Ulli Kulke / 06.02.2020 / 12:55 / Foto: DiG / TRIALON / 41 / Seite ausdrucken

Erinnerung aus aktuellem Anlass: Die linke Mehrheit steht nicht

Wer gestern, am Mittwoch, 5. Februar, nachmittags das Radio einschaltete oder die Nachrichtenformate auf seinem Smartphone konsultierte, der konnte nur den einen Eindruck gewinnen: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik war da ein AfD-Mann zum Ministerpräsidenten gewählt worden, und zwar mit den Stimmen der CDU und der FDP. Stimmungslage: Kurz vorm 31. Januar 1933.

Man musste schon genau hinhören, um herauszuhören, was in Thüringen tatsächlich geschehen war: Dass nämlich vielmehr ein FDP-Mann zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, und zwar mit den Stimmen der CDU, der FDP (natürlich) – und der AfD. Ein Vertreter der traditionsreichen, anerkannten liberalen Partei hatte sich zur Wahl gestellt. Und hat die Wahl gewonnen. Das erst einmal gilt es, aus gegebenem Anlass, festzuhalten, bevor es daran geht, der Bedeutung des Ganzen nachzugehen.

In der Tat: Die derzeitige Parteienlandschaft in der Bundesrepublik und ihre Kräfteverhältnisse zeigen ein Dilemma auf. In Thüringen hatte sich bei der Landtagswahl im Oktober plötzlich gezeigt: Alle alten Parteien aus dem Bundestag von vor der 1989er-Wende, einschließlich der Grünen, haben zusammen keine Mehrheit mehr. Die beiden an den Rändern dagegen, die SED-Nachfolge-Partei Die Linke und die AfD kommen zusammen locker über 50 Prozent. Thüringen, nun gut – aber was dort geschah, kann auch in anderen Ländern passieren, oder, im Extremfall, auch auf Bundesebene. Wie damit umgehen?

In den Wochen und Monaten zwischen der Landtagswahl und der Ministerpräsidentenwahl zeigte es sich sehr deutlich, auch wenn dies so nicht ausgesprochen wurde: Die Parteien der alten rot-rot-grünen Regierung meinten, das Patentrezept für die Lage gefunden zu haben. Ganz einfach, wir ziehen die Wähler und die Abgeordneten der AfD einfach beim Wahlergebnis ab, sie stehen ja außerhalb, gehen uns nichts an, keiner will sie ja – und siehe da: Im Rest steht die linke Mehrheit plötzlich wieder, Linke, SPD und Grüne können einfach weiterregieren, wie in der Legislatur vorher. CDU und FDP werden da schon mitmachen, irgendwie, laut genug waren deren Bekenntnisse ja schließlich, dass die AfD auch für sie nicht existent ist. Was will man mehr?

CDU und FDP mitnehmen auf dieTraumreise?

Es ist ja äußerst praktisch, dass diese Strategie, womöglich auch für andere bundesdeutsche Parlamente passend, Pilotprojekt ausgerechnet in Thüringen über die Bühne laufen würde. Erstens: Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow ist unter seinen Parteikollegen sicher einer der seriösesten, bis weit ins bürgerliche Lager akzeptiert, salonfähig. Zweitens: der thüringische Landesverband der AfD wiederum ist innerhalb der Partei sicher der allerunseriöseste, am wenigsten salonfähig, im bürgerlichen Lager null akzeptiert, unter begründetem Faschismus-Verdacht stehend bis hin zum Partei- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Eine Asymmetrie an den politischen Rändern, die in diesem Ausmaß im Land beispiellos ist.

Da jene Strategie („Wir sind die Mehrheit“) aber nach allem, was aus dem R2G-Lager zur jetzigen Lage zu vernehmen ist, sehr schnell auch in anderen Bundesländern, womöglich auch auf Bundesebene, Bedeutung erlangen könnte, ist es vielleicht doch nicht das ganz große Unglück, wenn sie jetzt in Thüringen nicht allzu glatt aufgegangen ist. Die linke Mehrheit steht nämlich nicht, schon allein deshalb nicht, weil die Linke in Thüringen exorbitant stärker aufgestellt ist als in allen anderen Bundesländern. Die Versuchung, die Exterritorialität der AfD zur Ausrufung einer rotrotgrünen Bundesrepublik auszunutzen ist dennoch allgegenwärtig – wie durchschaubar.

Gewiss: Die AfD-Wähler in Thüringen müssen eingedenk des Personals um Höcke entweder selbst rechtsradikal sein oder in ihrem Bedürfnis, taktisch zu wählen, ein großes Verdrängungspotential aufweisen. Sie sind aber da. Und sie gehören in unserer Demokratie zum Wählerspektrum, zuletzt anwachsend. Sie einfach zu negieren, indem man den durchsichtigen Popanz einer linken Mehrheit pflegt und wie selbstverständlich meint, CDU und FDP hierbei mitnehmen zu können auf dieser Traumreise, einfach so, weil deren stärkstes Ansinnen vor allem anderen wie selbstverständlich die Abgrenzung gegen rechts zu sein hat – diese Haltung stärkt vor allem eines: Den Verdruss. Nicht nur bei der AfD. Und sie treibt die Spaltung im Land voran.

Jetzt ist der FDP-Mann gewählt. Eine gute Gelegenheit, nachzudenken, wie es dazu kam und was man jetzt daraus macht, Er muss natürlich darauf achten, sich nicht abhängig zu machen von der AfD eines Thüringer Schlages. Absurd aber wäre es, eine Politik zu verlangen, die in keinem Fall die Zustimmung der Rechten erzielen dürfte. Ansonsten blieben Thomas Kemmerich nur noch Enteignungen, Steuerhöhungen oder die Anschaffung einer große Flotte von Seenotrettungsschiffen für sein Regierungsprogramm.

Die AfD sitzt im Landtag, kein Ministerpräsident kann sie da herauspusten oder ihr Abstimmungsverhalten vorschreiben. Es läge dann aber eben zum Beispiel auch an der SPD, den Grünen und den seriösen Linken, den Ministerpräsidenten zu unterstützen, als Teil ihres „Kampfes gegen rechts“. Auch wenn sie einsehen, dass sie nicht die Mehrheit stellen.

Foto: DiG / TRIALON CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Frank Holdergrün / 06.02.2020

Jetzt sind sie halt da. Frau Merkel wird die Flüchtlinge aus den warmen Stuben der Altparteien bestimmt nicht ausgrenzen und ihnen Asyl gewähren. Die medialen Umerziehungslager, bestehend aus ARD und ZDF, DLF und allen Hochmoralmedien, haben ihre Arbeit schon mal aufgenommen, ab heute wird auf die Nichtdemokraten zurückjeschossen, gnadenlos und von der richtigen Sache überzeugt.

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