Entertainer des Untergangs

Bundesdeutsche Politiker wie Norbert Röttgen lassen sich inmitten der Afghanistan-Katastrophe ohne Kenntnis der Situation zu Politikempfehlungen hinreißen, die als surrealistisch zu bezeichnen sind.

Wie schnell ein Regime verfallen kann, wie abrupt es zu einem Umsturz kommt, wenn die sie tragenden Eliten an nichts anderes mehr glauben als an ihren eigenen unmittelbaren Vorteil, wird uns bei der ziemlich friedlichen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor Augen geführt. Vor gut 30 Jahren erhielten die Deutschen dafür Anschauung, was passiert, wenn die Besatzungsmacht ein Regime – damals das SED-Regime in der DDR – preisgibt. Damals liefen die Menschen weg.

Nichts hielt sie, und heute hält die Taliban nichts mehr, nachdem die Amerikaner in Doha ihren irreversiblen und bedingungslosen Entschluss bekräftigt hatten, sich kurzfristig aus Afghanistan zurückzuziehen. Dass die „demokratisch gewählte“ Regierung in Afghanistan nichts weiter als eine Attrappe der Besatzungsmächte war und Streitkräfte sowie Polizei über keinerlei Kampfkraft und Einsatzbereitschaft verfügten, berichteten regelmäßig alle diejenigen, die sich einige Zeit in Afghanistan als Soldaten aufgehalten hatten.

Sie sprachen offen über eine kriegerische Auseinandersetzung, die deshalb nicht zu gewinnen sei, weil die NATO von allen Afghanen als Besatzer wahrgenommen werde und das universalistische Konzept des state building, der Demokratie-Errichtung, wie es die Amerikaner – und ihnen folgend die deutschen Verbündeten – blindlings unter Einsatz von Hochtechnologie verfolgten, in Afghanistan keine Staatlichkeit zu stiften, keine Demokratie zu gründen und keine Rechtsstaatlichkeit zu begründen vermöge. Helmut Schmidt äußerte sich zu Beginn des Einsatzes, wie er damals sagte, „skeptisch“ über die Intentionen der von den USA geführten NATO-Bündnispartner. 

Was für die westlichen Bevölkerungen schockartig wirkt, ist der Umstand, dass die Geheimdienste entweder über die mangelnde Einsatzfähigkeit und -bereitschaft der afghanischen Sicherheitskräfte nicht informiert waren oder ihre Kenntnisse nicht schnell genug weitergereicht haben. In jedem Fall ist das entwürdigende Spektakel der Machtübernahme der Taliban, das nur noch übertroffen wird von dem Fall von Saigon 1975, ein untrügliches Symptom des Verfalls der Fähigkeit des Westens zur Politikgestaltung auf geopolitischer Bühne.

Törichte Unwissenheit und Anmaßung

Dass bundesdeutsche Politiker inmitten der sich anbahnenden Katastrophe und ohne Kenntnis der Situation sich zu Politikempfehlungen hinreißen lassen, die bestenfalls als surrealistisch zu bezeichnen sind, belegt die These des kürzlich verstorbenen Karl Heinz Bohrer vom unausrottbaren Provinzialismus der bundesdeutschen Politik-Elite.

Kein Geringerer als der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen, forderte allen Ernstes noch kurz vor der absehbaren Machtübernahme durch die Taliban, die Bundeswehr möge in das Land, aus dem sie sich gerade zurückgezogen hatte, zurückgeflogen werden, um diese Machtübernahme in Form von Kampfeinsätzen zu verhindern. Röttgen, ein Mann, der nie gearbeitet, es gleichwohl zum Dressman der CDU gebracht hat und als stolzer Un‑Soldat derartige Dummheiten von sich gibt, verkörpert wie wenige andere die Mischung aus törichter Unwissenheit und Anmaßung, die sich die Vertreter des Parteienstaats mittlerweile in ihrem ungestörten Dasein zugelegt haben.

Auch Frau Baerbock, die „Kanzlerkandidatin“, scheint an der Situation nur problematisierungsbedürftig zu finden, dass nunmehr die 3 Millionen Binnenflüchtlinge gerecht in Europa verteilt werden. Sie scheint die Gelegenheit zu ahnen, den ethnizistischen Umbau der westeuropäischen Gesellschaften durch Lenkung von Flüchtlingsströmen beschleunigt fortzusetzen.

Der Bundesaußenminister stammelt in jenem Moment, in dem der Flughafen von Kabul bereits im Chaos untergeht, von dem Bemühen der Bundesregierung, alle Staatsangehörigen und Ortskräfte zu evakuieren. Anscheinend fehlen ihm Informationen.

Und hier kommt nun – leider Gottes – die traurige Rolle des Bundesverteidigungsministeriums in Betracht. Von dem Urgestein deutscher Parteienmacht, Peter Struck, nolens volens zum Verteidigungsminister ernannt, stammte der Spruch, dass am Hindukusch die Sicherheit Deutschlands verteidigt würde. Jetzt, da Deutschland nicht mehr in der Lage ist, für den sicheren Abtransport seiner Staatsangehörigen am Flughafen Kabul Sorge zu tragen, stellt sich die peinliche Frage, wieso die militärischen Ratgeber der Bundesverteidigungsministerin, insbesondere der hierfür verantwortliche Generalinspekteur General Zorn, die Ministerin über diese Lageentwicklung nicht früher informiert hat. Das bundesdeutsche Publikum erinnert sich gewiss an den militärtouristischen Auftritt von Bundesverteidigungsministerin von der Leyen, die in einem schicken, mädchenhaften Mantel ihren Antrittsbesuch in Afghanistan absolvierte, so als ob es um eine Schuleröffnung ginge. Schöne Bildchen zusammen mit den Soldaten, die sich von so viel Menschlichkeit getätschelt fühlten. 

Kirmes-Auftritte von einer vernichtenden Realität eingeholt 

Afghanistan war darüber hinaus eine Auftrittsplattform für deutsche Parteipolitiker, die sich mit einem sicherheitspolitischen Credo ausstatten wollten. All diese Kirmes-Auftritte werden nun von einer vernichtenden Realität eingeholt. 

So macht der Abfall Afghanistans und seine Aufgabe durch den Westen auch untrügliche Verfallstendenzen in den westlichen Demokratien deutlich: Die Fähigkeit der USA, geopolitische Führungsmacht des Westens zu sein, dürfte nach dem Exempel unüberbietbarer außenpolitischer Ignoranz mehr als bezweifelt werden. Daran ändert nichts, dass die Qualitäten eines Antony Blinken von anderem Format sind als die seines Vorgängers Mike Pompeo. 

Deutschland, immerhin eine mittlere Macht und traditionell in Afghanistan hoch angesehen, scheint zu souveräner Außenpolitik nicht länger in der Lage zu sein. Zum einen deshalb, weil es scheinbar nicht über die hierfür erforderlichen Informationen verfügt bzw. diese Informationen nicht an die richtigen Stellen adressiert oder weil es souveränitätsentwöhnt einfach nur noch Amerika folgen will. Kein Tag vergeht, an dem nicht Parteipolitiker ihre politische Impotenz über öffentliche Erklärungen à la Röttgen der Öffentlichkeit zur Schau bieten. Dies wird der Politikerverdrossenheit in Deutschland einen kräftigen Schub geben. 

Die Taliban, die sich nunmehr im Präsidentenpalast herumräkeln können und dabei Allah für ihren Sieg danken, mögen ein Relikt des Mittelalters sein. Indes haben sie etwas in die Moderne hinübergerettet, was den westlichen Demokratien – und allen voran Deutschland – vollständig abhandengekommen ist: den Willen zur Macht und als seine Voraussetzung die Bereitschaft, hierfür Opfer zu bringen.

Der Westen hat versucht, die Taliban als kriminelles Gesindel aus dem eigenen Land zu jagen. Nun sind sie zurück, triumphieren über die Verteidigungshochtechnologie des Westens und jagen die Besatzer wie eine Bande streunender Hunde davon. In dieser Stunde tiefer Erniedrigung sollte der Westen – und Deutschland als ein unverbrüchlicher Teil des Westens – innehalten und sich darüber bewusst werden, dass kulturelle Dominanz nicht auf einer Kombination von Selbstüberschätzung und Feigheit gegründet werden kann, sondern vor allen Dingen nach der Bereitschaft verlangt, für den Kampf um die Freiheit sein Leben zu riskieren. Mit Röttgen lässt sich weder Deutschland noch der Westen retten. Mit diesem Peter Alexander des Untergangs sowie den anderen Epigonen der Parteipolitik lässt sich bestenfalls der Untergang unterhaltsam gestalten. 

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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N. Walter / 18.08.2021

Man wollte es jahrelang nicht wissen. Was wäre denn auch die Konsequenz gewesen? Aus dem Land abzuziehen, weil die Soldaten Tagelöhner ohne Willen zu Verteidigung sind? Weil es denen egal ist, ob sie auf der Lohnliste der NATO oder der Taliban stehen? Aufgrund welcher so lautender Expertise hätte das denn erfolgen sollen? Jeder, der in diese Richtung nur einen Mucks gemacht hätte, wäre wegen Rassismus medial geschlachtet worden.

Tobias Meier / 18.08.2021

So richtig wie sie ist, ist diese Feststellung dennoch nicht verwunderlich. Die Überbleibsel der letzten Generation, die für ihre westlichen Werte kämpfen musste, hockt in den Altersheimen von San Francisco bis Berlin (West). Der Westen blickt auf eine 75 Jahre währende Periode von Frieden, Stabilität, Wohlstand und beispielloser technologischer Entwicklung zurück. Das Gros der Bevölkerung hat schlichtweg verlernt, dass diese Errungenschaften nicht selbstverständlich sind. Der Offenbarungseid in Afghanistan ist lediglich eine weitere Facette der westlichen Dekadenz, auf eine Stufe zu stellen mit Veganismus, Gender-Debatte und Klimarettung. Auch in Deutschland, in der zumindest die ältere Generation der Ostdeutschen den Freiheitskampf noch aus den Endzügen der SED-Diktatur kennt, durchzieht diese Dekadenz vollumfänglich die Gesellschaft. Geschichte wiederholt sich. Der Westen durchlebt zurzeit die gleiche Phase wie das römische Reich unmittelbar vor der Völkerwanderung. In 500 bis 1.000 Jahren werden sich die Nachkommen der Eroberer Europas und Nordamerikas - wer auch immer das sein wird - fragen, wie diese überlegene, in vielen Bereichen vorbildliche Hochkultur so mir nichts dir nichts von Barbaren (oder wie auch immer man sie nennen wird) überrannt werden konnte. Englisch wird die (tote) Sprache der Wissenschaft. Und eines fernen Tages wird die Idee der Aufklärung und der Demokratie erneut aufgegriffen werden, es wird zu einer neuen Blüte der Menschheit kommen, die dann wieder über kurz oder lang am eigenen Erfolg scheitern wird.

Gerhard Schmidt / 18.08.2021

Den Vergleich mit der aufgeblasenen Null Röttgen hat der sel. Peter Alexander nun wirklich nicht verdient!

G. Hamsinger / 18.08.2021

“...sollte der Westen ... sich darüber bewusst werden, dass kulturelle Dominanz ... vor allen Dingen nach der Bereitschaft verlangt, für den Kampf um die Freiheit sein Leben zu riskieren.” Das gilt auch für die Afghanen selbst. Wenn sie nicht gegen die Taliban kämpfen wollen, dann eben nicht. Dann sagt man tschüss und weiterhin viel Erfolg. 20 verplemperte Jahre mit vielen Toten reichen. Es gibt keinen Grund, hier irgendwen aufzunehmen, höchstens die, die für die Bundeswehr gearbeitet haben und nur als Zeichen des guten Willens.

Winfried Jäger / 18.08.2021

Hier wird und wurde die Substanz verbraucht. Außenpolitisch zeigt sich die ganze Unfähigkeit unserer politischen Eliten am Beispiel Afghanistan. Da gibt es nichts mehr zu framen oder schön zu reden. Sie sind nackt. Die Taliban haben es uns gezeigt. Sie können nichts. Sie bilden eine Blase, in der sich die Minderleister- und denker jeden Tag gegenseitig bestätigen

Peter Wachter / 18.08.2021

Hätt da mal wieder ne Info, unbedingt anschauen, YT:” Eine Kommissarin für Afghanistan | SPIEGEL TV (2013) “. Die Gedanken sind frei, zumindest wer noch denken kann !?

R. Kuth / 18.08.2021

Die Geheimdienste? Die sind mit der Überwachung von Querdenkerm und der AfD voll beschäftigt. Da kann man nicht alles im Blick haben.

Karl Schmidt / 18.08.2021

Es ist nicht am Westen für ein freies und geordnetes Afghanistan zu kämpfen. Das müssen die Afghanen schon selbst tun. Doch die laufen lieber zu uns. Doch was sollen wir mit solchen Pfeifen? Davon haben wir schon selbst zu viele, was uns zurück führt zum Thema des Artikels.

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