Sabine Drewes, Gastautorin / 07.12.2018 / 06:11 / Foto: Bundesarchiv / 78 / Seite ausdrucken

Entossifizierung sofort!

Ich wollte eigentlich gar nicht mehr die Begriffe Ost- und Westdeutsche verwenden. Ich habe mich auch zu Zeiten der Teilung unseres Landes strikt geweigert, von „DDR-Bürgern“ zu reden. Für mich waren die Menschen in Sachsen oder Mecklenburg genauso Deutsche wie in Bayern oder Hessen.

Nun aber hat das Bundesministerium des Inneren (BMI) erklärt, es sehe gravierende Versäumnisse bei der Wertevermittlung in Ostdeutschland. Heimatstaatssekretär Merkus Kerber (CDU) sagte der BILD-Zeitung, es müsse genauer untersucht werden, wie es eigentlich um die Ostdeutschen stehe, „die im Moment anscheinend ganz anders über Fragen der Zugehörigkeit und des Zusammenhalts denken.“ Er wolle die Ostdeutschen jetzt besser integrieren: „Unsere Integrationspolitik ist also beileibe nicht nur auf Zuwanderer beschränkt“. „Wir wollen und müssen“, so Kerber, uns vor allem „mit wütenden und enttäuschten Bürgern, die sich abgehängt fühlen“, auseinandersetzen. Auf diese Idee hat ihn möglicherweise diese Dame gebracht.

Nun wäre es in der Tat mehr als löblich, wenn die Bundesregierung ernsthaft darüber nachdenken würde, warum diese Bürger wütend und enttäuscht sind, warum sie „anscheinend ganz anders über Fragen der Zugehörigkeit und des Zusammenhalts denken“. Aber genau darum scheint es Kerber nicht zu gehen, wenn das BMI vor allem gravierende Versäumnisse in der Wertevermittlung in Ostdeutschland sieht. Im Klartext: Die Ostdeutschen ticken falsch, das müssen wir ändern! Daraus aber spräche, mit Verlaub, eine ziemliche Herablassung.

Man darf bezweifeln, dass diese Art vormundschaftlichen Denkens bei den Ostdeutschen auf Verständnis und Begeisterung stoßen wird. Wahrscheinlicher ist indes, dass sie nun erst recht auf stur schalten werden. Eine Bundesregierung, die so tut, als habe sie die Weisheit für sich gepachtet und jeder, der anderer Meinung ist, müsse zur Räson gebracht werden, die leistet dem Eindruck kräftig Vorschub, hier soll das Volk oder sollen Teile eines Volkes wieder einmal umerzogen werden.

Die Ostdeutschen haben 1953 und 1989 um ihre Freiheit gekämpft

Auf diese Idee ist seltsamerweise niemand gekommen, solange jene von Kerber erwähnten Bürger nur auf Parolen der PDS und der Linkspartei hereinfielen. Auch nicht, solange nur das SED-Regime beschönigt wurde und eine groteske Ostalgie sich breitmachte. Erst mit dem Erstarken der AfD fühlt man sich offenbar bemüßigt, das Volk belehren zu müssen, wie und was es zu denken habe.

Nicht einmal die Familien-usw-Ministerin Giffey, eine gebürtige Ostdeutsche, scheint diese Besserwessimanier (Kerber ist in Ulm geboren) zu stören. Sie hat ja das Vorwort zu jener Broschüre geschrieben, die aufzeigt, wie man „völkische Elternhäuser“ erkennt und ihnen entgegenwirkt. Dass die darin aufgezeigten Beispiele wie an den Haaren herbeigezogen oder wie von Empfehlungen für die HJ und den BDM abgeschrieben wirken, ist wohl auch nur den Gescheiteren aufgefallen. So viel Klischee auf einmal geht gar nicht.

Wie wäre es, wenn die Bundesregierung einmal zur Kenntnis nehmen würde, dass wir in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat leben, in dem jede Meinung jenseits extremer politischer Positionen erlaubt ist und niemand wegen seiner politischen Ansichten bevorzugt oder benachteiligt werden darf? Dass Meinungsvielfalt auch bedeutet, heftig streiten zu dürfen, dass es absolute Wahrheiten nicht gibt und dass Denkverbote jeden Fortschritt behindern und ein Rückschritt in die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts bedeuten?

Die Ostdeutschen haben 1953 und 1989 unter Einsatz von Gesundheit, Leib und Leben für die Freiheit und Einheit Deutschlands gekämpft. Den Westdeutschen wurde nach 1945 dieser heroische Kampf um die Freiheit erspart, weil die Amerikaner ihnen dies weitgehend abnahmen. Zum „Dank“ mussten sich die USA dafür oft von uns beschimpfen lassen, bis heute.

Wo ist der Beleg für das Gefühl des "Abgehängtseins"?

Woraus leitet Kerber den Anspruch ab, dass Ostdeutsche falsch, Westdeutsche aber offenbar richtig ticken? Daraus, dass die Ostdeutschen, rein historisch bedingt, zahlenmäßig gegenüber den Westdeutschen in einer Minderheit sind und weil tatsächliche oder vermeintliche Mehrheiten immer recht haben würden? Mit welchem Recht glaubt er zu wissen, ostdeutsche Ansichten entspringen einzig dem Gefühl des „Abgehängtseins“? Kann es nicht auch die Erfahrung mit zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen sein, die die Menschen brutal entmündigt hatte? Oder zählen diese Erfahrungen gar nichts?

Was hält Kerber davon ab, sagen wir mal, zugleich auch jene selbstverliebten, moralisierenden, sich gerne kosmopolitisch gebenden Westdeutschen auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, weil sie vergessen haben, wie wertvoll und wie wenig selbstverständlich unsere Freiheit ist, und dass die Bedrohung unserer Freiheit in dem Maße zunimmt, in dem wir nicht mehr bereit sind, für sie einzustehen gegen jedermann, der sie in Frage stellt?

Unsere Vorstellungen von Freiheit und Demokratie sind mit den Vorstellungen vieler Zuwanderer nämlich nur schwer oder gar nicht vereinbar. Geht es hier um die Ursachen, redet man lieber um den heißen Brei herum. Die Wertvorstellungen dieser Menschen liegen viel weiter auseinander als die zwischen Ost- und Westdeutschen.

Wenn Ostdeutsche dies besser erkannt haben als viele Westdeutsche, dann ist das kein Grund, sie dafür zu rüffeln. Es wäre vielmehr ein Grund, sie einmal für jene Sensibilität zu loben, mit der sie noch immer erkennen, wann ihnen wieder ein staatlich verordnetes Weltbild aufgezwungen werden soll. Dieses Weltbild heißt: Gleichmacherei, Konformität. Ähnlichkeiten mit dem Sozialismus, der in den alleinglückseligmachenden Kommunismus führen soll, sind alles andere als zufällig. Nicht zufällig ist auch, dass viele nach dem Krieg geborene Westdeutsche diese Gefahr für unsere Freiheit nie erkannt haben. Sie reden gerne von Vielfalt und Buntheit, meinen aber das Gegenteil. Genuin deutsche Mannigfaltigkeit ist ihnen jedenfalls pfui. Bunt dürfen nur die anderen sein.

Lesen Sie zum gleichen Thema auch: Nein, Tante Naika, ich will nicht integriert werden.

Foto: Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia

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Leserpost

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Wolfgang Behr / 07.12.2018

Es stellt erstaunlicherweise auch niemand fest, daß  “Die Ostdeutschen” von manchen Politikerinnen und Politikern, für deren Zwecke instrumentalisiert werden.

Sara Goldbaum / 07.12.2018

Ich bin überzeugt davon, dass wenn man die AfD in Ostdeutschland bekämpfen will, man nur jedem Ostdeutschen 100.000 bis 200.000 Euro aufs Bankkonto überweisen müsste und schon wäre die Partei Geschichte. Eine Korelation zwischen Geld und Wahlverhalten kann man eigentlich nur abstreiten, wenn man linksautoritäre Medien wie ZON liest.

Peter Groepper / 07.12.2018

Diese “Ost"deutschen, diese Menschen haben Jahrzehnte unter Umständen “gut und gerne” gelebt, die sich die meisten Westdeutschen nicht vorstellen wollten, ääh, ich meine natürlich, konnten. Es ist also sehr einfach, wie man “Ost"deutschen wieder ein stärkeres Heimatgefühl vermitteln kann - und es wird zunehmend praktiziert: Man gibt ihnen das zurück, was sie zweifellos am meisten vermissen: Bespitzeln, Denunzieren, Unterstellen, Anprangern, Verleumden, beruflich kalt stellen. Zusammengefasst: Ganz liebevoll und zugewandt erziehen, erziehen und immer wieder erziehen, bis der Erfolg sich einstellt!

Fritz kolb / 07.12.2018

Ich habe, als gebürtiger Kölner meine ehemals schöne Heimatstadt schon vor einiger Zeit in Richtung München verlassen. Gelegentliche Heimatbesuche verursachen mir von Mal zu Mal zunehmend Unbehagen darüber, wie sich die Stadt mit nunmehr ca. 40%-igem Migrationsanteil verändert hat. Das ist nicht mehr „meine“ Stadt, auch wenn schlecht musizierende Karnevalsbarden das gerne anders darstellen. In München ist es zwar um vieles besser, trotzdem nähern wir uns auch hier, durch stetigen Zuzug von Migranten, einer imaginären kritischen Größe, von Jubelgrünen, Bärchenwerfern und sonstigen linksgrünen Realitätsverweigerern unterstützt. Man schaue sich nur das letzte Wahlergebnis München-Stadt an. Den Blick für die Alltagsrealität scheinen sich die ehemals als Neubürger abgewerteten Ostdeutschen hingegen bewahrt zu haben.  Zivilcourage, der Blick für das Wesentliche und ein gesundes Empfinden für Mentalität und Vertrautheit und mit dem klaren westlichen Verständnis von Gastrecht und Gastpflicht. Als Korrektiv gegenüber Westdeutschland wertvoll, hoffe ich sehr, daß sich die Ostdeutschen jeder Form westlicher „Integration“ verweigern und grünen Missionaren weiterhin die rote Karte zeigen.

HaJo Wolf / 07.12.2018

Die so genannten Ostdeutschen haben in den 51 Jahren DDR ein Gespür dafür entwickelt, was richtig und was politische Lüge ist. Dies fehlt den obrigkeitshörigen Wessis. Die trotten in preußischem Kadavergehorsam hinter Personen wie Merkel, Nahles, Özdemir her und akzeptieren auch die dreistete Lüge, den schlimmsten Betrug als gott-(göttin-)gegebene alternativlose Wahrheit. Wo andere (Dresden, Paris) gegen die Feudalherrscher im Demokratiemäntelchen aufbegehren, hängt der Wessie dem Kleber Claus oder der Slomka Mationette gebannt an deren Lippen. Wo die mit Gespür schon länger in Deutschland Lebenden Morde und Vergewaltigungen durch “Einwanderer” nicht mehr als bedauerliche Einzelfälle akzeptieren wollen und öffentlich protestieren, da schüttelt der Wessi den Kopf und nennt die friedlichen Demonstranten rechte Populisten oder Nazis. Kerber, ein politischer Niemand und Anhängsel eines bösen, verbitterten alten Mannes, liegt richtig mit seiner Ausage. Zumindest teilweise, denn vice versa wird ein Schuh draus: wir Wessis (ich bin selbst auch einer) hätten den Ossis Dankbarkeit zu zeigen dafür, dass sie wieder einmal mutig auf die Straße gehen und aufbegehren. Die Werte, die Ossis vertreten, stünden uns im multikulti Buntland bestens zu Gesicht. Einen Kerber hingegen (der sich Wirtschaftswissenschaftler nennt und sich mit einem Dr. als SozPäd schmückt) braucht unser Land so nötig wie einen Kropf. Er zeigt uns allerdings, welcher Geist unter einem Kanzler Schäuble durchs Land wehen würde, einem Politiker, der ausdrücklich islamische Zuwanderung begrüßt, weil wir ansonsten in Inzucht verblöden.

F. Jung / 07.12.2018

Das passt doch Alles:  Auseinander-Dividieren der schon länger hier Lebenden in so kleine Gruppen, wie es nur irgendwie geht ......  Dann ist man vor “gelben Westen” weitgehend sicher. Passend dazu gibt es ja auch Anleitung, wie man Jung und Alt auseinanderbringt und wie die Alten von den Jungen zu erziehen sind:  Man gebe in die Suchmaschine seiner Wahl ein: “Mit rassistischen Eltern richtig umgehen”. Wikihow ist dann der richtige Link…...  Als als gelernter Ossi habe ich somit übrigens zwei Makel: Ich müßte integriert werden, und ich habe mich als Rassist geoutet ......  Denn ich sage Dinge wie: “„Asiaten sind sehr klug und fleißig“. Damit bin ich jetzt ein schwieriger Fall laut Wikihow. Gruß aus Asien, und macht nur weiter so, daheeeme in Schland .....

Axel Kracke / 07.12.2018

„Woraus leitet Kerber den Anspruch ab, dass Ostdeutsche falsch, Westdeutsche aber offenbar richtig ticken?“ Weil er selber Westdeutscher ist.

Kay R. Ströhmer / 07.12.2018

Mit dem Untergang der DDR haben auch viele Westdeutsche einen erheblichen Verlust erlitten. Für Viele war die DDR eine Orientierungshilfe im Alltag: Wenn man aus der Bundesrepublik über die Mauer blickte, konnte man sehen, was einem blühte, falls der Sozialismus doch irgendwann tatsächlich einmal die Oberhand gewinnen sollte. Dieser abschreckende Anblick und seine Wirkung, für die in der Rückbetrachtung bei den Bundesbürgern allem Anschein nach ein unverzichtbarer Bedarf bestand, ging ab 1989 immer weiter verloren. Das könnte erklären, weshalb viele Westdeutsche heute kein Problem damit haben, politische Zustände nicht nur zu er- sondern sogar mitzutragen, von denen die Mitglieder des ZK der SED der DDR vermutlich niemals zu träumen gewagt hätten. Und nun schauen wir mal, wie lange die sozialistische Klatschorgie für A.M. auf ihrem Abschiedsparteitag bei der CDU dauern wird. Ich befürchte, Erich Honecker würde es gefallen.

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