Energiewende auf Japanisch

Seit einem Jahrzehnt begeht die Kernenergie in Deutschland einen langsamen, qualvollen Selbstmord, der im Geschachere um den Weiterbetrieb von zwei oder drei Reaktoren für die Winterzeit ein erbärmliches Ende fand. Anlass für das atomare Harakiri war angeblich die Havarie im japanischen Kernkraftwerk Fukushima. Wie reagierte man dort?

Auch Japan hatte damals all seine Kernkraftwerke abgeschaltet, allerdings nicht für immer. Inzwischen baut man dort die nukleare Stromversorgung systematisch wieder auf und plant die Konstruktion neuer, verbesserter Reaktoren.

Der jährliche Stromverbrauch Japans beträgt ca. 1.000 Terawattstunden; bei 125 Millionen Einwohnern ergibt das einen jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 8.000 Kilowattstunden. Zum Vergleich die Zahlen für Deutschland: 570 TWh, 83 Mio. Einwohner und 6.900 kWh pro Kopf und Jahr. Ein moderner Kernreaktor erzeugt jährlich um die 10 Terawattstunden, ältere deutlich weniger. 

Der erste Atomstrom wurde in Japan 1966 ins Netz gespeist, Anfang 2011 war der Beitrag auf 30 Prozent gewachsen. Und man plante bis 2030 eine Steigerung auf 50 Prozent. Die Überlegung war, dass Japan seine starke Abhängigkeit von importiertem Erdöl reduzieren müsste, um globalen Krisen weniger ausgesetzt zu sein. 

Mit dem Desaster von Fukushima änderte sich alles. In den 15 Monaten danach wurden schrittweise alle 50 Reaktoren im Lande vom Netz genommen. Es herrschte eine starke Anti-Atom-Stimmung, und es wurden Forderungen laut, man solle die Atomkraftwerke für immer abgeschaltet lassen. Man beschuldigte die Regierung und die Betreiberfirma TEPCO, den Schutz der Bevölkerung beim Betrieb ihrer Kraftwerke sträflich vernachlässigt zu haben.

Die Vernunft siegte über die Propaganda

Darauf reagierte die Regierung, indem sie eine unabhängige Behörde, die Nuclear Regulatory Authority (NRA) beauftragte, die existierenden Kraftwerke einer strengen Sicherheitsprüfung zu unterziehen. Dabei sollten härtere Kriterien zur Anwendung kommen als zu Prä-Fukushima-Zeiten. 33 Reaktoren bestanden die Prüfung. Das Kraftwerk Fukushima 1 mit ehemals sechs Reaktoren ist offensichtlich nicht darunter, aber auch nicht Fukushima 2, zwölf Kilometer südlich gelegen, mit vier Reaktoren, in denen es keine Kernschmelze gab.

Von den 33 Kandidaten, die für gut befunden wurden, sind gegenwärtig zehn in Betrieb, die übrigen warten auf die Freigabe, um ihre Produktion wiederaufnehmen zu können. Angesichts des Krieges in der Ukraine und den Problemen bei der Gasversorgung soll die Zulassung aber beschleunigt werden. Der Premierminister forderte, dass bis zum Winter neun weitere Kraftwerke ans Netz gehen sollen und dazu sieben im Sommer 2023. Dann wären also 10 + 9 + 7 = 25 Reaktoren in Betrieb.

Während Deutschland seit Fukushima seine Flotte an Kernkraftwerken systematisch vernichtet hat und pünktlich zum Winter 2022/23 vor einem Riesen-Problem steht, hat Japan genau das Gegenteil getan. 

Diese politische Meisterleistung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass Japan nicht nur Schauplatz des Fukushima-Desasters war, sondern dass dort vor nur zwei oder drei Generationen durch die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki über 100.000 Menschen auf fürchterliche Weise ums Leben kamen. In der Bevölkerung gibt es daher starke Ressentiments gegen alles Nukleare und damit leichtes Spiel für die Atomkraftgegner. Aber bei Bevölkerung und Regierung siegte die Vernunft über die Propaganda; man gab grünen Populisten letztlich keine Chance. Was für ein Unterschied zu Deutschland!

Tokio will nicht experimentieren

Japan plant Kernkraft auch langfristig. Man hat sich dazu entschlossen, einen neuen Reaktortyp zu bauen, bei dem auch im Falle einer Kernschmelze die Umwelt nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Dazu verlegt man Teile der Anlage unter die Erdoberfläche. Die Maschine selbst aber ist ein konventioneller Druckwasser-Reaktor. Mitsubishi Heavy Industries und Hitachi betreiben diese Entwicklung, die in den 30er Jahren abgeschlossen sein soll.

Vielleicht fragen Sie jetzt, warum Japan auf diese altmodischen Monster setzt, obwohl doch heute allenthalben die Rede von neuen Reaktor-Generationen ist, die angeblich sicherer sind, kaum radioaktiven Abfall produzieren und die, im Gegenteil, die langlebigen strahlenden Erbschaften der alten Reaktoren entweder als Brennstoff nutzen oder zumindest unschädlich machen.

Diese Modelle existieren heute in erster Linie auf dem Papier, und der Weg vom Papier zum funktionierenden und produzierenden Giganten aus Stahl, Beton, Uran, Plutonium und 1.000° Celsius, dieser Weg ist mit Überraschungen gepflastert. Das Land Japan, in den Nachwehen von Fukushima, wäre sicher der denkbar falscheste Ort und es wäre der falscheste Zeitpunkt, um dort jetzt nukleare Überraschungen zu riskieren.

Langfristige Politik statt Harakiri

Es wäre nicht das erste Mal, dass solch ein Projekt Ärger macht. Vor einem halben Jahrhundert baute und betrieb man in Frankreich solch einen fortschrittlichen Reaktortyp, einen „schnellen Brüter“, der mehr Brennstoff erbrüten als verbrauchen und dabei 1.200 Megawatt Elektrizität liefern sollte. Es war unvermeidlich, dass es hier zur einen oder anderen Panne kam, wenn auch die Bevölkerung niemals gefährdet wurde. Dennoch wurde das Vorhaben – genannt „Super Phoenix“ – 1997 abgebrochen. 

Japan und Deutschland blicken beide auf eine lange Geschichte mit sehr anspruchsvoller Kultur zurück. Beide Nationen sind oder waren parallel, über Jahrzehnte, Vorreiter in Naturwissenschaften und Technik. Warum kommen diese beiden Staaten zu völlig unterschiedlichen Strategien in derselben Situation? Warum entscheidet sich Deutschland für ein atomares Harakiri, während Japan eine proaktive, langfristige Politik verfolgt? Vielleicht gibt es ja Politologen oder Soziologen, die darauf eine Antwort haben. 

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors, Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

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Leserpost

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Bernhard Maxara / 14.10.2022

Warum, fragen Sie? Es braucht dafür keine Politologen, am allerwenigsten Soziologen! Die Antwort ist: Fragen Sie mal in Japan nach den Vorzügen “antiautoritärer Erziehung”!

Dr Stefan Lehnhoff / 14.10.2022

Das entscheidende Schreibt Forist Hubert: Während gern- auch bei uns - vom stärksten Seebeben aller Zeiten geredet wurde, gab es allein in den 50 Jahren zuvor im Pazifik 3 stärkere, teils auch mit verheerenden Tsunamis. Und natürlich hätte man die Tsunami- Wellen der letzten 100000 Jahre anschauen müssen. Man hat sich schlicht 5 Meter Mauer gespart, eine unglaubliche - aber eben leider global häufige - Schlamperei. Kritische Infrastruktur so vulnerabel zu lassen / egal was für eine/ das sollte nicht passieren. Als Ehemaliger Katastrophenschützer muss ich Ihnen leider sagen: Das ist allgegenwärtig- die meisten von Ihnen werden das er-(aber nicht zwingend über)-leben. Die gleichen Kriminellen , die mittels Furcht ihre Mitmenschen Knechten ignorieren echte Risiken breitest.

Frank Müller / 14.10.2022

“Warum entscheidet sich Deutschland für ein atomares Harakiri, während Japan eine proaktive, langfristige Politik verfolgt? Vielleicht gibt es ja Politologen oder Soziologen, die darauf eine Antwort haben.” Dazu muss man weder Politologe noch Soziologe sein, gesunder Menschenverstand und ein bisschen Kenntnis über die jüngere deutsche Geschichte genügen völlig: Im Gegensetz zu Deutschland haben in Japan die Sozialisten NICHT sämtliche Institutionen gekapert und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Langfristig waren die Linksradikalen erolgreich und haben die BRD in den letzten Jahrzehnten in eine DDR 2.0 verwandelt. Die aktuelle Regierung nahm Merkels Vorlage nur zu gern an und stellte das Land engültig von den Füßen auf den Kopf. Kauft also Kämme - es kommen lausige Zeiten.

Gerd Hubert / 14.10.2022

Japan hätte nur auf die alten Steine hören müssen.Dort steht nämlich:Baut nicht vor diesem Stein…. denn bis dahin kam schon mal ein Tsunami…. In D. ist es ähnlich.Die Fluten im Ahrtal waren bekannt,aber Politiker wiesen es als Bauland aus…

Hadwig Hofmann / 14.10.2022

Nirgends auf der Welt sind die “schon länger hier Lebenden” dümmer als in Deutschland.

Jörg Krüger / 14.10.2022

In Japan gibt es noch Bildung von Kindesbeinen an.

Rudhart M.H. / 14.10.2022

Auf Antworten von Politologen und Soziologen und sonstigen Geschwätzwissenschaftlern kann ich sehr gern und bestens dankend verzichten!

Tobias Budke / 14.10.2022

Ich denke, das Wort, das man auf jeden Fall benötigt, um diese Politik zu verstehen, ist “Angst”. Die Deutschen scheinen offenbar ungewöhnlich schnell zu Angst und Panikmache zu neigen; Walter Krämer hat sehr schön aufgezeigt, dass die typische deutsche Berichterstattung über Umwelt- und Gesundheitsthemen im internationalen Vergleich sehr panik- und katastrophenlastig ist, und in “Medienmärchen” exerziert Burkhard Müller-Ulrich eine solche Umweltpanik anhand der klassischen “Waldsterben”-Diskussion in den Achtzigern durch. Wenn man in die deutsche Geschichte schaut, dann steht das Thema “Angst” sehr oft in Großbuchstaben an der Wand, wenn man politische Entscheidungen und gesellschaftliche Trends verstehen will. Literaturtipp zum Thema Angst: Frank Furedi, “Culture of Fear” und “How Fear Works”; daneben einige Bücher von Walter Krämer und Josef Reichholf.

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