Thomas Rietzschel / 04.01.2022 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 75 / Seite ausdrucken

Entartete Kunst. Zum Zweiten

Im Juli 1937 eröffneten die Nationalsozialisten in den Münchner Hofgartenarkaden die Propagandaschau „Entartete Kunst“. Gezeigt wurden Werke des Dadaismus, des Surrealismus, der Neuen Sachlichkeit und des Expressionismus. Zu sehen waren unter anderem Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff, zumeist Mitglieder der in Dresden gegründeten Künstlervereinigung „Brücke“, viele der Werke werden bis heute im Berliner Brücke-Museum aufbewahrt. 

Die gezeigten Gemälde, Graphiken und Skulpturen waren den Nazis ein Dorn im Auge. Sie präsentierten die Werke, um ihre Schöpfer zu verleumden. Weil nichts, was sie geschaffen hatten, dem Schönheitsideal des verkrachten Malers Adolf Hitler entsprach, nichts dazu taugte, das Volk heroisch einzustimmen: keine Deutsche Kunst, die gestählte Männerakte anbot, keine Bilder, auf denen sich nackte Frauen mit ausladenden Hüften, breiten Schenkeln und prallen Brüsten präsentierten – kein deutsches Weib, das dem Dritten Reich junge Nationalsozialisten gebären würde. Völkische Propaganda und die europäische Moderne, das fügte sich nicht zusammen. Stattdessen schwelgte die künstlerische Avantgarde in Farben und schuf Werke, in denen sich die beschädigten Seelen der Menschen spiegelten. Das verstörte; deshalb wurden die Künstler als Geisteskranke diffamiert, der Perversität geziehen.

„Trostlose Beispiele des Kunstbolschewismus“

Durch die im wahrsten Sinne des Wortes schräge Präsentation und herabwürdigende Kommentare wollten die Herren der Zeit das Volk abschrecken, es davor warnen, sich auf diese Kunst einzulassen. Vorgeführt als „trostlose Beispiele des Kunstbolschewismus“ und der „Judenplage“ schürten die Kunstwerke Hass und Neid auf ihre Schöpfer. Das deutsche Spießbürgertum sollte sich beleidigt fühlen, missachtet von Intellektuellen, die angeblich nichts auf den Kunstverstand des kleinen Mannes von der Straße und das „gesunde“ Empfinden der einfachen Leute geben würden. 

Nach der Bücherverbrennung 1933 war die Ausstellung „Entartete Kunst“ der zweite Akt einer ideologischen Barbarei, der sich nie mehr wiederholen sollte, schon gar nicht in der Mitte Europas. 

Doch kommt es erstens meist anders als gedacht, und zweitens, als man es sich vorzustellen wagt. Eben erst, vor wenigen Wochen, eröffnete in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel „Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext“. Angeschwärzt werden abermals Künstler, auf die es schon die Schergen Hitlers abgesehen hatten: Erich Heckel, Emil Nolde, Max Pechstein, Erst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff. Allesamt „Entartete“, diesmal verdächtigt als Profiteure des deutschen Kolonialismus. Wieder werden für den lindgrünen Schwindel einige der bedeutendsten Kunstwerke des frühen zwanzigsten Jahrhunderts missbraucht.

Der modische Geschichtsrevisionimus

Die Verantwortung dafür tragen AusstellungsmacherInnen, die sich als KunsthistorikerInnen gebärden, ohne auch nur einen blassen Schimmer von der Kunstgeschichte im engeren oder gar der Kulturgeschichte im weiteren Sinne zu haben. Das Einzige, was in den Köpfen spukt, ist der modische Geschichtsrevisionimus. Darauf kapriziert, wollen die Damen Aufmerksamkeit schinden. Im heute-journal des ZDF ist es ihnen noch unter Claus Kleber bereits gelungen.

Die Direktorin des Museums, Lisa Marei Schmidt, konnte uns unter die Nase reiben, was auch im Internet-Auftritt des Haues steht: Die angeschwärzten Künstler hätten „die stilistischen Elemente der Künste und Kulturen aus Afrika, Ozeanien oder Indien als Anregung für ihre Kunst“ genutzt, „ohne deren Entstehungskontexte, die kolonialen Machtverhältnisse und ihr rassistisches Weltbild zu reflektieren“.

Sicher haben sich die Expressionisten von afrikanischen und anderen Kunstwerken aus exotischer Ferne anregen lassen, sich manches kreativ angeeignet, was in den um 1900 entstehenden Völkerkundemuseen zu sehen war, weniger wohl von den sogenannten „Völkerschauen“, in denen „Neger“ wie Tiere hinter Gittern gezeigt wurden. Und mal ganz unter uns: Was wäre von den Kulturschätzen Afrikas noch erhalten, hätten die Europäer sie nicht gesammelt und im Schutzraum der Völkerkundemuseen sicher verwahrt? Der Kolonialismus hatte – mit Verlaub – auch positive Seiten und manches zur Entdeckung der Weltkultur beigetragen, um welchen Preis auch immer. 

Im Eifer des Moralisierens

Das Exotische, die Landschaften, die Natur und die Menschen weckten die Sehnsucht nach dem Ausbruch aus der bürgerlich reglementierten Enge. Die Künstler waren gepackt von dem unbändigen Drang nach Einfachheit und Ursprünglichkeit. Was sollte daran verwerflich sein, sich an fremden, statt an den immer gleichen heimischen Vorbildern zu orientieren? Schließlich waren die Expressionisten keine Fälscher, die das Fremde kopierten. Sie wollten gestalten, die Welt mit geweitetem Blick erfassen. Sie waren auf der Suche nach kreativem Anschluss. 

Außerdem spielte die Landschaftsmalerei – auch das scheint den Berliner Damen im Eifer des Moralisierens entgangen zu sein – gerade bei den Brücke-Malern von Anfang an eine besondere Rolle. Gemeinsam waren sie anfangs an die Moritzburger Teiche vor den Toren Dresdens gezogen, um weibliche Akte im Freien zu malen.

Wer ihnen jetzt vorhält, den afrikanischen Nacktmodellen kein Bananen-Röckchen angezogen zu haben, hat nichts von der Kunst verstanden. Wer Anstoß daran nimmt, dass Emil Nolde und Max Pechstein die fernen Landschaften so paradiesisch malten, wie sie von diesen auf ihren Reisen in die deutschen Kolonialgebiete Papua-Neuguinea und auf das Inselreich Palau überwältigt worden waren, sollte lieber den Schnabel halten, ehe er den Genies vorhält, ihre Werke entbehrten der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus. 

Die neudeutsche Prüderie

Diejenigen, die so argumentieren, verfügen über den geistigen Horizont von Eintagsfliegen. Was gestern war und geschah, entzieht sich ihrem Fassungsvermögen. Die Kunst wollte aber stets über den eigenen Tellerrand blicken, wollte aufgreifen, was jenseits des eigenen Kirchturms geschah. Wäre es nicht so, so wäre Goethes „West-östlicher Divan“ nie entstanden. Drei Werke des persischen Dichters Hais hatten ihn dazu inspiriert. In der naseweisen Verurteilung der Aktdarstellungen afrikanischer Frauen durch die Expressionisten offenbart sich wieder einmal die neudeutsche Prüderie einer scheiternden Emanzipationsbewegung. 

Das, was jetzt in Berlin zelebriert wird, ist abermals ein Akt der Kulturbarbarei. Das Land ist intellektuell derart auf den ideologisch dressierten Hund gekommen, wie das nur in einem Irrenhaus möglich ist, dessen Insassen, Idioten und Idiotinnen, als Freigänger jeden Blödsinn verzapfen können, auch eine Ausstellung wie jene, die im Brücke-Museum noch bis zum 20. März 2022 zu sehen ist. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Martin Berke / 04.01.2022

@Christoph Mike Dietel „Ich argwöhne…“ Vielen Dank für diesen fantastischen Satz. Den nehme ich in meinen Zitatenvorrat auf und werde ihn bei Verwendung gerne mit dem Urheber versehen.

Gottfried Meier / 04.01.2022

Haben es die Taliban jetzt schon zu uns geschafft? Unter diesen Gesichtspunkten bekommt das Kunstwerk von Bansky, das sich selbst zerstörte, eine ganz neue Bedeutung.

Elias Schwarz / 04.01.2022

Soll ich jetzt diese Moralwächter fragen, ob und wie ich “Good Morning Vietnam” ansehen darf? Da spielt ein schwarzer Schauspieler, den ich sehr mag, ohne kolonialistischen oder sonst welchen Ansichten.

Wolfgang Kessler / 04.01.2022

@Eva Mie: Was haben Vergehen in der Kolonialzeit mit der künstlerischen Verarbeitung außereuropäischer Formen durch deutsche Maler zu tun?

M.R.W. Peters / 04.01.2022

Deutsche! Esst keine Kolonialwaren mehr! Beschränkt euch auf Kartoffeln und Wurzeln! Rindfleisch schmeckt auch ohne Pfeffer, Fleisch ist eh nazional und Tee und Kaffee auch. Zurück aufs Lastenfahrrad, Petroleumlampe und Kaninchen im Kleingarten! Zurück zum röhrenden Hirsch überm Sofa - oder besser noch der woken Zigeunerin im Wechselrahmen.

Johannes Schuster / 04.01.2022

Der Moral - Nazi, oder der Saubermann aus der reinen Schlangengrube der Nattern von der Herrschaft Gnaden. Ich glaube langsam, daß in dem Programm der Johanna Haarer so eine Art Schlüpfprogramm verklausuliert ist und aus dem vermeintlichen Nichts jetzt die ganzen Klonrohlinge dem Ei der Erziehung entfleuchen. Wer es glaubte, die deutsche Seele hätte nicht auf eine Revanche für die zwei Kriege gesonnen, der muß ein Narr in der Geschichte sein. Diesmal schlägt der Nazi mit der kosmopolitischen Moral zu, es ist eine andere Waffe, ihr Träger ist der gleiche.

M.R.W. Peters / 04.01.2022

Bamian lässt grüßen.

Heinz Klaus / 04.01.2022

“Aktuell Für den Museumsbesuch gilt die 2G-Regel. Der Nachweis des vollständigen Impfschutzes (digital verifizierbarer Nachweis mit QR Code) oder ein Nachweis über den Genesenenstatus sind für den Einlass voraussetzend.” Schade ich darf die Schande nicht Schauen.

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