Englands episches Drama: David überholt Boris

Wer beim Betrachten der deutschen Politik gähnen muss oder sich verzweifelt die Haare rauft, dem sei ab und zu mal ein Blick nach England empfohlen. Dort ist politisch immer was los. Hinter der bescheidenen schwarzen Tür von 10 Downing Street spielen sich Dramen und Komödien ab, die dem Freund unterhaltsamer Politik ein volles Programm bieten. 

Ganz aktuell hat ein epischer Zweikampf überraschend wieder die Bühne erobert: die Rivalität der beiden Public-School-Boys und Oxford-Konkurrenten, Boris Johnson und David Cameron. Der ehemalige, langjährige Premierminister Cameron (2010 bis 2016) erlebt nach sieben Jahren in der politischen Wüste ein Comeback. Der nicht so langjährige Premierminister Johnson (2019 bis 2022), der seinen Rivalen damals ins politische Jenseits geschickt hat, wurde inzwischen selber zum Bewohner der politischen Wüste. Und nun muss er zähneknirschend die Wiederbelebung des scheinbar endgültig Besiegten hinnehmen. England ist ein Land der politischen Überraschungen. 

Die aktuellste und verblüffendste Überraschung ist die blitzartige Erhebung des Rückkehrers Cameron in den Adelsstand. Das hat King Charles auf Zuruf so schnell erledigt, dass Cameron, ab sofort ein Life Peer, noch keine Zeit hatte, seinen roten Adelsmantel samt Hermelin schneidern lassen konnte. Die Ruck-Zuck-Erhebung ins House of Lords war notwendig geworden, weil Cameron längst nicht mehr Abgeordneter im Unterhaus ist und nur Abgeordnete oder Lords ein Regierungsamt bekleiden dürfen.

England ist nicht nur ein Land der Überraschungen, sondern auch ein Land der wunderbar trickreichen Traditionen. Kein Sitz im Parlament? Kein Problem: Im Oberhaus ist immer ein Plätzchen frei. Die politisch gewichtigere Überraschung ist natürlich Camerons Ernennung zum neuen Außenminister. Dieser Coup des amtierenden Premierministers Rishi Sunak hat die gesamte journalistische Truppe der Downing-Street-Beobachter derart überrascht, dass eine Moderatorin sogar ihre Tasse Tee verschüttete.

Sunak, der eigentlich nicht zu Überraschungen neigt, versucht mit diesem Coup, seine unruhige Tory-Partei auf Vordermann zu bringen. Er selber, ein pragmatischer Brexit-Mann der konservativen Mitte, hat einen Laden voller Unruheherde. Der Unruhigste, Boris Johnson, hat sich selber aus dem Spitzenamt katapultiert. Seine Nachfolgerin Liz Truss, auch eine Unruhige, brach den Rekord der kürzesten Amtszeit eines englischen Regierungschefs (September bis Oktober 2022). Die prominenteste Querdenkerin war bis zuletzt Suella Braverman als Innenministerin. Sie hat sich bei den braveren Briten unbeliebt gemacht, indem sie Ruanda als Abschiebeplatz für Flüchtlinge entdeckte, die Polizei zu Weicheiern erklärte und Obdachlosigkeit in einigen Fällen als Lifestyle bezeichnete.

Erstens kam es anders und zweitens als gedacht

Das war dem maßvollen Sunak des wenig Maßvollen dann doch zu viel. Mit dem Rauswurf der wilden Suella, der Galionsfigur der Widerborstigen, und einem daraus folgenden Ringelpietz im Kabinett wagte Sunak den großen Befreiungsschlag. Er hofft, gestärkt und mit einer weniger zerstrittenen Tory-Partei in den kommenden Wahlkampf zu gehen. Wird sein Rettungsplan gelingen?

David Cameron, der durch den Ringelpietz das Amt des Außenministers ergatterte, hat auch schon mal versucht, durch einen kühnen Befreiungsschlag Ruhe in seine unruhige Partei zu bringen. Damals wollten zu viele, was er nicht wollte: raus aus der Europäischen Union. Cameron, in einem Moment des Leichtsinns und/oder der Selbstüberschätzung, bot dem Land ein Referendum über Austritt oder Verbleib an. Er war sicher, und erzählte das auch seinen beunruhigten Gesprächspartnern in Brüssel, dass es ein klares Votum für die EU geben werde.

Aber erstens kam es anders und zweitens als gedacht. Dass sich die abstimmenden Briten mit knapper Mehrheit für einen Brexit entschieden, ist nicht zuletzt Camerons ehemaligem Kommilitonen Boris Johnson zu verdanken. Der gelernte Journalist und zeitweilige Brüsselkorrespondent beschloss, EU-Gegner zu werden und legte einen furiosen Pro-Brexit-Wahlkampf hin. Mit dem Ergebnis, dass Cameron geschlagen abdankte und Johnson – nach einem Zwischenspiel mit Theresa May – in Downing Street einzog.

Befreiungsschläge führen also nicht immer zur erwünschten Befreiung. Und wenn ein ehemaliger Premierminister Außenminister werden kann, was hindert dann einen anderen ehemaligen Premierminister daran, noch mal Premierminister zu werden? Jedenfalls lauert Boris Johnson weiter in seinem Wüstenversteck und hofft mit Hilfe seiner radikaleren Freunde auf eine noch eindrucksvollere Rückkehr, als sie der maßvolle David Cameron nun hingelegt hat.

Aber wann? Im nächsten Jahr wird gewählt, und Keir Starmer, der Chef der Labourpartei, ist der mit Abstand aussichtsreichste Kandidat für den Einzug in 10 Downing Street. Das sagen nicht nur die Umfragen, das sagen auch mehrere Nachwahlen, die Sunak verloren hat. Kann er noch vor der Wahl über seinen Befreiungsschlag stürzen? Ein ganzes Jahr ist eine lange Zeit in der Politik. Aber es ist eine kurze Zeit, um einen amtierenden Premier abzusägen. Es wäre der dritte Wechsel in vier Jahren, keine sehr konservative Bilanz. Nein, es sieht wohl so aus, als könne sich Rishi Sunak im Amt halten und als Herr des Geschehens und in allen Ehren die kommende Wahl verlieren. 

Weshalb David Cameron sich seines Amts als Außenminister wohl nur auf einige Monate erfreuen kann. Immerhin: Als Lord hat er im Oberhaus nun lebenslänglich einen Platz.

 

Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

Foto: Montage Achgut.com/Wikicommons

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Leserpost

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Charlene Riske / 14.11.2023

Wenn unsere Bundesinnenministerin mit dem englisch klingenden Namen ausgewechselt wird, wartet kein Sessel im Deutschen Bundestag auf sie. Nancy hat kein Mandat.

S. Marek / 14.11.2023

AUFRICHTIGE Berichterstattung”:  Was passiert wirklich im Al-Shifa-Krankenhaus?  # Israel National News   Nov 14, 2023, 3:37 PM (GMT+2)  #  Eine Nichtregierungsorganisation (NRO) reagiert auf falsche Berichte über den israelischen Angriff auf das Krankenhaus in Gaza und erinnert die Zuschauer daran, welche Seite den Ort als Basis nutzt. Anschauen:  israelnationalnews com news 380303   #  Die Organisation Honest Reporting hat ein Video produziert, um auf Berichte zu reagieren, wonach das Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza von der IDF belagert wird.    “Die Medien haben die wohlbekannte Tatsache, daß die Hamas den Ort als Operationsbasis nutzt, bequemer-weise ausgelassen”, so die Organisation.    “Während Israel gegen die Hamas kämpft”, erklärten sie, “versteckt sich die Hamas hinter Zivilisten und hat sogar verhindert, daß das Krankenhaus von Israel angebotenen Treibstoff erhält”.    Die Organisation betonte, daß dies alles geschehe, während Israel versuche, Zivilisten aus der tyrannischen Herrschaft der Hamas-Terroristen zu evakuieren”.

Gerhard Hotz / 14.11.2023

Nicht nur das ist los: Ex-Ukip-Chef Nigel Farage will auch wieder eine Rolle spielen und geht ins Dschungelcamp. Kein Witz! Vielleicht muss er sich irgendwie selber therapieren, nachdem England nach dem Brexit nicht durchgestartet ist, so wie es die Brexiteers phantasiert hatten.

A. Ostrovsky / 14.11.2023

@Talman Rahmenschneider : Ja, ich bin auch ratlos, ohne jede Orientierung. Ich glaube, wenn man mich jetzt zur Wahl auffordern würde, würde ich die Falschen wählen. Zum Glück darf ich in England gar nicht wählen. Weil ich nicht in der richtigen Kolonie geboren bin. Ich frage mal naiv. In welcher Kolonie Englands regiert oder gegierte in den letzten 20 Jahren ein nativer Engländer? Das ist doch eine Einbahnstraße. Das ist in meiner Sicht keine Option für uns!

A. Ostrovsky / 14.11.2023

Ich habe gerade mal nach der Religion Sunaks googeln wollen und bin nach zwei Klicks irgendwie bei der “Tanganjika-Lachepidemie” hängen geblieben. Weiß hier jemand, ob der Herr Sunak einer Religion angehört? Bie Suella Braverman soll es ja der Budhismus sein. Nur ihr Ehemann scheint Jude zu sein. In einem religiös verursachten Konflikt muss man aber irgendwo hin gehören. Aber England war doch christlich? Oder glauben die dort an den König? Wen kann man da fragen? Die sind ja alle eingewandert. Und wenn beide Eltern von Suella B. tamilischer Abstammung aus dem Punjab sind, aber die Suelle gegen weitere Einwanderung aus Indien ist, haut sie doch dem Sunak die Füße weg. Wer glaubt da eigentlich noch, dass es um ihre Meinung zu den “Palästinenser”-Unruhen geht? Ich nicht wirklich, aber man kann mir nichts beweisen.

A. Ostrovsky / 14.11.2023

@Wilfried Cremer : >>Cameron muss nicht befürchten, dass ihm jemand mit dem Kamm zu Leibe rückt…<< Der Großvater vom Boris soll irgendwas wichtiges bei den Osmanen gewesen sein. Beim Cameron weiß ich nichts über die Großväter und Großmütter. Bei Suella Braverman weiß ich eigentlich nur, dass die Mutter immer Fensehen geschaut hat und dass sie ihren Vornamen deshalb vom Grundschullehrer bekommen hat. Aber hurra, obwohl sie schon länger auf der Abschussliste steht, hat sie sich jetzt auf der richtigen Seite verortet. Deshalb wollen hier im Forum fast alle, dass sie Premierministerin werden soll. Vermutlich sind das die selben, die in Deutschland die Machtübernahme durch Angela damals mit Krimsekt gefeiert haben. Sorry, mir steht diese machtvolle politische Äußerung nicht zu. Ich bin kein Brite! Möge bitte jeder mal in seinen Pass scheuen, wo er herkommt und wo er hingehört. Die Mutigen können dann bitte in Israel die Polizei / IDF schwer kritisieren, oder in Deutschland den Gesundheitsminister. Schaumermal. Es ist nicht legitim, wenn sich Ausländer in die Besetzung politischer Funktionen einmischen.

Didi Hieronymus Hellbeck / 14.11.2023

Freunde berichteten, das Leben in England sei ein einziger Siff. Alles total auf politische Korrektheit gebügelt, schlimmer als in Deutschland. Trotzdem werden die dort bleiben, Man muss sich auch stets vergegenwärtigen, dass die Briten Atombomben haben. Versifft wie auch immer, sie haben schon noch etwas zu sagen, der Clown Deutschland hingegen nicht.

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