Gute Herrscher bringen ihr Volk nie in eine Situation, in der es massenpsychotisiert wird. Richtig ist allerdings schon, dass heutige Aktualitäten ansonsten unverständliche historische Phänomene perfekt erklären können. Aus der Geschicht zu lernen bedingt auch, die Geschichte aus dem Aktuellen heraus zu verstehen.
Wir sollten bei der Analyse von 1914 die „Mitspieler“ nicht vergessen. Damals ist nicht nur ein einzelner Schlafwandler (s. C. Clark) in den Krieg getaumelt. Eine emotional aufgeladene Stimmung herrschte nicht nur in Deutschland. 2015 ist ein primär deutsches Problem. In Deutschland hat sich nach dem Marsch durch Redaktionsstuben und Institutionen eine mediale und geisteswissenschaftliche Pseudoelite durchgesetzt, die das Land unumkehrbar dem Abgrund entgegentreibt. Die Kanzlerin, unsere Kaiserin in neuen Kleidern, ist eher eine Getriebene als Herrin des Geschehens. Eine weitere, Medien und rot/grünem Milieu sehr willkommene emotionale Entgleisung, der der Intellekt nicht gewachsen war, wurde widerstandslos von den noch vorhandenen demokratischen Kräften hingenommen. So siegt Gesinnungsethik über Verantwortungsethik, Mediokratie über Demokratie.
Es gibt sie offensichtlich doch : die charakterliche Eigenschaft eines Volkes. Ein Hang zu einem bestimmten Denken, Fühlen und Handeln in der Gemeinschaft. Bei den Deutschen scheint es sich, bei aller unter anderen Umständen nachgesagten Verklemmtheit und Kopflastigkeit, um ein wiederkehrendes Phänomen der irrationalen Euphorisierung zu handeln. Vielleicht bedingt die Verklemmtheit das Letztere, sozusagen als Ausgleich. Der Kater folgt auf dem Fuße. Das wird auch dieses Mal so sein.
Ähnliches hatte ich mir auch schon gedacht, obwohl ich Laie bin. Ein hervorragender Text! - Ich war fassungslos, als die kräftigen jungen Männer begrüßt wurden, als wären es die letzten, aus russischer Gefangenschaft heimgekehrten Soldaten – nur daß die gerade nicht kräftig und gesund waren. Aber 2015 ist entgegen Ihrer Vermutung nicht vorbei! Es kommen doch, wie zu lesen, pro Monat 15000 Leute an, die vermutlich nie wieder gehen werden.
Ich verstehe diese ganzen Diskussionen überhaupt nicht. Der Fall Merkel ist doch im Grundgesetz Art. 20, Abs. 4 eindeutig geregelt.
Deutsche haben sich bis 1914 nicht die Mühe gemacht, sie konnten es vielleicht auch gar nicht, sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Allianzen vorzustellen. Krieg wird im Volk als Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien mit Mut und Manneskraft gesehen. Wie einst in der Steinzeit. Wie es die Legenden stets vermitteln, bis heute. Die Tatsachen sind nüchterner und unerbittlich: Krieg und Sieg wird bestimmt durch die Wirtschaftsleistungen der Allianzen. Das ist der Grund, warum der Zar Nikolaus II. 1914 besonders kriegslüstern erschient und sein Reich bereits 1917 zusammenbrach. Es konnte die Kriegsaufwändungen mit seiner bescheidenen Industrie nicht lang genug schultern. Ebenso Österreich-Ungarn und zuletzt das Deutsche Reich. Jedem abgeschossenen Flieger ergänzte die USA ab April 1917 mit 10 Neuen, jedes Kommisbrot des Landsers mit 1 Tonne argentinischem Rindfleisch. Die Führung unter Hindenburg und Ludendorf hat es gewusst und zum frühesten Zeitpunkt Schluss gemacht. Bis dahin war fast jeder Deutsche mit seinem Teil an Prügel dicke belegt. Nach dem WK II. und der Berliner Schlacht soll Shukow zum Berliner Stadtkommandanten gesagt haben: “... wir haben euch den Krieg ausgetrieben !” Nach 75 Jahren und 3 Generationen ist es offenbar wieder Zeit zu neuer Prügel. Die Deutschen leben in selbstgefälliger Isolation. Sie reisen wie Weltmeister und verstehen die Welt doch nicht.
Bedrückend, insbesondere, wenn man sich überlegt, wie es weiter gegangen ist: Die Flotte wollte keine Fehler zugeben, obwohl jeder sehen konnte, dass mit den Ressourcen für die im Hafen liegenden Pötte beim Heer es zum Sieg an der Marne und damit zum Gelingen des Schlieffenplans gereicht hätte, insbesondere, wenn GB neutral geblieben wäre. Stattdessen hielt man sich für unglaublich patriotisch, weil man den U-Boot-Krieg durchsetzen wollte. Diese Waffe war vor dem Krieg sträflich vernachlässigt worden, weil sie nicht genug als Pahllussymbol herhalten konnte (Wilhelm II: “So eine schöne Flotte möchte ich auch einmal haben!”). Als im Krieg dann die Seeoffiziere, die patriotischsten von allen, untätig herumsaßen, während das Heer nicht für möglich gehaltene Opferzahlen hinzunehmen hatte, wurden sie aus der Versenkung geholt und sollten die Ehre retten. Am besten durch unbeschränkten Einsatz, auch wenn dies die USA provozieren musste. Durch die Zimmermanndepesche war der Weltkrieg dann komplett, die Effizienz der U-Boote wurde um ca. 11 Prozent gesteigert, der von Anfang an sinnlose Krieg dafür verloren. Das hieß: Jedes Mal, wenn sich eine Annahme der Fanatiker als falsch herausstellte, wurde einfach noch eine Schippe drauf gelegt. Ähnliches sehen wir im Moment: Die ersten Anschläge passieren und die wichtigste Botschaft ist, dass man die Urheber weder benennen noch ideologisch stellen darf. Es kommt zu vermehrter Alltagskriminalität und sexueller Belästigung? Mehr Integration (also einseitige Unterstützung durch die “Beheimateten”) und ein beschleunigter Familiennachzug werden das Problem lösen! Die Bevölkerung läuft der Politik und den Medien davon? Das sind alles Postfaktiker, eine bessere “Erklärung” wird das Problem lösen! Dabei darf mit zusätzlichen Diversity-Bemühungen (ich wäre ja mal für ein klein wenig intellektuelle Diversität) der Bürger ruhig noch ein wenig mehr verarscht werden. Unseren Nachbarländern werden wir langsam unheimlich? Das sind einfach alles rechte Idioten! Am Ende ging damals alles ganz schnell: Als die Flotte den Bogen überspannte und mit einem sinnlosen Angriffsbefehl gegen England nichts Anderes wollte als im verlorenen Krieg auch mal ein paar Schüsse abzufeuern und für die Komplexe des Oberkommandos zehntausende Matrosen zu opfern, meuterten eben jene vollkommen zu recht. Aber da lag die Welt bereits in Trümmern.
Eine der klügsten kultur- und metalitätsgeschichtlichen Analysen, die ich bislang gelesen habe. Ich beglückwünsche die “Achse” dazu, solche Autoren zu haben. Früher hätte man so etwas in der FAZ oder dem (alten) “Merkur” gelesen. Heute ist es nur noch auf Blogs wie der “Achse” oder schweizer Medien möglich. Es ist deprimierend—und erinnert an 1914…. Bitte machen Sie weiter in Ihrer Arbeit.
► Noch bis zum September 1914 konnten weder Regierung noch Militärs konkrete Kriegsziele vorweisen. ◄ Das liegt daran, daß das kaiserliche Deutschland an einem Krieg gar nicht interessiert war. Daß der am Ende länger als erwartet dauerte, lag zum größten Teil daran, daß A) der Schlieffenplan verwässert wurde und B) daß die Russen wider Erwarten ihre Generalmobilmachung längst erfolgreich abgeschlossen hatten und sofort nach Ostpreußen eindrangen, so daß im Westen Truppen (eine ganze Armee) abgezogen werden mussten, die dann fehlten, um das “Wunder an der Marne” gar nicht erst geschehen zu lassen. Die Grenze zwischen Masuren und Russisch Polen ist bis heute erkennbar: Ein schmaler Graben im baumlosen, leicht welligen Gelände, den zu überwinden ein großer Schritt genügte; natürliche Hindernisse sind weit und breit nicht auszumachen. In Ost- und Westpreußen garnisonierten im Frieden gerade einmal zwei Korps mit Generalkommandos in Königsberg und Danzig, deren (bis zum erhofften Sieg im Westen) als Sicherungstruppen zurückgelassene Reste keinen ernstzunehmenden Gegner darstellten. Die deutsche Bevölkerung lebte seit der Jahrhundertwende unter atmosphärischer Spannung bei ständiger Anfeindung durch die rachsüchtigen Franzosen, kleinere Aggressionen und Stänkereien der Engländer in Ost- und Westafrika blieben ebensowenig verborgen wie die Ursachen der Burenkriege. Es dürfte niemandem entgangen sein, daß die politischen Winkelzüge des Auslands einen Krieg und als Endziel die wirtschaftliche Vernichtung des Deutschen Reiches vorsahen. Das vorgeblich neutrale Amerika war in diese Bemühungen eingeweiht und keineswegs abgeneigt, zu gegebener Zeit sich gegen Deutschland zu wenden. Es verwundert daher nicht, dass eine gewisse Erleichterung empfunden wurde, als der Knoten dann platzte - die Materialschlachten und der Grabenkrieg sind eine spätere unmittelbare Folge der strategischen Fehlentscheidung eines deutschen Oberstleutnants, wegen dessen ängstlicher Lagebeurteilung der ganze Kriegsverlauf letztlich außer Kontrolle geriet. Ich glaube nicht, daß man bei Berücksichtigung der entscheidenden Umstände die in weiten Kreisen (vor allem bei den politisch wacheren Bewohnern der Großstädte des Reiches vorhandene Gefühlslage bei Ausbruch des Weltkriegs mit der Gutmenschbesoffenheit bei Ausbruch der Migrantenkrise in vergleichende Beziehung setzen kann.
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