Ahmet Refii Dener / 19.03.2025 / 12:23 / Foto: Imago / 19 / Seite ausdrucken

Erdogan: Konkurrent verhaftet, Proteste verboten

Ekrem İmamoğlu, Istanbuls Bürgermeister und Erdogans schärfster Konkurrent, wurde heute verhaftet. Vorsorglich wurde über die türkische Hauptstadt eine viertägige Demonstrationssperre verhängt, um größere Proteste im Keim zu ersticken.

Die jüngste Welle politischer Repressionen in der Türkei hat mit der heutigen Verhaftung von Ekrem İmamoğlu, dem Bürgermeister von Istanbul und potenziellem Präsidentschaftskandidaten der Opposition, einen neuen Höhepunkt erreicht. Obwohl die nächsten Präsidentschaftswahlen erst in vier Jahren stattfinden, galt İmamoğlu als der stärkste Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. In wenigen Tagen sollte er offiziell zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei CHP – der größten Opposition – ernannt werden. Doch nun wurde er unter dem Vorwurf der „Führung einer kriminellen Organisation“, „Zusammenarbeit mit der PKK“ sowie wegen „unrechtmäßiger Ausschreibungen und Bestechung“ festgenommen.

Hintergründe der Verhaftung

Die Staatsanwaltschaft wirft İmamoğlu vor, im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen seiner sozialdemokratischen Partei CHP und der pro-kurdischen Partei DEM bei den Kommunalwahlen die PKK unterstützt zu haben. Die türkische Regierung sieht die DEM als politischen Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, was diese jedoch bestreitet. In der Türkei enden solche Anklagen oft in langjährigen Haftstrafen ohne Aussicht auf eine faire Verhandlung – besonders solange Erdoğan und seine AKP das Land mit eiserner Hand regieren.

Im Zuge der Ermittlungen wurden zudem Haftbefehle gegen rund 100 weitere Personen erlassen, darunter Geschäftsleute und Journalisten. İmamoğlu wurde nach einer Durchsuchung seines Hauses einer medizinischen Untersuchung unterzogen, bevor er in Gewahrsam genommen wurde.

Mit der Festnahme İmamoğlus verliert die größte Metropole der Türkei ihren gewählten Bürgermeister. Es wird erwartet, dass Istanbul nun von einem von der Regierung ernannten Verwalter geführt wird – selbstverständlich aus den Reihen der AKP. Bereits in der Vergangenheit wurden demokratisch gewählte Bürgermeister, insbesondere aus oppositionellen Parteien, unter fragwürdigen Vorwürfen ihres Amtes enthoben und durch regierungstreue Funktionäre ersetzt. Die Kommunalwahlen in der Türkei verlieren dadurch zunehmend ihre Bedeutung, da demokratisch gewählte Vertreter jederzeit abgesetzt und durch AKP-nahe Personen ersetzt werden können.

Europa schweigt – Türkei als geostrategisches „Auffangbecken“?

Auffällig ist das weitgehende Schweigen europäischer Staaten zu dieser Entwicklung. Obwohl die Demokratie in der Türkei faktisch nur noch auf dem Papier existiert, gibt es kaum diplomatische Reaktionen oder Kritik. Die Türkei bleibt für die EU eine wichtige Pufferzone und ein Auffangbecken für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Afghanistan und Afrika. Solange Erdoğan diesen strategischen Vorteil geschickt ausspielt, scheinen die europäischen Regierungen wenig Interesse an den zunehmenden autoritären Tendenzen zu haben.

Die Verhaftung İmamoğlus hat bereits spürbare wirtschaftliche Folgen: Die türkische Lira fiel um zehn Prozent gegenüber dem US-Dollar, und der BIST-100-Index der Börse Istanbul verzeichnete einen Rückgang von fast sieben Prozent. Die innenpolitische Lage bleibt angespannt. Die CHP spricht von einem „Putschversuch“ gegen die Demokratie und ruft zu Protesten auf. Doch das Büro des Gouverneurs von Istanbul hat vorsorglich eine viertägige Demonstrationssperre verhängt, mehrere Bahnstationen geschlossen und zentrale Straßen abgesperrt, um größere Proteste im Keim zu ersticken. Außerdem soll der Zugang zu Social-Media-Plattformen wie X, YouTube, Instagram und TikTok in der Türkei eingeschränkt worden sein.

İmamoğlu selbst veröffentlichte kurz vor seiner Festnahme ein Video, in dem er erklärte, dass Hunderte Polizisten vor seinem Haus stünden. „Wir befinden uns im Angesicht einer großen Tyrannei“, schrieb er in seinem letzten Social-Media-Beitrag. „Aber ich werde nicht aufgeben.“ Die Zukunft der türkischen Demokratie steht erneut auf dem Spiel – und mit ihr die Glaubwürdigkeit Europas im Umgang mit autoritären Regimen.

 

Ahmet Refii Dener, Türkei-Kenner, Unternehmensberater, Jugend-Coach aus Unterfranken, der gegen betreutes Denken ist und deshalb bei Achgut.com schreibt. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite, bei Instagram sowie auf seinem Blog.

Foto: Imago

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

W. Renner / 19.03.2025

Die Omas gegen Rächts wohnen leider in Kreuzberg. Sonst würden sie dem Recep aber sowas von auf die Strasse gehen.

Wolfgang Richter / 19.03.2025

“Die Noch-Außenministerin Annalena Baerbock hat für sich einen Posten bei der UN organisiert” - Es gibt also doch noch was Positives in dieser Welt zu berichten. Selbiger bleibt zumindest für 1 Jahr ein verläßlicher Spaßfaktor erhalten, der allerdings dem einen oder anderen “echten” Comedian den Job streitig macht. Aber auch im Sinne der WHO voll ok, denn Lachen soll doch gesund sein, ggf. auch die Gesundheit fördern. Und ganz nebenher geht uns “diese Dame” dann hier nicht mehr auf den Zeiger. Eine echte Win-Win-Situation.

Wolfgang Richter / 19.03.2025

Was soll die Aufregung, wo in der Türkei doch damit nur das Vorgehen des EU-Wertewestens in Rumänien kopiert wird. Oder das in Bosnien-Herzegowina. Oder in Serbien. Oder in Georgien.  Muß damit das Vorgehen in der Türkei also alles ganz voll ok und demokratisch sein.

Jürgen Kleinicke / 19.03.2025

Auf jeden Fall erfüllt nun die Türkei alle Voraussetzungen für einen EU Beitritt!

Franz Klar / 19.03.2025

Da haben Kamala Harris und Péter Magyar ja bisher Glück gehabt ...

Jürgen Rhode / 19.03.2025

Ich würde mich eher wundern, wenn von der EU eine Reaktion käme. Denn das was gerade in der Türkei passiert, daß Erdoğan einen Konkurrenten ausschaltet, ist doch genau das, was die EU in Rumänien mit Georgescu gemacht hat. Eine Kritik an den türkischen Zuständen wäre in diesem Zusammenhang die reinste Heuchelei.

Thomin Weller / 19.03.2025

Gewählt, bestellt und wird geliefert. Alle von rechts bis links warnten die Deutschtürken den Erdogan und sein Ermächtigungsgesetz zu wählen. Selten trifft der Spruch “Heute die morgen Du” in so kurzer Zeit zu. “Europa schweigt – Türkei als geostrategisches „Auffangbecken“?” eine bösartige Verdrehung der Tatsachen. Der BND, CIA haben dem Erdogan und sein Rohölanliegen seiner Familie umfangreich geholfen. Despoten und Diktatoren sind weltweit geliebte Personen des BND, CIA, Vatikan. Kaum haben sich die Machtverhältnisse in Syrien verändert, jammert das türkische Herz und sucht die Schuld wie üblich woanders. Das einzig auffällige Schweigen der EU sind die türkisch politischen Morde in Europa. Immer und immer wieder das gleiche Theaterstück. Es nervt. Die Rache werden wohl millionen Migranten sein.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com