Henryk M. Broder / 05.04.2018 / 14:01 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 29 / Seite ausdrucken

Erklärung 2018 - Die Dritte

Victoria, Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, Kaiserin von Indien, war eine kleine (1,52 Meter), dafür aber sehr resolute und sittenstrenge Frau. Es heißt, sogar die Beine der Tische und Klaviere im Buckingham Palace seien verhüllt gewesen, damit sie keinen Anstoß erregten.

Zu ihrem 80. Geburtstag im Jahre 1899 hatte die Königin alle am Hofe akkreditierten Botschafter eingeladen. Es gab ein großes Fest, und es wurden viele Reden gehalten. Victoria hielt sich tapfer, wurde im Laufe des Abends aber immer müder, bis ihr ein schrecklicher Fauxpas passierte. Es war das, was man zu jener Zeit einen Leibwind oder Blähwind nannte.

Die Gesellschaft erstarrte. Um die Situation zu retten, sprang der französische Botschafter auf und rief in den Saal: "Ich bitte um Nachsicht, mein Arzt hat mir ein Mittel verschrieben, das unangenehme Nebenfolgen hat! Es lebe die Königin!"

Die Situation entspannte sich. Bis Königin Victoria wieder das gleiche Malheur passierte. Diesmal übernahm der Vertreter Russlands die Verantwortung. „Ich verspreche Ihnen, ich werde meinen Leibkoch nach Sibirien verbannen! Es lebe die Königin!"

Wenige Minuten später kam es wieder zu einer königlich-kaiserlichen Flatulenz. Ohne zu zögern, erhob sich der Vertreter des deutschen Kaisers und rief mit fester Stimme: „Die nächsten drei übernimmt das Deutsche Reich!"

Ob die Geschichte wahr ist, weiß ich nicht. Aber sie ist auf jeden Fall schön. Wie komme ich darauf?

Nicht jeder soll bei Deutschlands Zukunft mitreden

Ernst Elitz, den ich wirklich schätze, hat im Cicero-Magazin einen Beitrag über die „Erklärung 2018" geschrieben, der so unsäglich war, dass ich mich fragen musste, ob es vielleicht einen zweiten Ernst Elitz geben könnte, den ich nicht kenne. Nicht nur mir ging es so. Auch die Cicero-Leser fragten sich: Ist das unser Ernst Elitz? Schauen Sie sich die Leserkommentare am Ende des Beitrags an, es lohnt sich. Man könnte meinen, die Redaktion wollte ihren eigenen Autor in die Pfanne hauen.

Und jetzt kommt die Analogie zu Königin Victoria zum Zuge. Ohne zu merken, was ihm entschlüpft war, gab Elitz einen Tag nach dem Erscheinen seines Beitrags auf Cicero Online dem MDR ein Interview, in dem er, wie schon im Cicero-Text, über eine „entgangene Chance" klagte. Wenn es „um Deutschlands Zukunft" geht, hätte man „erstmal den Austausch unter Sachverständigen, unter Historikern, unter Schriftstellern, unter Philosophen" suchen sollen. Die Debatte müsse „von Menschen aufgrund ihrer Sachkenntnis, ihrer historischen Kenntnis geführt werden", soll heißen: unter Elitz und seinesgleichen. 

Ich vermute, Elitz hat sich in dem MDR-Interview auch für die Einführung des Drei-Klassen-Wahlrechts ausgesprochen, gestaffelt nach Bildungsstand und Größe des Ritterguts; dieser Teil muss wohl der hausinternen Revision geopfert worden sein. Klar ist nur: Ein Blähwind kommt selten allein.

Inzwischen hat sich auch die SZ mit einem langen und erstaunlich fairen Beitrag in die Debatte eingeklinkt und Elitz widersprochen: Soziologisch gesehen, wird diese Massenpetition also von Leuten getragen, die eher der "Elite" und dem "Establishment" nahestehen als dem "kleinen Mann" und dem "Volk", in dessen Namen die Fundamentalkritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung so häufig erfolgt. Es sind Kulturwissenschaftler und Philologen, Autoren und Bibliothekare, Psychologen und Psychoanalytiker, erfolgreiche Schauspieler, Naturwissenschaftler, ehemalige oder aktuelle Moderatoren und Redakteure der öffentlich-rechtlichen Sender, Philosophen, Ärzte, Filmemacher, Historiker. Dies sei keine quantité néglieable.

Einer gehört nicht in die Runde

Natürlich hat auch die SZ ein Haar in der Suppe gefunden. Die Akademikerklausel, heißt es in dem Beitrag, sei nicht sehr rigoros angewandt worden. Denn: Henryk M. Broder hat sein Studium nie abgeschlossen und dürfte das durch seine Hyperaktivität in der "Achse des Guten" kompensiert haben.

Das stimmt. Schon in jungen Jahren ahnte ich, was einem blühen kann, wenn man sein Studium abschließt. Man läuft Gefahr, zuerst Staatsanwalt und dann Ressortleiter bei der SZ zu werden.

Die „Gemeinsame Erklärung 2018" wurde bis jetzt – Stand 14:46 Uhr – von 80 698 Leuten unterschrieben, die keine Sachkenntnis und keine historischen Kenntnisse haben. Seltsam, Ernst Elitz ist nicht dabei. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Michael Scheffler / 05.04.2018

Lieber Herr Broder, wir leben in einer Demokratie, daher darf jeder flatulieren, wie er will, nur: welchen Grund gibt es, Herrn Elitz zu schaetzen? Ich wuesste nicht, was er Schaetzenweswertes hervorgebracht haette. Er war bei der Bild und bei den GEZ-Medien angestellt, bevor er bei Cicero angefangen hat, abzutrainieren. Beste Gruesze aus Barcelona - umlauttechnisch gesehen eine Stadt ohne Willkommenskultur:-)

Brigitte Wohlgemuth / 05.04.2018

Es ist einfach nur noch zum Lachen. Nach der Lektüre der Beiträge in der SZonline, Cicero, etc. habe ich mir auch die Frage gestellt, wer denn überhaupt noch seine Meinung sagen und protestieren darf. Der kleine abgehängte Mann darf es nicht, die Akademiker auch nicht, wer bleibt noch übrig? Ausgewählte Redakteure?

Werner Meier / 05.04.2018

Immerhin klärt der Beitrag der SZ, weshalb die Grünen die Erklärung 2018 nicht unterzeichnet haben, bei denen der Studienabbruch in der Regel die Voraussetzung für die politische Laufbahn ist. Unklar bleibt allerdings, weshalb sie im Bundestag sitzen, obwohl sie die Elitz-Normen nicht erfüllen.

Ulrich Jäger / 05.04.2018

Werter Herr Broder, da hat die SZ wohl den Begleittext zur “Erklärung 2018” nicht richtig gelesen. Als “Autor” kann man Sie doch wohl aufgrund Ihrer Arbeiten und Veröffentlichungen bezeichnen, denn das steht dort weit vorn, “Akademiker” hinten. Sauber recherchieren sollte für ein Teil des “Recherchenetzwerks Deutschland” Mindeststandard sein.

S. Barth / 05.04.2018

Klasse, Herr Broder, selten so einen Spaß gehabt beim Lesen!

Andrea Obeck / 05.04.2018

Herrlich, lieber Herr Broder, Sie retten mir wieder einmal den Tag! Insbesondere die regelmäßige Kost Ihrer Kolumne lässt mich den sich steigernden alltäglichen Wahnsinn in dieser Republik ertragen. Und nicht nur das, sie stimmt mich überdies hoffnungsfroh. Beste Grüße Andrea Obeck

Thomas Gruber / 05.04.2018

Ernst Elitz schreibt in seinem Artikel: “Die Chance für eine längst überfällige Debatte wurde vertan”. Dies ist unaufrichtig und falsch. Die “Gemeinsame Erklärung 2018” wird bzw. hat die Debatte erst richtig angestoßen!

Gudrun Wolfrath / 05.04.2018

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Broder. Bleiben Sie bitte weiter “hyperaktiv”.

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