Gastautor / 12.07.2024 / 12:00 / Foto: KI / 21 / Seite ausdrucken

Enttäuscht vom Islam

Von Artur Abramovych.

Im Buch „Scharia und Smartphone“ versammelt Chaim Noll seine Texte zum Islam aus den vergangenen 25 Jahren. Sie zeugen von Entfremdung und Enttäuschung.

Anders als bei unseren französischen Nachbarn, wo sie längst Einzug in den Mainstream gehalten hat, gilt die Islamkritik, mithin die Auseinandersetzung mit dem Islam als mit dem europäischen Modell unvereinbarer Herrschaftsform, hierzulande nach wie vor als ungebührlich oder gar unanständig. Während in Frankreich sogar die politische Mitte und manche Linksliberale sich nicht scheuen, die durch den Islam entstehenden Missstände beim Namen zu nennen, werden diese Religion und ihre Vertreter, ungeachtet ihrer zum Linksliberalismus konträren Wertvorstellungen, vonseiten der offiziösen deutschen Politik nach wie vor folkloristisch als sogenannte Bereicherung des hiesigen Diversity-Mosaiks glorifiziert.

Zweifelsohne hängt dieser Umstand damit zusammen, dass die im Westen seit dem 11. September 2001 intensivierte Islamkritik hierzulande lange Zeit von eher randständigen Blogs ausging und sogar vonseiten der politischen Rechten distanziert, zuweilen gar als Spielart plumper Religionsfeindlichkeit behandelt wurde. Die ersten in die Breite wirkenden islamkritischen Bestseller in Deutschland entstanden denn auch allesamt erst im Verlauf der vergangenen zehn oder allenfalls fünfzehn Jahre, zumal nach den ernüchternden Erfahrungen mit den ersten Sitzungen der von Wolfgang Schäuble ins Leben gerufenen Deutschen Islamkonferenz, auf die viele Hoffnungen gesetzt worden waren, die sich allerdings als Selbstbeweihräucherungsplattform für Regierungsparteien und Islamverbände erweisen sollte.

Erst seit wenigen Jahren kann davon die Rede sein, dass die hiesige interessierte Leserschaft über eine gewisse Auswahl an Islamkritikern mit jeweils individuellem Zugang zum Gegenstand verfügt. Neben Orientalisten wie Tilman Nagel haben auch Wissenschaftler aus anderen Disziplinen, etwa die Ethnologin Susanne Schröter, ferner aus vornehmlich sozioökonomischer Perspektive berichtende Politiker wie Thilo Sarrazin sowie schließlich aus eigener Erfahrung sprechende Autoren wie Hamed Abdel-Samad und Ahmad Mansour die auf dem hiesigen Buchmarkt erhältliche Islamkritik tatsächlich bereichert.

Beduinengesänge als Ventil für verbotene Gefühlsäußerungen

Diese Palette wird seit wenigen Monaten ergänzt um das Buch eines Romanciers und Literaturwissenschaftlers, dessen Zugang zum Islam sich grundlegend von dem aller vorgenannten Autoren unterscheidet. Als er die DDR als angehender Schriftsteller verließ, hätte es sich Chaim Noll, Sohn des kommunistischen Staatsdichters Dieter Noll, niemals träumen lassen, dass ihn seine weitgehend verschüttgegangenen jüdischen Wurzeln dereinst verschlagen würden in die Nachbarschaft des Islam. Doch lebt er inzwischen seit mehr als 25 Jahren in der Wüste Negev im Süden Israels.

Der vorliegende Band versammelt Texte Nolls aus ebendieser Zeitspanne. Ihre chronologische Anordnung lässt den Leser nachvollziehen, dass die Auseinandersetzung des Autors mit dem Islam zunächst vornehmlich literarhistorischer Natur war; im Zuge seines Lehrauftrags an der Universität Beer Sheva und der Arbeit an seinem opus magnum, der 2020 erschienenen Literaturgeschichte der Wüste, beschäftigte sich Noll etwa ab der Jahrtausendwende mit den örtlichen Beduinengesängen. Wie es dazu kam, erzählt er in einem Essay von 2003; es war der seinerzeitige Militärgouverneur des israelischen Südens, der arabische Jude Sasson Bar-Zvi, der die mündlich tradierte Lyrik der Beduinenstämme aufzeichnete und die entstandenen Aufnahmen nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst der Universität Beer Sheva vermachte. Noll war Teil jenes Forschungsteams, das die Gesänge verschriftlichte, kategorisierte und in Übersetzungen zugänglich machte.

Zunächst war Nolls Interesse am Islam weit davon entfernt, politisch motiviert zu sein; allenfalls bestimmte Charakteristika der Beduinengesänge erlaubten ihm eine Annäherung an den Islam als Gesellschaftsmodell und Herrschaftsform, dienen doch diese Gedichte den erst relativ spät islamisierten Beduinen aus Nolls Sicht „als Ventil für gesellschaftlich verbotene Gefühlsäußerung“: „In Form von angeblich Erlebtem wird ausgesprochen, was sonst nicht in Worte gefasst werden darf: erotische Sehnsucht, Verlangen, Hoffnung auf Wechsel“.

Islamisierung der benebelten Spaß-Gesellschaft

Erst mit den Anfeindungen gegen den von Noll geschätzten Papst Benedikt XVI. im Nachgang zu seiner Regensburger Vorlesung von 2006, als Anhänger des Islam weltweit gläubige Christen „mit Geschrei und Feuer einzuschüchtern“ suchten, beginnt Noll zunehmend, den Islam politisch zu betrachten. In diesen Jahren setzt seine Beschäftigung mit dem Koran ein. Dabei folgt die von Noll sukzessive geübte Islamkritik keineswegs einem religionsfeindlichen Impetus, ist er doch schon vor mehreren Jahrzehnten selbst religiös geworden; weit eher als auf Religionskritiker beruft sich Noll auf jüdische Theologen wie Abraham Geiger, den Begründer des Reformjudentums, oder den nationaljüdischen Philosophen Franz Rosenzweig, die den Islam als primitiv und unreflektiert betrachteten.

Hervorzuheben ist unter den Beiträgen ferner ein Interview mit dem jüdischen Schriftsteller Ralph Giordano; Nolls bald darauf verstorbener Freund gehörte zu den ersten Islamkritikern in Deutschland und erlebte in seinen letzten Lebensjahren die weitgehende Verbannung aus dem juste milieu. Dies auch nur aus der Ferne mitbeobachten zu müssen, hat Noll zunehmend pessimistisch gestimmt; ab 2010 benützt er schließlich den (seinerzeit nahezu inkriminierten) Begriff der „Islamisierung“ nicht mehr nur als historischen Terminus, sondern auch in Bezug auf Vorgänge im „benebelten Europa der Spaß-Gesellschaft“.

Die jüngsten hier versammelten Texte sind hauptsächlich Kommentare zum politischen Tagesgeschehen. Anhand dieses Bands lässt sich die Entwicklung der Islamkritik im deutschen Sprachraum eindrücklich nachvollziehen. Bemerkenswert bleibt dabei der Umstand, dass Noll, anfänglich zumindest, dem Islam nicht ohne Sympathie begegnete, sondern sich dieser Religion, wie er selbst in seinem Vorwort ausführt, „immer in der Hoffnung auf inner-islamische Alternativen zu den heute verbreiteten aggressiven Auslegungen des Korans“ widmete. Diese Hoffnung wurde leider zunehmend enttäuscht; und so kommen hier denn auch solche Leser auf ihre Kosten, die sich, zumal angesichts der weitgehenden Abwesenheit einer hiesigen Debattenkultur, eine polemischere Auseinandersetzung mit dem Islam wünschen.

Chaim Noll: Scharia und Smartphone. Texte zum zeitgenössischen Islam, GHV 2023, hier bestellbar.

Rezension erschien zuerst in JUNGE FREIHEIT Nr. 28/24 vom 5. Juli 2024 (Print).

 

Artur Abramovych, geb. 1996, ist ein deutsch-jüdischer Literaturwissenschaftler ukrainischer Herkunft.

Foto: KI

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Ralf Pöhling / 12.07.2024

Der Islam ist als Ideologie unglaublich hartnäckig und extrem schwer zu knacken. Dem Islam Toleranz beizubringen und ihn zu freiwilliger Balance mit anderen Kulturen und Religionen zu bewegen, ist ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Was geht, ist weniger Islam und mehr weltliche und wissenschaftliche Bildung. Je mehr weltliche und wissenschaftliche Bildung, desto eher stellen seine eigenen Anhänger den Islam in Frage, weil die Widersprüche zwischen nachweisbaren wissenschaftlichen Fakten und religiöser Darstellung nicht aufzulösen sind. Das ist der Weg. Anders wird es nicht funktionieren. Die islamische Welt braucht eine Aufklärung. Sonst droht die maximale Konfrontation. Und das wäre eine Sauerei globalen Ausmaßes, die den Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten lassen würde.

Peter Faethe / 12.07.2024

(Pardon, ich muß mich zitieren.) Islam-Bashing ist m.E. realitätsfern. Zwar sind hier Moslems über-kriminell und unter-bildungsfähig, doch ist das z.B. in den USA nicht so. Sind Religionen überhaupt relevant? Nach der uns seit fast 80 Jahren aufgedrückten und offenkundig dämlichen Weltanschauung darf man oft Religionen straflos ans Bein pinkeln, aber alles mit „Rasse“ ist StGB-geschützt tabuisiert. Das Gemecker „Kopftuch-Mädchen“ und „kleine Paschas“ ist nur ein Schein-Gefecht, das von den realen, aber tabuisierten Übeln ablenken soll. Es sollte allgemein - auch den .geschwätzigsten Islamophoben und Islamophobinnen - bekannt sein, dass alle Staaten Westafrikas sehr große Mehrheiten von Moslems aufweisen - Ausnahme Liberia, dessen Bewohner zu 85 Prozent christlich (meist protestantisch) sind. Diese Staaten und deren Einwohner sind allesamt auffällig defekt, was Militär-Putsche, brutale „Demokratie“, beschissene Volkswirtschaft, Korruption, Bildungsfähigkeit, Lernwillen, Kriminalität usw. betrifft, völlig egal, ob man das einzige protestantische oder eines der vielen islamischen Länder betrachtet. Also ist – wie grad gesehen – die Religion als Variable unwichtig. Was ist das Gemeinsame dieser Länder ? Ich hoffe, die Abstraktionsfähigkeit des geneigten Lesers nicht zu überfordern. Die Religion ist es nicht. Den Tabu-Verächtern wird gewiss jetzt das Unwort einfallen.

Gregor Waldersee / 12.07.2024

@Thomas Szabo, treffend beschrieben die große Hoffnungslosigkeit: “Seinesgleichen ist mit unserer Kultur nicht kompatibel und gehört nicht hierher. Man sollte ihm einen Halāl-Lunchpaket und einen Flugticket in seine Heimat schenken und eine gute Reise wünschen.” Bin soeben einer Mutter mit Kopftuch begegnet, neben sich ein Mächen von ca. 3 Jahren, mit großen Augen und lächelnd in die Zukunft blickend. Ich musste heulen bei dem Gedanken, wenn in 12 Jahren auch sie nichts als ein Acker für Männer sein wird, die gerne an einer Religion festhalten, die ihnen die Gefährtin zur Sklavin schenkt. Wir alle unterschätzen die Glaubenskraft dieser unveränderbaren Religion, die seit 1400 Jahren die Menschheit versklavt. Lange schon wird die Islamisierung Europas vorhergesagt und ebenso lange wird diese Prophezeiung als übertrieben bezeichnet und abgetan. Vielleicht wäre es dabei geblieben, hätte nicht der 4. September 2015 eine Zäsur gesetzt. Seit Angela Merkels Offerte, nach Europa zu kommen, ist es, als befänden wir uns in einer anderen Epoche. Der 4. September 2015 könnte als der Beginn einer neuen Zeitrechnung gelten, der Tag 1 einer neuen Auswanderung, einer neuen Hidschra, der Muslime. Sie kommen, eingeladen von der Bundeskanzlerin, genauso wie Mohammed und seine Helfer einst von einer Abordnung aus Medina dorthin eingeladen wurden, wie die Tradition erzählt. Diese Analogie kann Muslimen nicht verborgen bleiben und viele werden sie als Zeichen deuten. Jeder Muslim weiß, dass die Auswanderung Mohammeds nach Medina der Beginn seiner Machtausübung war. Er war gekommen, um zu herrschen, auch gegen Widerstände. Gemäß der traditionellen Erzählung begann mit der Hidschra der Siegeszug des Islams. Die Regentschaft in Medina war der Auftakt zur Eroberung eines arabischen Weltreiches. Mohammed war ein Flüchtling, der in Mekka von den eigenen Leuten verfolgt und nun in Medina zum weltlichem Herrscher und Apostel Gottes aufstieg. So sehen sich Muslime heute bei uns.

Klaus Keller / 12.07.2024

Ich mache mir mehr Sorgen wegen unserer Fehler, als wegen der Pläne unserer Feinde.

Charles K. Mayer / 12.07.2024

Im Gegensatz zum Koran ist die Bibel immerfort ausgelegt worden, und zwar schon lange vor der Existenz der historisch-kritischen Schule, durch das kirchliche Establishment wie auch durch dessen Gegner, mithin durchaus unterschiedlich bis gegensätzlich. Man kann diese Auslegungen für falsch halten, entscheidend ist, dass sie grundsätzlich möglich waren und sind. Der Koran allerdings ist aufgrund seiner von ihm behaupteten und von den Muslimen geglaubten göttlichen Substanz NICHT AUSLEGBAR, was ihn vor allen anderen Dingen von der Bibel unterscheidet und den Islam infolgedessen zu einem auch von ‘kritischen” muslimischen Gelehrtenunveränderbaren, granitenen Glaubensfels macht.

Reinmar von Bielau / 12.07.2024

Ich mag Noll. Seine Analyse des Islam ist ehrlich und scharf. Danke dafür Chaim! Ich arbeite in der Nähe einer Kopftuch Kollegin und leicht ist das nicht. Eine diesr modernen Islamistinnen, die permanent Forderungen stellt und linke Denke für den Islam nutzt.

Peter Jkoljaiczek / 12.07.2024

Wie die Islamkritik endet, hat Mannheim der ganzen Welt gezeigt. Diese Welt zieht es dennoch vor, den Kopf ganz tief in den Sand zu stecken. Wohl in der Hoffnung, damit ein Messer im Nacken verhindern zu können.

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