Henryk M. Broder / 14.04.2007 / 01:22 / 0 / Seite ausdrucken

Erlösung von der Barbarei - Wieviel USA verträgt die Welt?

Die Stadt Wolfsburg wurde 1938 vom Führer persönlich gegründet und hieß bis 1945 „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“. Zwischen Magdeburg, Braunschweig und Hannover gelegen ist die kreisfreie Stadt noch immer Sitz des VW-Konzerns.  Die VW-Arbeiter habens gut. Sie leben praktisch auf dem Betriebsgelände und werden nicht nur gut bezahlt sondern auch optimal versorgt. Und wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind, wartet ein reichhaltiges Bildungsangebot auf sie. Betriebsräte, die gerade in Brasilien zu Besuch waren, halten Vorträge über das Nachtleben unter dem Zuckerhut, und wem das nicht aufregend genug ist, dem bietet das Programm von “Wolfsburg bildet!” schöne Alternativen. Zum Beispiel einen Vortrag über “Das suspendierte Gewissen: Korruption in der globalisierten Wirtschaft” von Prof. Dr. Hartmut Heuermann von der TU Braunschweig, der so angekündigt wird:

“Der heutige ‘Raubtierkapitalismus’ ist krank, die Symptome zeigen sich im Manipulieren, Schmieren, Tricksen, Schönfärben, Vertuschen und Veruntreuen. Die dramatischen Folgen galoppierender Wirtschaftsskandale und Korruptionsaffären gehen nicht auf fachliche Inkompetenz oder Missmanagement zurück, sondern auf geistige und moralische Defizite der Wirtschaftsführer, die das Maß für angemessene Mittel verloren haben. Das Prinzip der Verantwortung gerät ihnen zu Selbstherrlichkeit und Skrupellosigkeit. Korrumpierbarkeit resultiert aus mangelnder Widerstandskraft gegen die Verlockungen des Geldes, der Macht oder der Lust.”

Aber der “Raubtierkapitalismus” ist noch nicht alles, worüber Prof. Dr. Hartmut Heuermann von der TU Braunschweig doziert.  Als “Amerikanist” schaut er auch hinter die Kulissen des Kapitals.  Er fragt: “Wieviel USA verträgt die Welt?”, stellt die “amerikanische Hegemonie als internationales Problem” vor und geht “der Frage nach den Ursachen des Antiamerikanismus in der Welt nach”;  dabei leitet er “das Problem aus ideologisch bedingten Ansprüchen der US-Politik her, die in der Völkergemeinschaft zunehmend auf Skepsis und Ablehnung stoßen” und “zeigt, wie die Ideologien des Imperialismus und Militarismus sich gegen die Ideale der Gründerväter entwickelt haben und dafür verantwortlich sind, dass die US-Politik auf dem gesamten Globus in Misskredit geraten ist”.

Ist er mit den Ursachen des Antiamerikanismus durch, wendet er sich den Ursachen des Antisemitismus zu. Und so wie die Amis am Antiamerikanismus schuld sind, tragen die Juden die Verantwortung für den Antisemitismus. Neu und originell ist dieser Gedanke nicht, aber für einen Leserbrief in der Lokalzeitung reicht er allemal:

Die Gru?ndung des Staates Israel
hatte zwei schwere Geburtsfehler:
Die Annahme der Zionisten, Pa-
la?stina sei ein bevo?lkerungsloses
Land.
Die einseitige Ausrufung der Re-
publik Israel durch Ben Gerion,
nachdem 1948 die arabischen UN-
Mitglieder einen Zwei-Staaten-Plan
abgelehnt hatten, der die Pala?stinen-
ser territorial benachteiligte.
700 000 Pala?stinenser wurden ver-
trieben und heimatlos. Selbst israeli-
sche Menschenrechtsorganisationen
wie B’Tselem oder Historiker wie
Benny Morris sprechen unverblu?mt
von „ethnischer Sa?uberung”.
Wer sein eigenes einseitig prose-
mitisches Weltbild korrigieren und
die Wut der Pala?stinenser verstehen
will, der lese den aktuellen Bericht
„Morgen wird alles schlimmer” der
Journalistin Amira Hass, einer Ju?-
din (!). Und wer den historischen
Zusammenha?ngen wirklich auf den
Grund gehen will, der lese die wis-
senschaftliche Studie Antisemitis-
mus als politische Waffe von Nor-
man Finkelstein, einem Juden(!).
Prof. Dr. Hartmut Heuermann
Braunschweig

Ein Jammer, dass Ben-Gurion die “Republik Israel” einseitig ausgerufen hat, ohne das “Okay” von Prof. Dr. Hartmut Heuermann abzuwarten. Der hat sein eigenes einseitig prosemitisches Weltbild inzwischen überwunden und ruft seinen Lesern “macht es mir nach!” zu. Mit Hilfe von “Amira Hass, einer Jüdin (!)” und “Norman Finkelstein, einem Juden (!)” können es auch nicht-akademische Antisemiten in Heimarbeit schaffen.

Fortgeschrittene, die schon alles über den “Raubtierkapitalismus” wissen und ihr einseitig prosemitisches Weltbild abgelegt haben, können anschließend mit Dr. Heide Göttner-Abendroth auf den ultimativen Trip gehen. Sie doziert bei “Wolfsburg bildet!” über “Gesellschaft in Balance” und bietet Erlösung von der patriarchalen Barbarei an:

“Die weltweite Ausbreitung des Patriarchats bringt seit ca. 5.000 Jahren fortwährendes Chaos hervor wie Kriege, Eroberungen, Unterdrückungen, Revolutionen und Bürgerkriege, wovon die rasch wechselnden ‘Weltreiche’ mit ihrem hohen Verbrauch an Menschenleben zeugen. Die Herrschaftstechnologie wird immer subtiler, ihre lebensverachtende Tendenz erreicht heute gigantische Ausmaße. Die Natur in ihrem lebendigen Zusammenhang von Pflanzen, Tieren und Menschen wird zerstückelt und im Verwertungsprozess entseelt. Menschen müssen ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen. Angesichts der Bedrohung der Welt durch ausgefeilte Waffentechnologien, räuberische Wirtschaftskolonialisierung und skrupellose Naturzerstörung brauchen wir dringend Alternativen, um uns aus der patriarchalen Barbarei zu lösen…”

Dann ist der lebendige Zusammenhang von Pflanze, Tier und Mensch wieder hergestellt, die Natur beseelt und das Patriarchat besiegt. Und die einzigen, die ihre Arbeitskraft immer noch als Ware verkaufen müssen, sind die Referenten von “Wolfsburg bildet!”
http://www.wolfsburg-bildet.de/Veranstaltungen/2007-07-04_Globalisierung_oder_Wirtschaft_in_Balance.php

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