tasche hatten. Ins Mikrophon einer mitfühlenden Radioreporterin offenbarte ein Asylbewerber, die Verhältnisse in Deutschland seien ja schlimmer als in Afghanistan. Gnädigerweise nahm er dann aber doch das Übernachtungsangebot des Senats im „Kältebus“ an.

Nun ist guter Rat teuer. Die „Süddeutsche“ sucht händeringend jemanden, der „deeskalieren“ kann. Günter Grass, Peter Sloterdijk, Roger Willemsen, Jakob Augstein, Richard David Precht und all die anderen moralisch-intellektuellen Vorbilder der Nation?

Und wohnt nicht unweit am Starnberger See Jürgen Habermas, der Meister des herrschaftsfreien Diskurses?

Am Ende wird es doch wieder der böse Staat richten müssen. Schon hat Ministerpräsident Horst Seehofer zur Krisenkonferenz gebeten.

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