Hansjörg Müller / 30.03.2011 / 19:46 / 0 / Seite ausdrucken

Enzyklopädie des politisch korrekten Rassismus

„Wash Echte“ ist das Pseudonym eines in Berlin lebenden Bloggers angelsächsischer Herkunft, der sich mit Sitten, Gebräuchen und Ansichten trendiger deutscher Großstadtbewohner beschäftigt (http://www.ichwerdeeinberliner.com). Als Fan seines Blogs war ich natürlich begeistert, nach der Veröffentlichung meines Artikels über das deutsche Japan-Bild (http://bit.ly/fI0pbI) elektronische Post von „Echte“ zu erhalten – er sei froh, dass er doch nicht der Einzige sei, der den merkwürdigen Rassismus der Deutschen gegenüber den Japanern bemerke, ob ich nicht mehr über das Thema schreiben könne. Tatsächlich fiel mir nach einigem Nachdenken auf, dass in Deutschland, einem Land, das ja gerne besonders hohe moralische Ansprüche an sich selbst und noch mehr an andere stellt, gewisse Formen des Rassismus völlig alltäglich und akzeptiert sind – es handelt sich hier um eine Art „politisch korrekten“ Rassismus, der von den linksliberalen Mainstream-Medien nicht nur akzeptiert, sondern geschürt wird. Ich machte mich also daran, eine „Enzyklopädie des politisch korrekten Rassismus“ zu schreiben – vorerst ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Wer das folgende Nachschlagewerk ergänzen möchte, ist dazu herzlich eingeladen.

China, Japan: China und Japan sind zwei große und ganz verschiedene Länder. Warum wir trotzdem beide in einem kurzen Absatz abhandeln? Nun, wenn selbst die ARD einen Mann wie Bob Hetkämper als Korrespondenten nach Tokio schicken kann, der von tieferen Kenntnissen über sein Gastland gänzlich unbeleckt ist, besteht auch für uns kein Grund, die Ostasiaten ernst zu nehmen. Ohnehin sind sie sich ziemlich ähnlich: leben und arbeiten wie die Ameisen, bar jeder Individualität – und außerdem sind sie bis zum Fanatismus technik- und fortschrittsgläubig. Was sie von ihrer Profitgier haben, sieht man ja jetzt in Fukushima. Einen Unterschied gibt es zwischen beiden Ländern: China ist eine Diktatur. Das stört uns Deutsche allerdings weniger. Wer Helmut Schmidt aufmerksam zuhört, weiß, dass der Asiate für Demokratie einfach nicht geschaffen ist. Dass in China Minderjährige hingerichtet werden, braucht uns nicht zu empören, viel schlimmer sind da schon die wachsenden Treibhausgasemissionen der Volksrepublik.

Großbritannien und Nordirland: Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland kann einem aber auch tierisch auf die Nerven gehen. Da leben die in ihrer Splendid Isolation vor sich hin, unbelehrbar euroskeptisch. Es ist zum Verrücktwerden: unsere Piloten haben buchstäblich Kopf und Kragen riskiert, um Coventry in Schutt und Asche zu legen – und diese Ewiggestrigen haben es noch immer nicht begriffen: hätten wir die EU nicht, der Fünfte oder Sechste Weltkrieg stünde uns unmittelbar bevor.

Israel: Siehe hierzu die Schriften von Henryk M. Broder. Treffender kann man es nicht sagen.

Österreich: Die Österreicher haben den Deutschen den Gefallen getan, ihrem Landsmann Adolf Hitler mindestens genauso enthusiastisch zuzujubeln. Später haben sie dann allerdings so getan, als könnten sie sich nicht daran erinnern, warum ihr Land zwischen 1938 und 1945 vorübergehend von den Landkarten verschwunden war. Um die „Bewältigung“ ihrer Vergangenheit haben sie sich gedrückt. Unter uns: ganz schön blöd von ihnen, haben wir Deutsche doch durch die Aufarbeitung der NS-Zeit eine uneinholbare moralische Überlegenheit gegenüber allen anderen Nationen erworben (siehe Israel, USA). Und das macht doch wesentlich mehr Spaß als ständig FPÖ zu wählen und sich dafür von der „Süddeutschen Zeitung“ schurigeln zu lassen. 

Palästinenser: Kein Zweifel, es ist nicht immer einfach, ein Palästinenser zu sein. Andere haben es allerdings noch schlimmer erwischt, etwa die Kurden in Saddam Husseins Irak, die Schiiten in Saudi-Arabien, die Frauen im Iran oder die Menschen in Darfur. Trotzdem beschäftigt uns Deutsche vor allem das Schicksal der Palästinenser. Warum nur? Natürlich, weil wir uns moralisch verpflichtet fühlen, stets auf der Seite der Schwächeren zu stehen (siehe Tschechien). Aber warum ist uns dann zum Beispiel die Unterdrückung der muslimischen Minderheit im Süden Thailands völlig wurscht? Nun, man muss eben Prioritäten setzen. Selbst das Land der moralischen Weltmeister kann sich nicht um alles Elend auf diesem Planeten kümmern.

Polen: Die Polen haben den Krieg gewonnen, die Deutschen aber den Frieden, lautet ein polnisches Bonmot. Das war gut so, ermöglichte es uns doch, auf die armen Nachbarn herunterzuschauen („Autodiebe“). Hinterwäldlerisch sind sie auch noch: anstatt wie wir Deutsche „Mutter Natur“ und „Vater Staat“ anzubeten, halten diese Unbelehrbaren an einem alten heidnischen Kult, dem sogenannten „Katholizismus“, fest. Wenn Pater Tadeusz Rydzyk in seinem „Radio Maria“ mal wieder gegen die Juden hetzt, müssen wir uns zudem Sorgen um die demokratische Gesinnung unserer Nachbarn machen. Um Antisemitismus in seiner politisch korrekten Form auszuüben, ist es nämlich notwendig, fein säuberlich zwischen „den Juden“ und „Israel“ zu differenzieren – eine Aufgabe, die man als polnischer Dorfpfarrer doch lieber linken Intellektuellen wie Günter Grass überlassen sollte. Was uns auch noch stört: seit dem Ende des Kommunismus führt sich Polen gelegentlich auf, als wäre es ein souveräner Staat: am Irak-Krieg teilnehmen, die Zustimmung zu EU-Verträgen verweigern und jetzt auch noch in die Atomenergie einsteigen…man kann nur hoffen, dass Warschau es nicht allzu bunt treibt. Sonst könnten wir irgendwann wieder gezwungen sein, zurückzuschießen.   

Schweiz: Die Schweiz ist uns im Grunde genommen noch rätselhafter als China und Japan. In allem ist sie das Gegenteil von Deutschland: weigert sich, der EU beizutreten, erhebt niedrige Steuern, lässt das dumme Volk über Gott und die Welt abstimmen. Letzteres macht uns gelegentlich Sorgen: Minarettverbot und Ausschaffungsinitiative – ab und an müssen die Leitartikler der „ZEIT“ den Zeigefinger heben: sind unsere südlichen Nachbarn etwa Rassisten, ist in der Schweiz gar die Demokratie in Gefahr? Und was das Ärgerlichste dabei ist: die Schweizer Demokratie besteht länger als jede andere in Europa. Wie kann das nur sein: ausgerechnet das konservativste Volk Europas ist auf keinen Hitler oder Mussolini hereingefallen. Die Eidgenossenschaft scheint bestens zu funktionieren. Es ist zum verzweifeln: gegenüber der Schweiz scheinen einem die Argumente auszugehen. Egal, wie sagte schon Joseph Goebbels: „Allein die Schweiz bleibt unentwegt frech, aber wir werden diesen Hotelportiers schon noch das Maul stopfen!“

Tschechien: Die Tschechen mögen wir. Prag ist schön und das Bier billig. Außerdem identifizieren wir uns mit dem lustigen Schlitzohr Josef Schwejk, der die dummen Österreicher so schön an der Nase herumgeführt hat: man steht als Deutscher ja immer auf Davids Seite (siehe Palästinenser). Dass die Tschechen nach dem Krieg die Sudetendeutschen vertrieben haben, stört uns auch nicht – schließlich waren das alles CSU-wählende Rednecks, die dafür eine Bestrafung im Voraus verdient hatten. Das einzige Problem mit den Tschechen: Präsident Václav Klaus. Zweifelt doch tatsächlich an der EU und am Klimawandel. Natürlich sind wir Deutschen tolerant. Aber nur solange niemand eine andere Meinung hat.

USA: Dass die Nation Goethes und Schillers sich von den Erfindern von Mickey-Mouse und Coca-Cola befreien lassen musste, ist zweifellos die größte Unverschämtheit der Weltgeschichte. Die einzige Möglichkeit, unseren Schmerz darüber zumindest ein wenig zu lindern, besteht darin, unablässig an die Sklaverei, das Schicksal der Indianer und den Vietnam-Krieg zu erinnern. Auf dass die Amerikaner nicht rückfällig werden.

Hansjörg Müller schreibt auch für die kolumbianische Online-Zeitschrift „El Certamen“ (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/

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