Von Fritz Graf.
Es gibt sie noch. Männer. Genauer, Männer, die ein organisiertes kollektives „Freizeit“-Wochenende in Zwangsgruppen verbringen, freiwillig und darin auch noch eine Erfüllung sehen. Keine Männerselbsthilfegruppe, kein Skiwochenende mit Freunden oder Sportveranstaltung mit Grenzerfahrung. Ein Wochenende, das nicht der Selbstverwirklichung dient, sondern dem Gemeinwohl gewidmet ist. Diese Männer sind eine aussterbende Spezies und trotz aller Umweltschutzgruppen und Minderheitenkümmerer in Deutschland eine Spezies, die bewusst der Nichtbeachtung ausgesetzt, ja sogar der Abschaffung von manch politischer Couleur preisgegeben wurde.
Alles wird unternommen, um diese Spezies aus dem alltäglichen Bild, aus der ökologisch korrekten, friedensbewegt bürgerlichen Wohlfühlwahrnehmung herauszufiltern. Soldaten sind schließlich Mörder. Die Gesellschaft lebt schon seit der Wiedervereinigung gut von der Friedensdividende, fast keine Landesverteidigung vorhalten zu müssen. Schon der Anblick eines Soldaten bewirkt bei einer Vielzahl von Bürgern komische Blicke und tiefempfundene Abneigung. Der Staat will niemanden provozieren und deshalb wird Reservisten, die ohne Entlohnung oder Aufwandspauschale einen Urlaubstag und ihr Wochenende der gesellschaftlichen Aufgabe der Verteidigungsbereitschaft widmen, von der Bundeswehr untersagt, in Uniform zur dienstlichen Veranstaltung anzureisen. Damit ist auch sichergestellt, dass keine Übergriffe auf die anreisenden Reservisten in Uniform stattfinden. Gleiche Anordnung gilt für aktive Soldaten, die eine Dienstreise antreten.
Die Gesellschaft will nicht mit der Notwendigkeit der Verteidigung des eigenen Staates konfrontiert werden. Auslandseinsätze, egal wie man dazu steht, werden in der Gesellschaft nicht diskutiert, maximal schweigend geduldet. Die Gesellschaft ist entwöhnt, uniformierte Soldaten im Alltag zu sehen, obwohl mit knapp 180.000 Bundeswehrangehörigen ein beachtlicher Anteil der Werktätigen tagtäglich dem Beruf des Soldaten nachgeht. Männer und Frauen.
Die ursprüngliche Idee des Grundgesetzes, eine Armee zu etablieren, die von den Bürgern gestaltet und kontrolliert wird, in der die Bürger mit ihrer Wehrpflicht nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung leisten, sondern gleichzeitig das Treiben der Zeit- und Berufssoldaten überwachen, ist dem Großteil der Bevölkerung vollständig abhandengekommen. Die Ratio hinter dem Begriff "Bürger in Uniform" ist weder bekannt noch wird sie gelebt. Profis kümmern sich stattdessen um die Aufgaben der Armee, eine Kontrolle erfolgt ausschließlich durch den Wehrbeauftragten. Landesverteidigung mit knapp 180.000 Soldaten, die in Auslandseinsätzen verteilt und mit unzureichendem Material ausgestattet sind, ist wenig realistisch.
Eine Armee nach dem Geschmack des plastiktütenfreien Bürgertums
Die der Friedensdividende unterworfene Größe der Bundeswehr ist die erwünschte und herbeigesehnte Wahrnehmung einer Landesverteidigung des bourgeoisen plastiktütenfreien Bürgertums. Ohne eine über die Wehrpflicht ermöglichte Auswuchsfähigkeit ist die Berufsarmee maximal in der Lage, mit Auslandseinsätzen völkerrechtliche vorgegebene Stabilisierungsmaßnahmen vorzunehmen. Eine Bundeswehr, die eine Landesverteidigung sicherstellen soll, muss, nachdem sie von 1989 bis heute auf Auslandseinsätze getrimmt wurde und Landesverteidigung aus Kostengründen eine immer geringere Priorität genoss, wieder auf eine Armee zur Landesverteidigung umgestellt werden.
Abteilung kehrt! Für eine Landesverteidigung bedarf es viel mehr neuen militärischen Materials, das erhebliche Kosten verursachen wird. Die 2 Prozent des Bruttosozialprodukts für den Wehrhaushalt als Verpflichtung gegenüber der NATO werden sicher übertroffen werden, wenn die Bundeswehr die Landesverteidigung als Auftrag ernst nehmen soll. Die Kehrtwende der deutschen Politik in Sachen Landesverteidigung durch die Bundeswehr beruht nicht etwa auf eigener Einsicht, eine Landesverteidigung zu benötigen, sondern auf einer Entscheidung der USA beziehungsweise der NATO, Osteuropa gegen Russland zu verteidigen.
Die NATO-Partner haben diese im NATO-Vertrag festgeschriebene Verpflichtung bis 1989 als selbstverständlich angenommen, in Deutschland Truppen stationiert und eigene schlagkräftige Streitkräfte unterhalten. Eine Verteidigung Osteuropas allerdings ist ohne ein verteidigungsfähiges West- und Mitteleuropa nicht nachhaltig denkbar und daher unglaubwürdig. Die beschlossene Verteidigung Osteuropas erfordert daher auch eine Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, die zur Zeit nicht gegeben ist, die für eine plausible Abschreckung Russlands allerdings notwendig wäre. Ein öffentlicher Diskurs darüber erfolgt im Gegensatz zu anderen Ländern in Deutschland nicht.
Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands nur mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht erreichbar wäre, denn nur diese ermöglicht eine Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr im Spannungsfall. Darüber jedoch wollen Politiker nicht sprechen, erst recht nicht vor einer Bundestagswahl. Die deutschen Medien vermeiden auch in diesem Fall eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Politik, die sich die Realitätsverweigerer dieser Republik so sehr wünschen.
Aufwuchsfähigkeit für den Spannungsfall und damit Wehrpflicht sind notwendige Elemente der NATO Strategie für Osteuropa, ob Deutschland es will oder nicht. Die von der Verteidigungsministerin angekündigte Erhöhung der personellen Stärke der Bundeswehr um 20.000 Soldaten, sofern diese überhaupt auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wird diese Lücke schwerlich füllen können. Und daher braucht es viele Männer und Frauen, die ihre Wochenenden nicht im Freizeitpark oder auf Ostermärschen verbringen, sondern sich vielmehr verpflichtet sehen, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands in Europa getreu dem Motto „Wir dienen Deutschland“ wiederherzustellen.
Fritz Graf, Jahrgang 1965, ist Jurist im Rhein-Main-Gebiet und Reserveoffizier. Nach einem Studium in den USA hat er auch im Ausland gearbeitet.