Von Bernd Stegemann.
Es sind inzwischen meist die Grünen-Eliten selbst, die eine ökologische Politik verhindern. Autor Bernd Stegemann liest ihnen in seinem Buch "In falschen Händen" die Leviten. Hier als Auszug das Kapitel "Eliten-Aktivismus".
Im Frühjahr 2024 veröffentlichen Hedwig Richter, Professorin für neuere Geschichte, und Bernd Ulrich, leitender Redakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT, ihr Buch Demokratie und Revolution. Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit. Auf 350 Seiten referieren sie den Stand grüner Politik und ziehen ihre ganz eigenen Schlüsse daraus.
Nicht ihre Bestandsaufnahme ist zu kritisieren: Die inzwischen acht Milliarden Menschen verschmutzen Luft und Wasser, beuten Tiere aus und zerstören die Lebensgrundlage für sich und die meisten anderen Lebensformen. Und ebenso ist ihnen zuzustimmen, wenn sie nach der spirituellen Dimension der massenhaften und individuellen Zerstörung fahnden.
Doch bei dem mühevollen Versuch, diese vielleicht wichtigste Dimension des Anthropozäns zu erkunden, verlässt sie noch vor dem ersten Gedanken der Mut, und sie gehen die bekannten Pfade von Protest, Polarisierung und Predigt.
Umweltpolitische Empörungsbibeln
Der seltsame Effekt, der sich hier noch deutlicher als bei vielen anderen Büchern aus dem Genre der umweltpolitischen Empörungsbibeln zeigt, besteht darin, dass die Prediger in immer neuen Anläufen die selbstverschuldet Unmündigen bekehren wollen. Doch je vehementer sie zu überzeugen versuchen, desto mehr gerät das aus dem Blick, worum es ihnen doch gehen sollte.
Die Ökologie verschwindet, und an ihre Stelle tritt die altbekannte Politik, wo die Kompetenzbehauptung der einen auf die Renitenz der anderen Seite trifft. Diese Verwandlung von Ökologie in Politik ist ein Wesensmerkmal des Sprechens über die Umwelt. Und da sie hier so drastisch vorgeführt wird, lohnt es, sie genauer zu betrachten.
Die Pointe dieser Verwandlung besteht darin, dass die Ökologie verschwindet, je eindringlich fordernder die Rede über die Umwelt wird. Ökologie bedeutet, die Kreisläufe des Lebens zu verstehen, um sich der eigenen Wirkung darin bewusst zu werden.
Richter und Ulrich wagen aber nicht die Befreiung aus ihrer politischen Unmündigkeit, um zu einer ökologischen Mündigkeit zu kommen. Sie beten stattdessen den gesamten Argumentationskanon der aktuell gültigen Umweltpolitik herunter und wenden ihn als Angriff gegen die schlechten Gewohnheiten ihrer unmündigen Zeitgenossen.
Das älteste Mittel der schwarzen Pädagogik
Bei allem Aufwand an Referat und Argumentation schrumpft ihre Botschaft auf die einfache Aussage zusammen: Wir, die guten Autoren, wissen, was falsch läuft. Und ihr, die unmündigen Leser, habt nun die Chance, unser Wissen aufzunehmen und ebenfalls zu guten Menschen zu werden.
Grundiert wird die Schulstunde mit der Mahnung: Lehnt ihr unsere Belehrung ab, bleibt ihr als Bemitleidenswerte zurück. So lodert im Herzen des progressiven Deutschlands das älteste Mittel der schwarzen Pädagogik, die moralische Einschüchterung: Sollte euch der Anschluss an die guten Grünen nicht gelingen, bleibt ihr dumme Konsumenten, die die Lebensgrundlagen ihrer Kinder zerstören
Richter und Ulrich etablieren das Verhältnis von einem autoritären Lehrer zum Schüler, vom Prediger zu seiner Gemeinde oder, wie es ein Kritiker pointiert schrieb, von der Gouvernante zu ihren unartigen Zöglingen.
Jeder weiß aus seinem eigenen Leben als Schüler, dass ein solches Verhältnis nichts Gutes bewirkt. Als Erwachsener kann man wissen, dass Belehrungen allzu oft Reaktanz provozieren, und als mündiger Denker könnte man wissen, dass eine polarisierende Politik das kategorische Gegenteil zum ökologischen Denken ist.
Doch nichts von diesen Einsichten ist den Autoren zuteil. Und so nimmt die Zustimmung des Lesers von Seite zu Seite ab, auf denen die Lehre mit Herablassung vorgebracht wird und zugleich mit Vorhaltungen gespickt ist, dass der Belehrte den Erwartungen hinterherhinkt.
Kritik an Eliten wird tabuisiert
Die Gouvernantenhaftigkeit prägt aber nicht nur den Stil des Buches, sondern sie dringt bis in die Art der Argumentation vor. So wird die zweifelhafte These vertreten, dass Kritik an Eliten (zu denen sich die Autoren zählen), der Ausweis von rechter Gesinnung sein soll.
Die Absicht dieses Arguments ist unschwer zu erkennen. Um die Macht der Eliten zu sichern, wird Kritik an ihnen tabuisiert, was im politischen Spektrum bedeutet, dass sie als "rechts" beurteilt wird. Dass Kritik an den Herrschenden ein Kennzeichen der Aufklärung war und lange als linke Tugend angesehen wurde, wird ausgeblendet.
Denn wenn Eliten sich selbst inzwischen als links definieren, muss Kritik an ihnen zwangsläufig rechts sein. Und eine linke Selbstkritik, die ebenfalls lange zu den Qualitäten linken Denkens gehörte, ist für diese neuen Eliten anscheinend undenkbar.
Kernstück ihrer Argumentation ist darum keine Kritik des Grünen-Milieus, das sich zu den Eliten zählt, sondern etwas völlig anderes. Richter und Ulrich wollen die Politik des 20. Jahrhunderts durch eine neue Politik für das 21. Jahrhundert ersetzen.
Auch diese Ankündigung weckt hoffnungsvolle Erwartungen. Sie charakterisieren die alte Politik als eine Reaktion auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts. Vor allem in Deutschland ist die Angst vor dem Faschismus und die Verhinderung seiner Wiederkehr zur wichtigsten Aufgabe geworden.
Die vordringlichste Aufgabe der Politik im 21. Jahrhundert ist für sie aber die Verhinderung des Klimawandels. Man mag ihnen in dieser Einschätzung folgen oder nicht, bedenkenswert ist ihre Diagnose, dass die beiden Ziele sehr unterschiedliche politische Mittel brauchen.
Bekannte Pfade der umweltpolitischen Besserwisserei
Denn der Klimawandel folgt aus dem Weiter so der Normalität in einer Konsumgesellschaft. Es braucht darum eine einschneidende Veränderung der Lebensgewohnheiten, vor der die Politik des 20. Jahrhunderts gewarnt hat, da sie darin die Gefahr des Faschismus witterte.
Die Vorsicht der alten Politik wird nun zur Gefahr, da sie den negativen Folgen der Normalität nicht entschieden genug entgegentritt. Dieser neue Mut zur Entschlossenheit könnte überraschende Wege eröffnen. Doch auch hier weichen Richter und Ulrich auf die bekannten Pfade der umweltpolitischen Besserwisserei aus.
Sie trauen sich nicht, danach zu fragen, ob mit acht Milliarden Konsumenten überhaupt ein ökologisches Gleichgewicht gefunden werden kann oder ob Deutschland für alle Zeiten achtzig Millionen Einwohner braucht. Und sie trauen sich nicht, die unangenehme Frage ans eigene Milieu zu stellen, inwiefern die dort verbreiteten Überzeugungen nicht Teil des Problems sein könnten.
Die Angst der beiden Autoren, die im Grünen-Milieu erlaubten Wege zu verlassen, findet sich exemplarisch in dem Kapitel "Mehr Demut wagen". Die Überschrift ist irreführend, denn Demut kommt in dem Kapitel anschließend nicht mehr vor. Es geht allein darum, wie der Aufstand der Rechten gegen die Umweltpolitik der Grünen eingedämmt werden kann.
Und dazu wird in einem folgenlosen Gedankenspiel überlegt, ob die Einschränkungen, die notwendig wären, nicht vielleicht zuerst von den Grünen-Milieus, die zu den Besserverdienenden gehören, verlangt werden müssten. Diese naheliegende Frage wird jedoch mit der Behauptung vom Tisch gewischt, dass die Rechten nicht mehr von ihrem Feindbild der Umweltpolitik ablassen werden.
Fortsetzung der altbekannten Grünen-Ideologie
Demut wird, ohne sie überhaupt so zu nennen, als untaugliches Mittel verworfen. So versuchen sich die Autoren lustlos an dem Abenteuer einer Selbstkritik des Grünen-Milieus, ohne irgendjemandem in der eigenen Community auf die Füße zu treten und ohne sich überhaupt in die Nähe dessen zu bringen, was eine ökologische Demut überhaupt sein könnte.
Stattdessen müssen die Rechten mal wieder als Ausrede herhalten, warum die Guten sich nicht selbst kritisieren oder gar ändern müssen. So rutscht das Buch jedesmal, wenn es eine relevante Frage aufgeworfen hat, in die bekannten ideologischen Muster.
Es geht den Autoren entgegen ihrer Ankündigung nicht um die Erfindung einer revolutionären Politik für das 21. Jahrhundert, sondern um die Fortsetzung der altbekannten Grünen-Ideologie. Demut wird nicht als ökologisches Bewusstsein gedacht, sondern als zweckloses Manöver im politischen Raum.
Würde man Demut hingegen als Haltung gegenüber der Natur begreifen, so wäre es egal, wie Rechte oder andere das bewerten. Der Nutzen für die Natur wäre das wichtige Kriterium. Doch statt dieser ökologischen Revolution zu folgen, machen sie aus der Wissenschaft ein Glaubenssystem, das um eine absolute Wahrheit herum gebaut ist.
Dieser Wahrheitsanspruch verhindert zum einen die Anstrengungen der weiteren Erforschung, da angeblich das Wichtigste schon herausgefunden wurde. Und zum anderen verwandelt er Politik in ein Machtmittel, gegen das Kritik gefährlich sein soll. Die absolute Wahrheit in der Politik ist jedoch genau das, wogegen die Aufklärung einst gekämpft hat.
Greifen zum archaischen Mittel des Ausnahmezustands
Wenn der König von Gottes Gnaden regiert, ist keine menschliche Kritik an seinen Entscheidungen möglich. Und wenn Richter und Ulrich die Klimaapokalypse ausrufen, sind Argumente nur noch schädlich. Mit einem neuen ökologischen Denken hat dieses Machtmittel nichts gemeinsam.
Es ist ein altbekanntes Mittel der Realpolitik. Und so steht der argumentative Kern der Autoren im Widerspruch zu ihrem Ansinnen, eine neue Politik entwickeln zu wollen, und er steht kategorisch dem Anspruch entgegen, ein ökologisches Denken befördern zu wollen. Stattdessen greifen sie zum archaischen Mittel des Ausnahmezustands, um für ihre Position eine absolute Macht zu beanspruchen.
Was die beiden Autoren sich wünschen, wenn ihre Einsicht einmal zur allgemeinen Staatsräson geworden ist, wird im letzten Drittel des Buches offen ausgesprochen. Das Volk ist ein dummer Lümmel, der von den Eliten erzogen werden muss.
Hedwig Richter nennt die liberale Gesellschaft in einem Artikel in der FAZ unverblümt "Suppenkasper-Freiheit". Zum Leidwesen der beiden Autoren nehmen Suppenkasper-Politiker zu viel falsche Rücksicht auf das dumme Volk.
Ihr Befund lautet, dass aus der blutigen Erfahrung des Faschismus die Lehre gezogen wurde, dass das Volk zu radikalen Forderungen neigt, wenn es seine Bedürfnisse nicht befriedigen kann. Damit sich ein solcher Exzess der Volkswut nicht wiederholt, haben die Gründer der Bundesrepublik einige Vorkehrungen getroffen.
Im Bereich der Legendenbildung
Die Sorge, ein unzufriedenes Volk könnte erneut radikale Kräfte wählen, gehört seitdem zur deutschen Demokratie. Diese Sorge ist für Richter und Ulrich ein großes Ärgernis. Sie glauben an eine gelenkte Demokratie, in der Eliten vorgeben, was zu tun ist, und das Volk früher oder später den klugen Entscheidungen nachfolgt.
Als Beispiele, wie eine solche gelenkte Demokratie funktioniert, werden die Ost-Politik von Willy Brandt und die Corona-Maßnahmen angeführt.
Die Ost-Politik hatte anfangs auch keine Mehrheiten, und doch war sie nach Meinung der Autoren richtig. Und die Corona-Einschränkungen wurden, so ihre Erzählung, einsichtig vom Volk mitgetragen, und es soll nur dann zu Widerstand gekommen sein, als sie nicht streng genug waren.
Über beide Einschätzungen lässt sich unterschiedlicher Meinung sein. Die Ost-Politik hat zu einer Haltung in der deutschen Regierung geführt, die bis zur Merkel-CDU eine besondere Rücksichtnahme gegenüber Russland gepflegt hat.
Dieser Weichzeichner hat die vielen Warnsignale ausgeblendet, in denen eine antiwestliche Radikalisierung stattgefunden hat. Dass diese Art der Ost-Politik den wirtschaftlichen Interessen am billigen russischen Gas genutzt hat, hat sie mehrheitsfähig gemacht. Ob sie geopolitisch klug war, ist spätestens nach dem Ukrainekrieg zu bezweifeln.
Zu den Corona-Maßnahmen ließe sich ebenfalls viel Kritisches anmerken. Sie pauschal als gelungen zu bezeichnen und als einzigen Fehler ihre teilweise mangelnde Restriktivität zu nennen, gehört in den Bereich der Legendenbildung.
Cocktail der Beliebigkeit
Dass ein politischer Journalist und eine Professorin für Geschichte deren Schwerpunkt in der Demokratieforschung liegt, für den historischen Beweis der These, dass eine gelenkte Demokratie besser funktioniert, zwei Beispiele nennen, die wenig überzeugend sind, lässt hingegen vermuten, dass es so einfach eben nicht ist.
Ihre Liste der Dinge, bei denen das Volk aufbegehren könnte, ist ebenso entlarvend. Hier vermischen sie verschiedene Probleme, um einen Cocktail der Beliebigkeit herzustellen.
Nach den relevanten Sorgen vor Arbeitslosigkeit, Inflation und Wachstumskrise fügen sie dann "Tempo 130" an, um mit dem "Wärmepumpenzwang" eine alberne Sorge anzuschließen. Diese Liste ist exemplarisch für den Stil des Buches.
Überall spricht der Hochmut, mit dem die Sorgen der einfachen Leute lächerlich gemacht werden.
Wer nie von Arbeitslosigkeit bedroht war, weil als Professorin unkündbar, und wem die Inflation nichts ausmacht, da sein Redakteurs-Einkommen weit über dem Bedarf liegt, der kann diese beiden ernsten Bedrohungen im selben Atemzug nennen wie die absichtlich lächerliche Wortschöpfung "Wärmepumpenzwang".
Die Botschaft dieser Liste ist deutlich: alles nur eingebildete Sorgen, alles nur Ängste, die niemand ernst nehmen sollte. Zum Ärger der Autoren werden die lächerlichen Sorgen aber von den unfähigen Politikern ernst genommen, da sie die Volkswut fürchten.
So wenden sie sich von den wertvollen Ratschlägen der Eliten ab und machen etwas Ungeheuerliches in einer Demokratie: Sie folgen dem, was der Wähler will. Die Verachtung gegenüber dem Volkswillen zeigt sich bei Richter und Ulrich in der immer wiederkehrenden Wendung, dass das Volk seine Macht ausnutzt.
In einer "eingehegten" Demokratie
Es gibt sich bei der kleinsten Zumutung "leidend und widerspenstig", da es weiß, dass die Herrschenden Angst vor ihm haben. Das demokratische Grundrecht der freien Wahl als "Ausnutzen von Macht" zu diffamieren, hat sich bisher nicht einmal die AfD getraut.
Das Volk wird von den Autoren wie ein störrisches Kind beschrieben, dass seine unfähigen Eltern manipuliert. Dabei müssten die Eltern-Politiker nur auf die Ratschläge der Super-Nannys Richter und Ulrich hören und seinen "Willen einhegen".
In einer "eingehegten" Demokratie würde der Wähler als unwilliges Mündel durchschaut: Alles nur Geschrei um nichts. Es gibt keine Probleme, die aus Arbeitslosigkeit oder Inflation folgen, es gibt nur ein Problem, und das heißt Klimawandel.
Volk und Politiker sind Suppenkasper, die die strenge Führung der Gouvernante brauchen, da mit sie nicht sich und die Welt gefährden. Und wie jedes störrische Kind wird auch das dumme Volk einst seinen strengen Lehrern dankbar sein, dass es sie auf den rechten Weg geführt hat.
An den Stellen, wo die Autoren ihrer Volksverachtung freien Lauf lassen, tritt in ihrer Argumentation etwas hervor, dass sie niemals explizit zugeben, aber dass dennoch den Stil des Buches dominiert: Sie sind sehr stolz darauf, zur Elite zu gehören.
Sie sind sehr von ihrer Mission erfüllt, die Wahrheit in die Welt zu tragen, und sie sind begeistert davon, eine Wahrheit zu besitzen, gegen die niemand mehr etwas sagen kann.
Ins Schaufenster ihrer Argumentation stellen sie die Sorge um die Welt und auch ein wenig Verzweiflung, dass nicht alle schon so klug sind wie sie selbst. Hinter der ausgestellten Sorge tritt aber der Stolz auf die eigene Wahrheit, der niemand widersprechen kann, immer deutlicher hervor.
Entlarvend für das Grüne Milieu
So wird aus einem Buch, das die Aspekte einer ökologischen Politik darstellen wollte, ein Buch, in dem zwei Autoren beanspruchen, zu einer Elite zu gehören, auf die jetzt endlich gehört werden muss.
Je mehr dieser Anspruch hervortritt, desto mehr verschwindet die ökologische Frage und desto widerwilliger wird der Leser. Diese Verschiebung von der Ökologie zu einer Machtfrage, in der der Klimawandel als unwiderlegbares Argument und darum ultimatives Machtmittel eingesetzt wird, macht diesen Text so entlarvend für das Grüne Milieu.
Und zugleich macht er das Buch unbrauchbar für die Entwicklung einer ökologischen Politik. Der Klimawandel ist kein Naturereignis, das zum Totschlagargument in der politischen Debatte taugt, sondern eine existentielle Frage, auf die es noch viele unbekannte Antworten gibt.
Die Erkenntnisse der Wissenschaften sind keine Dogmen, denen niemand widersprechen darf, sondern sie sind Zwischenergebnisse, deren Wert darin besteht, weitere Forschung zu ermöglichen.
Werden aber Klimawandel und Wissenschaft als letztgültige Wahrheiten behauptet, um in der politischen Debatte alle anderen mundtot machen zu können, wird nicht nur deren Wert verraten, sondern sie werden auch zu politischen Meinungen, die allein dadurch Widerspruch hervorrufen, dass sie als letztgültige Wahrheiten auftreten.
Klimawandel als Totschlagargument
Mit dem Totschlagargument "Klimawandel" scheint das autoritäre Denken zurückzukehren. Das Buch von Richter und Ulrich leistet für ein ökologisches Denken einen Bärendient.
Es verwandelt die richtigen Beobachtungen in eine Sprache, die den Leser vor die Entscheidung stellt, sich als Suppenkasper gemaßregelt zu fühlen oder sich zur Elite zu rechnen und ab jetzt die Suppenkasper maßregeln zu dürfen. Beide Rollen sind abstoßend, und beide Rollen wiederholen das zerstörerische Verhältnis, das zwischen Menschen und Natur herrscht.
Oder noch einmal anders formuliert: Wer den Klimawandel als Totschlagargument gebraucht, um seine Verachtung des dummen Volkes zu legitimieren, der denkt Politik als Machtausübung, die in der Unterscheidung von Freund und Feind gewinnen will.
Dieser Archaismus ignoriert nicht nur die deliberative Demokratie, die Jürgen Habermas befördern will, sondern auch die systemische Gestalt von Gesellschaft, die Niklas Luhmann vorgedacht hat.
Demokratische Politik ist nicht der Kampf von Freund gegen Feind, sondern die Herbeiführung von kollektiv bindenden Entscheidungen. Die Autoren haben alles dafür getan, dass die Herbeiführung kollektiv bindender Entscheidungen für die Ökologie in noch weitere Ferne gerückt ist, als es die bisherige Politik der Grünen bereits bewerkstelligt hat.
Wenn Eliten ihren Herrschaftsanspruch zu verlieren drohen, greifen sie zu robusten Mitteln. Der Unterschied zwischen Demokratien und anderen Gesellschaftsformen liegt darin, dass in einer Demokratie der Machtwechsel friedlich verläuft. Eine Elite, die keine Mehrheit mehr findet, wird durch eine andere ersetzt.
Der Machtwechsel ist darum immer auch eine Abstimmung darüber, welche politischen Ideen die Probleme am erfolgreichsten zu lösen versprechen. In unserer Gegenwart vollzieht sich aktuell der Kampf zwischen den Eliten, die aus der 1968er Revolte hervorgegangen sind, und den vielen Einzelstimmen, die sich in den neuen Medien Gehör verschaffen können.
"Sozialer Drill" anstelle "schöpferischer Kraft“
Die 68er und ihre Nachfolger sehen sich nach einer Phase der Deutungshoheit inzwischen einer wachsenden Zahl von abweichenden Meinungen gegenüber. Die alte Elitensicherung bestand darin, die Zugänge zur Öffentlichkeit zu überwachen. Diese Gatekeeper-Funktion ist heute weitestgehend wirkungslos geworden. So schwindet die Diskurshoheit im gleichen Maße, wie die Meinungsvielfalt zunimmt.
Dass vor allem die Grünen Eliten diese Zunahme an Vielfalt beklagen und mit staatlichen Regulierungen einhegen wollen, stellt eine bemerkenswerte Verschiebung dar. Denn gerade die Grünen waren aus den Neuen sozialen Bewegungen entstanden, die für mehr bürgerliche Freiheiten eingetreten sind und vor allem staatlichen Regulierungen skeptisch gegenüberstanden.
Wenn sie nun erwarten, dass der Staat ihre Diskurshoheit verteidigt, ist das ein deutliches Kennzeichen ihres Niedergangs. Der "soziale Drill" tritt an die Stelle der "schöpferischen Kraft“, mit der erfolgreiche Eliten die Mehrheit beherrschen.
Die schöpferische Kraft besteht darin, dass die Eliten durch ihre Lebensweise und Intelligenz Vorschläge für die Gesellschaft machen, die einer Mehrheit ein gutes Leben bescheren. Schwindet diese schöpferische Kraft, ein Vorbild sein zu können, treten die robusten Mittel des Drills an ihre Stelle.
Genau diese Verschiebung ist aktuell beim Grünen Milieu zu beobachten. Je weniger ihre Ideen auf Zustimmung treffen, desto rigoroser wird ihr Wahrheitsanspruch und desto ungehemmter wird nach staatlicher Repression gerufen, um die abweichenden Meinungen auszuschließen.
Keine Wunscherfüllungsmaschine für Eliten
Die bisherige Methode der moralischen Ächtung erfährt eine konsequente Steigerung in Meldestellen und Gesetzesverschärfungen. Die Brandmauer ist schließlich die parteitaktische Meisterleistung, mit der eine Mehrheit gegen das Grüne Milieu verhindert werden soll.
Galt es einst als demokratische Tugend, die Macht der Eliten zu kritisieren, so haben die Grünen Eliten den Trick perfektioniert, Kritik an sich selbst als "rechts" zu diffamieren. Je öfter dieser Trick durchschaut wird und je inflationärer der Nazi-Vorwurf gemacht wird und sich damit verbraucht, desto klarer wird der Niedergang sichtbar.
Denn die Öffentlichkeit erkennt: Je herrischer die Elite auftritt, desto größer ist ihr realer Machtverlust. So ist es für die erhoffte Machtverschiebung ein gutes Zeichen, dass die Grünen und ihr Milieu nach immer mehr Gängelung rufen.
Die Funktionstüchtigkeit der Demokratie erweist sich daran, ob eine Elite es schafft, den Staat für ihre Interessen zu instrumentalisieren, oder ob ihre Rufe nach sozialem Drill in einer nächsten Wahl mit dem Verlust der Mehrheit bestraft werden.
Die Grüne Behauptung, dass sie die Demokratie verteidigen würden, gehört darum zu den Strategien der Machtsicherung, die gerade darin bestehen, die Demokratie zum Sachwalter der eigenen Meinung zu machen. Doch Demokratie ist keine Wunscherfüllungsmaschine für Eliten. Die demokratische Öffentlichkeit signalisiert in Wahlen, wie sie zu den Grünen Machtansprüchen steht.
Wie aggressiv die Grünen Eliten ihren Machtverlust aufhalten werden, wird auch darüber entscheiden, welchen Schaden die Demokratie beim Machtwechsel nimmt. Das Buch von Richter und Ulrich gibt einen Vorgeschmack, zu welchen Einschränkungen der Demokratie Grüne Eliten bereit wären, sollte der Machtverlust für sie zu groß werden.
Dies ist ein Auszug aus dem neuen Buch von Bernd Stegemann: In falschen Händen: Wie Grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern", hier direkt beim Westend-Verlag bestellbar.
Bernd Stegemann ist Professor für Dramaturgie und Kultursoziologie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und Dramaturg an zahlreichen Theatern, zuletzt in Berlin am Deutschen Theater, an der Schaubühne und dem Berliner Ensemble. Er ist Autor zahlreicher Monographien zur Kunst des Theaters und Dramaturgie des politischen Sprechens und schreibt für Die Zeit, Der Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Der Freitag oder Die WELT und regelmäßig für den Cicero.