Volker Seitz / 17.12.2021 / 13:00 / Foto: Shehbaz Sharif / 16 / Seite ausdrucken

Erdogans Afrika-Pläne

Die türkische Afrika-Strategie ist viel breiter angelegt, als es in Deutschland wahrgenommen wird. Dabei zeigt nicht nur der dritte Türkei-Afrika-Gipfel am 17. und 18. Dezember, welch wichtiger Akteur die Türkei auf diesem Kontinent inzwischen ist.

In Deutschland kaum wahrgenommen, ist die Türkei auf der Suche nach strategischen Partnern und machtpolitischer Größe. Die neuen außenpolitischen Ambitionen lassen sich besonders gut auf dem afrikanischen Kontinent beobachten. Seit seinem Amtsantritt 2014 als Präsident hat Recep Tayyip Erdogan bereits 38 Mal den afrikanischen Kontinent betreten und 28 Staaten besucht – mehr als jeder andere nicht-afrikanische Staats- oder Regierungschef. Zuletzt vom 17. bis 21. Oktober dieses Jahres besuchte er Angola, Nigeria und Togo. Erdogan ist der erste türkische Präsident, der sich für den Kontinent interessiert. Die Türkei bietet sich Afrika als Alternative zu dem Westen und China sowie Russland an.

Eines der wenigen bekannten Fotos, auf denen Erdogan in der Öffentlichkeit lacht, wurde am 19. Oktober 2021 in Lomé, der togoischen Hauptstadt aufgenommen. Er scherzt auf dem Foto mit seinem Gastgeber, Faure Essozimna Gnassingbé, dem liberianischen Präsidenten und ehemaligen Weltfußballer George Weah sowie dem Kollegen aus Burkina Faso, Roch Marc Christian Kaboré.

Erfolgreiche Erprobung von Waffensystemen

In den Libyen-Konflikt hat die Türkei ungewöhnlich stark eingegriffen. Sie heuerte Söldner aus Syrien an und setzte bewaffnete Drohnen gegen den von Russland unterstützten General Khalifa Haftar ein. Die Bayraktar TB-2 Kampfdrohnen sollen eine entscheidende Rolle gegen den Rebellengeneral Haftar gespielt haben.

Wichtigster Partner in Afrika ist nach dem Zusammenbruch aller staatlichen Strukturen 1991 Somalia. 2016 eröffnete die Türkei ihre weltweit größte Botschaft in Mogadischu. Das „Camp Turkson“ – als erste Militärbasis in Afrika – wurde ein Jahr später eröffnet. Es ist vier Quadratkilometer groß und ist die größte türkische Militärbasis außerhalb der Türkei. Derzeit werden dort 1.500 Mann der somalischen Streitkräfte geschult. Eine Eliteeinheit wird in der Türkei trainiert.

Mit der erfolgreichen Erprobung türkischer Waffensysteme im Libyen-Konflikt, in Syrien und Bergkarabach lassen sich auch die Produkte der militärischen Industrie gut verkaufen. Mitte August 2021 kamen auch ein Dutzend afrikanischer Minister zur IDEF'21, der 15. International Defence Industry Fair in Istanbul. Die Waffenindustrie in der Türkei boomt.

Diplomatie, Bildung, Unternehmen

Die Handelsoffensive begleitet die Türkei mit dem Ausbau ihres diplomatischen Netzes: Die Zahl ihrer Botschaften hat sich in den vergangenen Jahren auf 43 mehr als verdreifacht. (Die erste türkische Botschaft in „Subsahara-Afrika“ wurde 1926 in Addis Abeba eröffnet.) Statt früher 10 sind heute 32 afrikanische Länder in Ankara diplomatisch vertreten. Türkische Fluggesellschaften fliegen mittlerweile in 60 afrikanische Destinationen.

Die staatliche Maarif-Stiftung ist in 67 Ländern aktiv und unterhält 335 Schulen, darunter auch in West- und Ostafrika. Als es 2012 zum Bruch zwischen Erdogan und seinem früheren Verbündeten, dem Prediger Fethullah Gülen, kam, gab es in afrikanischen Ländern über 100 Schulen der Gülen-Bewegung. Sie befinden sich inzwischen weitgehend unter Kontrolle der Maarif-Stiftung. Die türkische Agentur für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (TIKA) unterhält 30 Koordinierungszentren auf dem Kontinent.

Türkische Unternehmen haben in Accra/Ghana die neue Nationalmoschee (Ghana National Mosque /Ghana Millet Mosque), Sportanlagen im Senegal und in Ruanda sowie das 1224 km lange Schienennetz – zusammen mit portugiesischen Partnern – in Tansania gebaut.

Das Handelsvolumen von derzeit 25 Milliarden Dollar 2021 soll sich bis 2025 verdoppeln. Exportiert werden vor allem Baumaterialien, Lebensmittel, Informationstechnologien, Rüstungsgüter, Traktoren, Textilien, medizinische Geräte, Hygiene- und Reinigungsmittel. Sie sind billiger als entsprechende Produkte aus der EU, und türkische Produkte haben bei den afrikanischen Konsumenten in der Regel einen besseren Ruf als „Made in China“. Importiert werden aus Afrika Öl und Mineralien.

Dritter Gipfel Türkei – Afrika

Am 17. und 18. Dezember 2021 wird im Rahmen der türkischen Initiative der „Afrikanischen Partnerschaft“ der 3. Gipfel Türkei – Afrika stattfinden. Aus 45 Staaten werden Staats- und Regierungschefs in Istanbul erwartet. Auf der Agenda sollen der Kampf gegen Terrorismus (2018 spendete Ankara der Antiterroreinheit der G5 Sahel 5 Millionen Dollar) und die Krisen in Libyen, Somalia und Äthiopien, die Staatsstreiche in Mali, Guinea und Sudan stehen. Aber auch der Handelsaustausch, Tourismus und die Zusammenarbeit von Universitäten.

Die Türkei ist in Afrika zu einem außenpolitischen Akteur geworden, der erst genommen werden muss. Die Einhaltung von Menschenrechten und die Förderung der Demokratie spielen wie beim chinesischen und russischen Engagement keine Rolle. Es geht auch Ankara um Zugang zu Ressourcen, die Erschließung neuer Märkte und geopolitischen Einfluss.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).

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RMPetersen / 17.12.2021

“Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, Wenn hinten, weit, in der Türkei, Die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten; Dann kehrt man abends froh nach Haus, Und segnet Fried und Friedenszeiten.”

Wolfgang Kolb / 17.12.2021

Die Tuerkei expandiert, auch finanziert durch Katar, seine Interessensphaere in Bereiche, die bisher von Europa straeflich vernachlaessigt wurden.

Gerhard Schmidt / 17.12.2021

Ein heroisches Ringen um Afrika: Die Russen schicken Söldner, die Chinesen kaufen die lokalen Machthaber.  Und was schickt Erdogan: DITIB-Prediger - Die Erfolgsaussichten dürften eher gering sein…

Sabine Schönfelder / 17.12.2021

Der deutsche Karl Napf stellt sich Afrika als synkretistische Glaubensgemeinschaft vor. Eine übergewichtige Voodoo-Mami mit schwarzer Hautfarbe, die sich bei Fußpilzen und Aids tanzend Hühnerblut hinter die Ohren streicht. Tatsächlich ist der Islam unentwegt auf dem Vormarsch in Afrika. Erdogan kommt als „muslimischer Prophet“ auf den Kontinent. Stärkt seine muslimischen Brüder und wirbt für seine Religion. Indoktrination über Moscheen ist in strukturärmeren Ländern DIE Propagandamöglichkeit. Im muslimischen Gauben Rohstoffe abschöpfen. Was der Chinese übrig läßt, das kassiert Erdogan. Nützt es ihm? Der Chinese ist strukturierter und fleißig. Der Türke ist eher ein Händler, dem Kismet ergeben und die türkische Lira liegt am Boden. Aber was wissen wir wirklich darüber, was die globale „Geldelite“  mit Afrika vorhat? Nichts.

Jochen Lindt / 17.12.2021

Was ist daran falsch? Erdogan vertritt türkische Interessen.  Darin unterscheidet er sich nicht von USA, Russland, China, Frankreich, dem UK Resterampe-Empire und anderen. Dass deutsche Regierungen immer nur Politik gegen das eigene Land (und Volk) machen, ist doch nicht Erdogans Problem.

Peter Krämer / 17.12.2021

Man sollte das Interesse Erdogans an Afrika nicht unterschätzen, aber ich denke, am Ende sind die Europäer mit ihren finanziellen Mitteln doch attraktiver als der Sultan, der bald mit leeren Hosen dastehen wird.

Michael Müller / 17.12.2021

Die deutsche Türkei-Strategie hingegen besteht darin, Türken in die Parlamente zu wählen. Dort setzen sie sich dann für offene Grenzen, höhere Sozialhilfe und Familiennachzug ein. Irgendwie passt das ganz schön gut zusammen.

Joachim Krone / 17.12.2021

Ausser der gemeinsamen Religion hat die Türkei, fürchte ich, nicht allzuviel zu bieten. Ich wüsste jedenfalls von keinen türkischen Smartphones und anderen elektronischen oder Hitech-Gimmicks, auf die die Afrikaner sicher nicht verzichten wollen und bei Bündnissen mit den Chinesen oder den alten Kolonialmächten auch nicht müssen. Erdogan sieht sicher eine Chance zur Wiedererrichtung osmanischer Herrlichkeit gekommen, vergisst aber, dass unter Mustafa Kemal Pascha die eher “westlichen” arabischen Gebiete gegen das auch heute noch vergleichsweise rückständige Anatolien getauscht werden mussten.

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