Martina Binnig, Gastautorin / 18.11.2024 / 06:25 / Foto: Imago / 38 / Seite ausdrucken

Entwaldungsverordnung: CDU reißt Brandmauer im EU-Parlament ein

Die Brandmauer gegen rechts spielte Ende vergangener Woche im EU-Parlament plötzlich keine Rolle mehr. Die CDU bediente sich umstandslos "rechter" Stimmen, darunter solche der AfD. Drei Tage zuvor hatte Friedrich Merz im Bundestag die Brandmauer noch theatralisch erneuert. Geht doch, Herr Merz!

Am 14. November geschah Bemerkenswertes im EU-Parlament. Die Verschiebung der Anwendung der europäischen Entwaldungsverordnung (EUDR) stand zur Abstimmung. Da schon der Rat für eine Verschiebung votiert hatte, war es wenig überraschend, dass sich auch das Parlament dafür aussprach – und zwar mit 371 Ja-Stimmen gegenüber 240 Nein-Stimmen und bei 30 Enthaltungen. Doch das Parlament ging sogar einen Schritt weiter und nahm noch weitere Änderungsvorschläge an.

Federführend war dabei die CDU-Europaabgeordnete Christine Schneider, die die aktuelle Entwaldungsverordnung ein „bürokratisches Monster“ nennt, die – falls sie in jetziger Form umgesetzt würde – europäische Landwirte und Unternehmen behindern würde. Um ihr Anliegen durchzusetzen, kalkulierte die Europäische Volkspartei (EVP), der die CDU-Gruppe angehört, nun bewusst Stimmen von weiter rechts stehenden Parteien wie der AfD (Fraktion Europa der Souveränen Nationen, kurz: ESN) mit ein. Das heißt: Die Brandmauer gegen rechts spielte plötzlich keine Rolle mehr.

Zum Hintergrund: Die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte soll einen EU-Rechtsrahmen gegen die Zerstörung von Wäldern bieten und Anreize für den Übergang zu nachhaltigen Lieferketten in allen Erzeugerländern innerhalb und außerhalb der EU schaffen (achgut berichtete). Betroffen sind Produkte wie Holz, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk und Soja. Ursprünglich sollte die Verordnung schon Anfang 2025 in Kraft treten. Auch Papier für Bücher und andere Druckerzeugnisse sollten nur noch dann in der EU in den Verkehr gebracht werden, wenn sie entwaldungsfrei sind, das heißt, wenn sie aus Papier hergestellt worden sind, dessen Holz aus einem Wald geschlagen wurde, in dem es nach dem 31. Dezember 2020 zu keiner Entwaldung oder Waldschädigung gekommen ist.

Negative Auswirkungen auf die Produktion von Büchern

Unter Entwaldung wird die Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftlich genutzte Flächen verstanden. Das würde jedoch bedeuten, dass Verlage sämtliche Grundstücke angeben müssten, auf denen das jeweilige Holz für ihre Bücher erzeugt wurde. In der Praxis ist das unmöglich. Die Verordnung hätte in ihrer jetzigen Form also negative Auswirkungen auf die Produktion von Büchern überhaupt gehabt. Was besonders bedenklich ist, weil Bücher im Gegensatz zu digitalen Quellen nicht nachträglich verändert werden können und daher unmanipulierbare Dokumente darstellen.

Schneider ging es allerdings bei ihren Änderungsvorschlägen vor allem darum, den Bürokratie-Aufwand zu verringern. Nach ihren Vorstellungen soll nur dasjenige Unternehmen, das ein Produkt erstmals auf den Markt bringt, für den Nachweis der Abholzungsfreiheit verantwortlich sein. Von Unternehmen solle nicht verlangt werden, dass sie die Abholzungsfreiheit über die gesamte Lieferkette hinweg immer und immer wieder nachweisen müssen. Darüber hinaus solle das Gesetz erst dann umgesetzt werden, wenn die Datenplattformen zur Produktherkunft voll funktionsfähig sind und wenn die EU-Kommission ein System zur Risikoklassifizierung ausgearbeitet hat. Beides hatte die Kommission jedoch noch nicht geleistet.

Daher herrschte große Einigkeit darüber, dass das Inkrafttreten der Verordnung um ein Jahr verschoben werden sollte. Nun hat das EU-Parlament allerdings den Aufschub geschickt dafür genutzt, nachzubessern. Zwar sind nicht alle Vorschläge Schneiders in der finalen Version aufgegriffen worden, zumal die EVP im Vorfeld selbst einige Vorschläge wie etwa die Verschiebung der Verordnung um zwei Jahre wieder zurückgezogen hatte, doch der wesentliche Vorschlag wurde übernommen: Er zielt auf die „Risikoklassen“ ab, in welche die EU-Kommission einzelne Länder einteilen soll. Bislang waren drei Kategorien geplant: gering, normal und hoch. Durch dieses Benchmarking-System soll das „Risiko“ von  Ländern im Zusammenhang mit Entwaldung und Waldschädigung erfasst werden, was den Umfang von Kontrollen und Nachweispflichten bestimmen würde.

Tatsächlich Sachpolitik über Fraktionsgrenzen hinweg

Nach dem Willen des EU-Parlaments soll jetzt aber noch eine vierte Kategorie ergänzt werden: nämlich für Länder, die „kein Risiko“ aufweisen, weil sie über eine stabile oder seit 1990 zunehmende Entwicklung der Waldfläche verfügen. Für diese Länder sollen deutlich weniger strenge Anforderungen der Lieferketten-Dokumentation gelten.

Der Änderungsvorschlag des Parlaments wird nun an den Umweltausschuss des EU-Parlaments (ENVI) zurückverwiesen. Das EU-Parlament und der Rat haben bis Mitte Dezember Zeit, eine Einigung zu erzielen. Die letzte Gelegenheit dafür ist die Plenarsitzung vom 16. bis 19. Dezember. Falls es dort zu keiner Einigung kommen sollte, könnte das Gesetz doch noch, wie ursprünglich geplant, bereits ab 2025 gelten.

Nach dem Abstimmungsverhalten vom 14. November besteht allerdings eine reelle Chance, dass im neuen EU-Parlament tatsächlich Sachpolitik über Fraktionsgrenzen hinweg gemacht wird und die Brandmauer gegen rechts bei wichtigen Entscheidungen wie eben zur Entwaldungsverordnung, die letztlich sogar einen Angriff auf das Kulturgut Buch darstellen würde, hinfällig wird. Und das ist – obwohl es selbstverständlich sein sollte – geradezu sensationell!

Quellen:

Abänderungen des Europäischen Parlaments vom 14. November 2024 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2023/1115 hinsichtlich der Bestimmungen zum Geltungsbeginn (COM(2024)0452 – C10-0119/2024 – 2024/0249(COD))

Abstimmungsergebnisse

Namentliche Abstimmung

 

Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.

Foto: Imago

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W. Renner / 18.11.2024

Merkt eigentlich keiner mehr, dass in diesem EU Bürokratiemonster die Frage mit welchem Schwachsinn die sich unter Verschwendung von Milliarden von Steuergeldern völlig sinnfrei befassen, der Skandal ist?

Klara Altmann / 18.11.2024

Es geht Merz hierbei unübersehbar um das Merkel-Erbe der bedingungslosen Massenmigration nach Deutschland und Europa und der damit angestrebten Veränderung der deutschen Bevölkerungsstruktur. Er will, kann oder darf die Grenzen nicht schließen, offenbar spielt unser dringendes Interesse für ihn dabei keine Rolle, auch nicht die Sicherheit der Menschen in Deutschland, dafür die Brandmauer. Wir sind nichts für diesen Mann, wir sind für ihn als Bürger offensichtlich bedeutungslos und das muss man sich täglich vor Augen halten. Die Brandmauer ist nur dafür da, den Merkel-Kurs zu schützen und dafür steht Merz. Mit Merz wird es niemals eine Veränderung geben, nur ein Fortführung der Katastrophenpolitik. Das sollten sich all jene dringend vor Augen halten, die ernsthaft erwägen, diesen Mann zu wählen. Und dass er uns wohl mit Ankündigung in WK III führen wird. Darf man einen solchen Menschen wählen? Wie verantwortungslos wäre das? Die CDU bleibt unwählbar, bis sie sich erneuert hat und wieder zu ihrem ursprünglichen Kern gefunden hat.

B.Jacobs / 18.11.2024

Es geht hier nicht darum, dass der Osten am geopolitischen Entspannungsprozess unter Kohl, Genscher, Gorbatschow und US Außenminister Baker fest halten will, mit dem Versprechen KEINE NATO OSTERWEITERUNG,  sondern auch darum wie weit wir gehen und möglicherweise einen Krieg in Europa, vor allem in D. auslösen könnten.

Albert Martini / 18.11.2024

@Dieter Rose: “Mutti” ist mit Sicherheit das genialste Gaunerwort aus der Zeit der Honeckerette und ich werde bis an mein Lebensende die Klatschfiguren aus der CDU verabscheuen, die ihr nach der Invasion extra euphorisch zujubelten. Margot Morgentau - Arafat wäre treffender gewesen.

Sven Hoffmann / 18.11.2024

Auch für mich ist die Frage von Krieg oder Frieden die aktuell entscheidende Frage. Sowohl bei den kleinen als auch den ganz großen Konflikten dieser Welt gehören nur wirklich verantwortungsvolle, weitsichtige Problemlöser in die entscheidenden Positionen. Sandkastenhelden, die (nicht nur) mit allzu schwachem Nervenkostüm ausgestattet, zynisch und wild um sich schlagen und ihre Gefühle nicht unter Kontrolle haben, braucht kein Mensch. Solcherart einfältige “Konfliktlösungen”, unwürdig und primitiv für lebenserfahrene Menschen, erzeugen bekanntlich nur neue Ungerechtigkeiten, die auf lange Sicht nicht nur die unmittelbar betroffenen Leute keinen Schritt weiter bringen. Ganz im Gegenteil. Deshalb: Nehmt den Kindern das Kommando! Sonst kann das nichts werden mit: “Nie wieder Krieg.”

A. Ostrovsky / 18.11.2024

@Walter Weimar : >>Die CDU will die Hanfgesetze wieder streichen. Das wird ihr den Wahlsieg nehmen.<< O, Weh! Dann hat die CDU ja die Produzenten und die Konsumenten gegen sich, und die Profiteure erst recht. Sie werden schon ein Produzenten-Schutzgesetz verabschieden, das auch die Profiteure großzügig mit einschließt. Der Schwarzfritz ist doch kein Dummer. Der kennt sich doch aus mit dem Clientel.

B.Jacobs / 18.11.2024

Wir streiten uns nur noch über Politiker die Krieg wie einen Abenteuerspielplatz sehen, auch ein Genosse Merz, der sich fürchtet, damit sein Kriegsspielzeug nicht abhanden kommt Brandmauern für den Frieden und die Fortführung des geopolitischen Entspannungsprozesses der Ära Kohl fort zu führen. Ich habe im Abi das Antikriegsbuch von Henri Barbusse “Das Feuer” gelesen, wie grausam sich Soldaten dank der Eliten gegenseitig abgeschlachtet haben, Soldaten ihre Kameraden in feindlicher Erde verscharren mussten, habe die Doku “Stalingrad” gesehen, wo junge deutsche Burschen grausam im Kessel verreckt sind, nur weil Adolf Hitler Russland den Krieg erklärt hat, brauchen wir wirklich eine Wiederholung nach zwei furchtbaren Weltkriegen mit so vielen Opfern auf allen Seiten, Herr Merz? Für die nächste Schweinerei der SPD Grünen Ampel kann die CDU nichts, die hinter dem Rücken aller Beteiligten im BT durchgezogen hat. Herr Lindner, die FDP ist zur Besinnung gekommen und hat sich geweigert weitere Finanzen für Kriegsspielzeug in die Ukraine locker zu machen, deshalb ist die Ampel geplatzt. Was macht Herr Scholz als Musterknabe für den korrupten Herrn Biden und den korrupten Herrn Selensky, ersetzt Lindner mit einem SPD Genossen, der sofort Militärausgaben für die Lieferung von Drohnen für die Ukraine locker gemacht hat. Soll uns der Laden um die Ohren fliegen und der grüne Hofreiter wünscht sich noch mehr Atomraketen aus den USA, die er zahlreich in Russland abwerfen will. Wer SPD und Grüne wählt, wählt Krieg! Herr Merz, geben Sie sich einen Ruck, reißen sie Brandmauern für den Frieden ein und mit Donald Trump wäre es vielleicht möglich.

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