Klaus-Dieter Humpich, Gastautor / 18.11.2023 / 10:00 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Energiewende auf Tschechisch: Mehr AKWs wagen!

Unser Nachbar – mit gemeinsamer Grenze zu Bayern und Sachsen – scheint nicht dem deutschen Sonnenkult und dem Charme der Windräder zu erliegen. Nein, dort hat die Realität gesiegt. Die „Energiewende“ nach tschechischer Art scheint in Richtung Kernenergie zu gehen. Man will nicht nur elektrische Energie herstellen, sondern auch den Wärmemarkt versorgen. Ein weiterer und bedeutender Unterschied zu Deutschland, wo man die vollständige Elektrifizierung (Verkehr und Wärmepumpen) durch wetterabhängige Energieträger zum Ideal erhoben hat.

In Tschechien hat man schon zu Zeiten des Ostblocks mit dem Bau von Kernkraftwerken begonnen. Zwischen 1985 und 1987 gingen vier Blöcke mit je 510 MWel des sowjetischen Typs VVER V213 in Dukovany in Betrieb. Diese wurden – anders als in Deutschland – nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums nicht stillgelegt, sondern weiter betrieben, modernisiert und auf den westlichen Sicherheitsstandard gebracht. 2000 bis 2002 gingen in Temelin zwei weitere Blöcke mit je 1.086 MWel vom Typ VVER V320 ans Netz.

Damit hatte man im Jahr 2021 einen Energiemix aus 41 Prozent Kohle und drei Prozent Kernenergie. Sonne und Wind trugen gerade einmal vier Prozent bei. Schon damals war man Nettoexporteur (15,2 TWh Import; 26,3 TWh Export). Bei der verquasten Energiepolitik in Deutschland und der geographischen Lage ist klar, wohin die Reise gehen wird (oder muss?). Nach jahrzehntelangen Diskussionen in Tschechien und mit der Europäischen Kommission wurde im Oktober 2023 ein Angebot für die Blöcke Dukovany 5 + 6 durch EDF, Westinghouse und Korea Hydro & Nuclear Power abgegeben. Die tschechische Regierung plant nun, bis zum nächsten Jahr die Angebote auszuwerten und unterschriftsreife Verträge vorzulegen. Baubeginn soll laut Plan 2029 und die Fertigstellung 2036 sein.

Heizung mit Kernenergie

Mit der Abwärme des Kernkraftwerks Temelin werden die Städte Tyn und Vltavou in fünf Kilometer Entfernung versorgt. Auch Budweis (České Budějovice), 24 Kilometer entfernt, wird versorgt. Diese Fernwärmeleitung deckt 30 Prozent des Bedarfs der Stadt ab. Weitere Anschlüsse der vorhandenen Kernkraftwerke erscheinen nicht wirtschaftlich, da die Anlagen früher bewusst von Siedlungen entfernt gebaut wurden. Grund dafür war die Angst vor Strahlung. Fernwärmeleitungen sind aber extrem kostspielig und große Entfernungen damit nur bedingt erschließbar. Außerdem steigen die Verluste proportional mit der Länge an.

Deshalb hat man eine Liste und eine Karte der vorhandenen Kohlekraftwerke und Heizkraftwerke erstellt, deren Anlagen für eine Umstellung auf SMR (Small Modular Reactors, „kleine modulare Reaktoren“) geeignet sind. Es ergaben sich 45 Standorte, die die Kriterien erfüllen (mindestens 1.000 t Dampf für Fernwärme und 1,5 TWh elektrische Energie bei mindestens 50 Prozent Anteil Kohle, Anschlüsse an 400 kV bzw. 110 kV vorhanden).

An dieser Stelle ist es wichtig, die grundsätzlich verschiedenen Ansätze in Deutschland und Tschechien für die Energieversorgung einer modernen Volkswirtschaft zu verdeutlichen:

  • In Deutschland hat man sich für die zentrale Lösung entschieden. Man macht aus Nord- und Ostsee einen riesigen Industriepark mit nicht absehbaren Folgen für Flora und Fauna. Zwangsläufig muss die elektrische Energie mit „Stromautobahnen“ – welch treffender Ausdruck für diese Schneisen in der Natur – über hunderte Kilometer zu den Verbrauchern transportiert werden. 
     
  • In Tschechien versucht man, mit der Energieproduktion möglichst nahe an die Verbraucher heranzurücken – kurze Wege, geringe Kosten und Verluste. Entscheidend ist aber vielmehr die direkte Nutzung von Wärme, zum Beispiel für die Heizung der Gebäude. Erst wird Strom produziert und anschließend mit der Abwärme geheizt (Kraft-Wärme-Kopplung, KWK). Immer noch das überlegene Prinzip der Energieausnutzung. Viel geringerer Primärenergie-Einsatz als bei dem umständlichen Weg der Luft-Wärmepumpen, ausgerechnet an kalten Wintertagen. Neben geringerer Umweltbelastung ergeben sich auch wesentlich geringere Kosten als bei der „elektrischen Heizung“ mit dem teuren Windstrom (Sonne ist in unseren Breiten im Winter eh zu vernachlässigen). Man verwendet vorhandene Gebäude (kein teuerer Umbau nötig) und das vorhandene Fernwärmenetz weiter. Man stelle sich bloß mal die schöne Altstadt von Prag in Styropor verpackt vor. Viele Bürger in Deutschland sind sich wahrscheinlich noch gar nicht bewusst, welcher Irrsinn durch die „Energiewende“ noch auf uns zukommt.

Wie steht’s mit der Sicherheit?

Je näher man an Städte rückt, um so geringer darf die Wahrscheinlichkeit einer radioaktiven Freisetzung sein. In diesem Sinne müssen solche Reaktoren über passive Sicherheitseinrichtungen verfügen. Um gleich mit dem Unfug einer absoluten Sicherheit aufzuräumen: Es wird immer Störfälle bei jeder Technik geben, für den Ingenieur ist nur die Häufigkeit und der resultierende Schaden relevant. Risiko ist die nicht vom Nutzen trennbare Kehrseite. Man kann leicht den Flugzeugabsturz eines startenden Jumbo auf ein vollbesetztes Fußballstadion konstruieren (das Berliner Olympiastadion lag nahezu in der Einflugschneise des Flughafens Tegel). Soll man deshalb Länderspiele oder Flugzeuge verbieten?

Alle SMR auf der Basis von Leichtwasserreaktoren (Druckwasser- oder Siedewasserreaktoren) sind so konzipiert, dass auch bei schwersten Unfällen die Auswirkungen auf das „Firmengelände“ beschränkt bleiben. Ein schwerer Störfall würde damit genauso ablaufen wie zahlreiche Brände in Industrieanlagen in Großstädten: Schließen Sie die Fenster und lassen Sie die Feuerwehr ihre Arbeit machen … Wem dieses Risiko in Abwägung mit den Annehmlichkeiten (Arbeitsplätze, Kulturangebot etc.) einer Großstadt immer noch zu groß ist, bleibt das Landleben. Allerdings kann man ihm auch dort nicht absolute Sicherheit garantieren, es bleiben Risiken, wie Naturkatastrophen, ein Meteoriteneinschlag, Krieg und vieles mehr.

Spätestens seit den Störfällen in Harrisburg (Druckwasserreaktor) und selbst in Fukushima (Siedewasserreaktor) hat sich gezeigt, dass schwerste Störfälle bei Leichtwasserreaktoren ohne direkte Todesfälle ablaufen. Bei allen neuen Reaktoren der sogenannten Generation III+ sind solche Störfälle bereits technisch ausgeschlossen. Die geplanten SMR auf der Basis von Leichtwasserreaktoren sind noch einmal um Größenordnungen „sicherer“. So waren die Siedewasserreaktoren in Fukushima die zweite Generation, der SMR von GE Hitachi gehört zur zehnten Generation: Jahrzehnte der Forschung und Entwicklung und Betriebserfahrung fließen hier ein.

Der Zeithorizont

Tschechien scheint fest entschlossen, vorhandene Kohlekraftwerke durch SMR zu ersetzen. Man verfügt über eine gute kerntechnische Industrie (Skoda etc.), Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen und neben Jahrzehnten Betriebserfahrungen über eine zur Kernenergie positiv eingestellte Bevölkerung. Die Voraussetzungen sind erfüllt, trotzdem ist Zeit notwendig. Tschechien ist ein kleines Land mit nicht einmal 10 Millionen Einwohnern und daher begrenzten Mitteln. Kooperation ist deshalb angesagt. Man unterhält bereits enge Kontakte mit RollsRoyce (Druckwasserreaktor mit bis zu 440 MWel) als europäischem Partner und GE Hitachi (Siedewasserreaktor mit 320 MWel) für die USA und Kanada.

Ein Gedanke hinter den SMR ist die Kosteneinsparung durch Serienproduktion. Nun sind aber Kernkraftwerke keine Konsumgüter, ebenso wie Flugzeuge. Man muss deshalb die möglichen Stückzahlen im Auge behalten. Wenn man in dieses Geschäft einsteigen will, müsste man schon sehr viel Kapital in die Hand nehmen, um eigene Modelle zu entwickeln und die dafür notwendigen Fertigungsanlagen aufzubauen. Für ein so kleines Land wie Tschechien eher unmöglich. Bleibt die Möglichkeit, die Lizenz von einem namhaften Hersteller zu erwerben. Dann müsste man aber immer noch so große Stückzahlen haben, dass sich der Aufbau einer eigenen Fertigung lohnt. Für Tschechien scheint daher eine möglichst enge Kooperation mit wenigen Anbietern als der sinnvollste Weg. Man beschränkt sich auf die Produktion bestimmter Komponenten, die dafür indirekt für den gesamten Weltmarkt infrage kommen. Gerade bei diesem Modell ist Geschwindigkeit ausschlaggebend. Wer von Anfang an dabei ist, hat den größten Einfluss.

Später in einen etablierten Markt einsteigen zu wollen, ist immer kostspielig. Wie schnell sich „Platzhirsche“ international herausbilden, ist aus dem Computer- und Smartphone-Geschäft hinlänglich bekannt. Hätte sich Microsoft nicht an die große IBM rangehängt, würde heute kaum ein Mensch den Namen Bill Gates überhaupt kennen.

Besonders wichtig für Tschechien ist der Nachbar Polen, der ähnliche Pläne verfolgt. Dort drückt der Kohleausstieg ebenfalls. Zusammen wären über 100 SMR-Projekte denkbar. Das wäre der Nukleus für eine schlagkräftige kerntechnische Industrie im gesamten Osten Europas. Neben den (gut bezahlten) Arbeitsplätzen für Bau und Betrieb täte sich noch ein weiteres Exportprodukt auf: die Lieferung von preisgünstig und bedarfsgerecht vorhandener elektrischer Energie. Niemand in Europa hat ein Interesse, dass sich Deutschland in ein mittelalterliches, deindustrialisiertes Land zurückentwickelt. Bayern könnte der erste Großkunde sein. Strom aus tschechischen Kernkraftwerken ist auf jeden Fall günstiger und zuverlässiger als Windstrom von der Nordsee. Bayern ist auch (noch) nicht arm. Bayern könnte sinnvoll in Tschechien investieren. Sinnvoller jedenfalls, als sich von den Träumen eines Kinderbuchautors und seiner Höflinge verführen zu lassen.

 

Dr. Klaus-Dieter Humpich studierte Maschinenbau und Energie- und Verfahrenstechnik mit Schwerpunkt Kerntechnik, bevor er zehn Jahre am Institut für Kerntechnik in der Technischen Universität Berlin arbeitete. Seit 20 Jahren ist er freiberuflich im Bereich Energietechnik tätig. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog nukeklaus.de.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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U. Unger / 18.11.2023

Sie können die Überschrift getrost erweitern in alle, außer durchgeknalltes Deutschland. Elektrische Energie hat sich zur wesentlichsten Ressource der Menschheit entwickelt. Statt mehr oder ausreichend, verzichten wir. Danke Herr Humpich, daß Sie mit Herrn Haferburg weiter gegen den Irrsinn ankämpfen. Noch ist es möglich wieder auf die Überholspur zu gelangen. Es ist doch paradox/ schizophren, wie unsere Klimajünger sich auf immer kompliziertere Computermodelle berufen, aber gleichzeitig das Futter für dieses universelle Nutztier verknappen. Grüne Wirtschaft ist irre, selbst mit der Vorsilbe Land. Die Lösungen der klassischen Ökonomie waren schon immer äußerst nachhaltig, da stets in der Lage zusätzliche Kosten- und Nutzengrenzen in Ihr Denkmodell zu integrieren. Der Gedanke von Knappheit aller Inputfaktoren ist das Fundament dieser Wissenschaft.

Ralf.Michael / 18.11.2023

Es ist hier ( beispiellos ) wie beim leibhaftigen Suppenkasper ! Ich will das Atomkraftwerk nicht, Nein, mein Atomkraftwerk ich will es nicht. Jeder weiss, wie die Geschichte ausging. Es werden sich Andere daum kümmern und wieder einschalten….oder die Ideologen schiessen ihre Klimaziele in den Wind. Neue Techniken haben sich noch nie aufhalten lassen ! DMR und Dual-Fluid auch nicht !

Heiko Stadler / 18.11.2023

Mein Beitrag zur Energiewende (weg von Wind und Sonne und hin zur Kernenergie) besteht darin, dass ich mit einem sechsstelligen Betrag in Uran-Bergbauunternehmen eingestiegen bin. Die Aktien laufen richtig gut. Vor allem sollen aber auch die Unternehmen sehen, dass die Menschen im Land der dümmsten Regierung der Welt keineswegs so dumm sind wie ihre Regierung.

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