André Thess, Gastautor / 01.04.2022 / 06:25 / Foto: Löwe / 43 / Seite ausdrucken

Energie- und Wirtschafts-Realismus: Lernen von Namibia!

Von André D. Thess.

Wer in die ehemalige deutsche Kolonie reist, findet ohne Mühe Elefanten, Naturwunder, Armut und Korruption.  Doch wer genauer hinschaut, entdeckt Unerwartetes: Freiheit, Marktwirtschaft, Unternehmergeist und Pragmatismus, an denen wir uns ein Beispiel nehmen können.

Manfred (1) stammt aus Brandenburg. Seit 2004 lebt er in Namibia. In atemberaubender Landschaft betreibt er eine urige Lodge mit fünf Bungalows im Stil von Fred Feuerstein. Photovoltaik-Kollektoren folgen, von Geisterhand bewegt, dem Stand der Sonne. Manfred berichtet: „Geldverdienen hier ist schwieriger als in Deutschland. Aber als Unternehmer und Mensch bist du frei von staatlicher Bevormundung. Und das ist mir wichtiger als alles andere.“

Das Bekenntnis des Auswanderers wirft ein Schlaglicht auf ein vernachlässigtes Kapitel der Berichterstattung über Namibia. Von Naturschönheiten, sozialen Gegensätze und Korruption wird seit langem ausgiebig berichtet. In jüngerer Zeit ist das Medienecho vom deutschen Kolonialerbe, von Verbrechen an den Hereros, von Entschädigungszahlungen und von grünem Wasserstoff geprägt. Wie repräsentativ ist dieses Bild für das Leben in der ehemaligen deutschen Kolonie? Wie geht es eigentlich der namibischen Wirtschaft in Zeiten coronabedingter Reisemüdigkeit – speziell dem Tourismussektor? 

In Namibia leben 2,5 Millionen Einwohner. Das sind ungefähr so viele wie in Brandenburg, allerdings auf der doppelten Fläche Deutschlands. Das jährliche Bruttosozialprodukt pro Kopf liegt mit 4.500 Euro etwa bei einem Zehntel des deutschen. Der Tourismus ist nach dem Bergbau der zweitgrößte Industriezweig. Er trug vor der Corona-Pandemie mit ungefähr 1,5 Millionen Touristen pro Jahr über zehn Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. Rein rechnerisch entspricht dies der Wirtschaftsleistung von 250.000 Namibiern. Durch die Corona-Pandemie sind die Touristenzahlen ab 2020 gegenüber den Vorjahren um fast 90 Prozent eingebrochen. 

Gemäß www.ourworldindata.org liegt Namibia hinsichtlich der kumulierten Zahl von Corona-Toten pro einer Million Einwohner ungefähr in der gleichen Klasse wie Deutschland. Die namibischen Sterbezahlen sind niedriger als in den USA, in Spanien und in Frankreich und liegen unter dem EU-Durchschnitt. Für die folgenden Betrachtungen ist noch gut zu wissen, dass Namibia über ein opulentes Solarpotenzial verfügt. Mit über 3.000 Volllaststunden ist es etwa doppelt so hoch wie in Deutschland. 

Nebenwirkungen deutscher Corona-Politik

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie berichten deutsche Medien über Infektionszahlen, Krankenhausbelegungen, Impfquoten und Mobilitätsbeschränkungen. Sie verengen die Erörterung von Corona-Maßnahmen meist auf die deutsche Perspektive. Gartenzwergmentalität statt Denken in großen Zusammenhängen. Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein Blick auf die Nebenwirkungen staatlicher Reisehürden und persönlicher Gefahren­abwägungen.

Nach Beginn der Corona-Pandemie brachen die Touristenzahlen in Namibia ein. Statt für 250.000 Menschen deckten die Einnahmen bei einem Einbruch auf zehn Prozent nur noch das Bruttosozialprodukt für 25.000 Einwohner ab. Während es in Deutschland für die – rein rechnerisch – 225.000 Betroffenen Hartz IV-Grundsicherung und staatliche Corona-Hilfen gegeben hätte, waren die Bewohner Namibias der wirtschaftlichen Schockwelle nahezu schutzlos ausgeliefert. Doch gerade in dieser schweren Zeit schlug die Stunde der Partnerschaft zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern.  

John ist Manager einer Luxusherberge, die zu einer namibischen Tourismuskette gehört. Im September 2021 berichtet er: „Die Unternehmensangehörigen haben sich nach Corona-Ausbruch darauf geeinigt, Managergehälter auf 50 und Mitarbeiterlöhne auf 80 Prozent zu reduzieren. Kommt bitte schnell in unsere Lodges, damit es uns bald wieder besser geht.“ Martha betreibt eine Pension in Keetmanshoop. Sie erzählt: „Ich habe Zimmermädchen, Hausmeister und Gärtner über mehrere Monate hinweg aus meinen Ersparnissen bezahlt, um wertvolles Personal nicht zu verlieren. Zum Glück hat wenigstens mein Mann einen krisensicheren Job in der Landwirtschaft.“

In Namibia liegt der Mindestlohn bei 1.500 Namibischen Dollar, knapp 100 Euro. Manfred sagt: „Ich zahle meinen Mitarbeitern schon immer einen höheren Lohn als anderswo. Während der Corona-Zeit habe ich meine Angestellten teilweise auf eigene Rechnung finanziert.“ 

Luxustourist als wirkmächtigster Entwicklungshelfer

Der Tourenführer Wilhelm macht bei einer Wanderung klar, welch dramatische soziale Konsequenzen das Ausbleiben von Touristen hat: „Ich habe vier Töchter. Deren  Schulgeld muss ich unabhängig von meinen Einkünften finanzieren.“ Er berichtet: „Rezeptionisten, Kellner, Gärtner und Reiseführer müssen oft als Alleinverdiener vielköpfige Familien mit Frau, Kindern, Eltern und Schwiegereltern finanzieren. Arbeitslosigkeit wegen fehlender Touristen lässt ganze Großfamilien in Armut fallen. Nicht zuletzt, weil sie sich keine medizinische Versorgung leisten können.“

Die Folgen der Besucherflaute sind besonders schmerzhaft, weil mit dem Tourismus ein hocheffizientes Entwicklungshilfewerkzeug zerbricht. Während jugendliche Entwicklungshelfer mit Rasta-Locken und Hosen in Java-Batik-Muster auf ihren Selbstfindungstrips vor Ort oft eher stören als helfen, und während deutsche Ministerialbeamte mehr an planmäßigen Mittelabflüssen und wohlklingenden Abschlussberichten als an der Wirksamkeit der von ihnen finanzierten Projekte gemessen werden, verkörpert der Luxustourist in Wirklichkeit den wirkmächtigsten Entwicklungshelfer.

So injiziert ein Ehepaar mit einer einzigen Übernachtung in der Spitzkoppen-Lodge zum Preis von 400 Euro pro Nacht (Stand September 2021) ein Zehntel des namibischen Pro-Kopf-Bruttosozialprodukts in den lokalen Wirtschaftskreislauf. Ein Großteil des Geldes entfaltet über die Großfamilien von Zimmermädchen, Rezeptionisten und Kellnern schlagartig ökonomische Wirkung und pflanzt sich wohlstandsstiftend in regionalen Wertschöpfungsstrukturen fort. Die gleiche Summe würde in Deutschland nur ein Hundertstel des Pro-Kopf-Bruttosozialprodukts verkörpern und somit eine weitaus geringere soziale Wirkung entfalten. Tourismus dürfte schon deshalb effizienter als staatliche Entwicklungshilfe sein, weil sich Reisende zielgenau am Preis-Leistungsverhältnis touristischer Dienstleistungen orientieren und damit Wettbewerb und Leistungsdenken fördern. 

Manfred meint rückblickend: „Deutschland hätte auf Reiserestriktionen nach Namibia weitgehend verzichten und die Medien hätten umfassender über die schlimmen Nebenwirkungen in der globalen Tourismusindustrie berichten sollen“. An die Adresse klimasensibler deutscher Jugendlicher hat eine Lodge-Managerin noch den Hinweis: „Ich kann Euch die Flugscham nicht verbieten. Hoffentlich ist Euch jedoch klar, dass wir Afrikaner unter Arbeitslosigkeit und Touristenmangel weitaus stärker leiden als unter dem Klimawandel.“

Kontraste zur deutschen Energiepolitik

Namibia kennt kein Erneuerbare-Energie-Gesetz, keine Subventionen für Elektroautos oder Lastenräder und schon gar keine Solardachpflicht. Während Autofahrer, Häuslebauer und Unternehmer in Deutschland ihre Lebensentwürfe und Geschäftsmodelle oft auf das Abschöpfen staatlicher Subventionen ausrichten, existiert dieser Anreiz in Namibia nicht. Umso aufschlussreicher ist es, wie sich in Namibia ohne staatliches Zutun eine marktwirtschaftliche und technologieoffene Transformation des Energiesystems vollzieht. Dabei lassen sich in den Sektoren Wärme, Strom und Mobilität unterschiedliche Mechanismen im Zieldreieck zwischen Zuverlässigkeit, Bezahlbarkeit und Klimaneutralität ausmachen. 

Da die Energieversorgung in entlegenen namibischen Herbergen überschaubarer ist als im vernetzten Industrieland Deutschland, lässt sich an Fallbeispielen in Reinkultur erkennen, wieso eine allen drei Zielkriterien genügende Energieversorgung mit dem heutigen Stand der Technik nicht realisierbar ist. Vor dem Blick auf konkrete Beispiele sei aus persönlichen Gesprächen die Beobachtung erwähnt, dass für namibische Tourismusunternehmer die Klimaneutralität kein Investitionskriterium darstellt. Vermutlich ist den nüchtern denkenden Hotelbesitzern klar: Wer für seine Anreise über eine halbe Tonne Kerosin verfliegt und mit dem SUV durch die Wüste brettert, braucht sich um die CO2-Bilanz seiner Lodge keine Sorgen zu machen. 

Beginnen wir mit der Wärme: In den meisten Touristenherbergen hat sich die „Wärmewende“ in den vergangenen Jahren ohne jegliche Förderprogramme vollzogen. Statt mit Gas- oder Ölfeuerung wird Duschwasser heute überwiegend mittels solarer Warmwasserbereiter erzeugt. Warmwasser für Küche und Restaurant wird hingegen immer noch oft mit Gas erwärmt. In keiner der von uns besuchten acht Herbergen fanden sich Solarkollektoren aus deutscher Produktion. Meistens handelte es sich um chinesische Fabrikate. Diese Art der Energieversorgung ist umweltfreundlich und preiswert, aber nicht versorgungssicher. Zu Zeiten geringerer Sonneneinstrahlung – die es auch in Namibia zuweilen gibt – oder bei hohem Bedarf reicht das Duschwasser nur für eine Person. Die Dekarbonisierung des Wärmesektors ist im namibischen Tourismus somit recht weit vorangeschritten. Von den drei Zielkriterien bleibt freilich die Versorgungssicherheit auf der Strecke. Doch mit dem Duschen ist das Thema Wärme nicht erschöpft. Wie steht es mit der Heizung?

Zwei wohlig heiße Wärmflaschen

Ein weit verbreiteter Irrglaube besagt, im sonnigen Namibia keine Heizung zu benötigen. Im September 2021 fiel unser Thermometer in einer Lodge im Süden des Landes auf den Gefrierpunkt. Beim Heizen lassen sich je nach Preissegment zwei unterschiedliche Umgänge mit den Zielgrößen Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit beobachten. 

Lodges im niedrigen und mittleren Preissegment verzichten zugunsten der Bezahlbarkeit auf Versorgungssicherheit. In zwei Herbergen durften wir dabei eine besonders pragmatische Lösung erleben. Manfred sagt beim Abendessen: „Heute Nacht wird es kalt. Aber ich kann mir nicht leisten, für vier Kältetage im Jahr ein Heizungssystem einzubauen.“ Mit Augenzwinkern fügt er hinzu: „Trotzdem werdet Ihr heute Nacht nicht frieren.“ Als wir vom Abendessen in unser Fred-Feuerstein-Häuschen zurückkehren, schlummerten unter unseren Bettdecken zwei wohlig heiße Wärmflaschen. So bleiben weibliche Füße bis zwei Uhr nachts und männliche bis zum Morgen warm. Lodges im höheren Preissegment über 200 Euro pro Nacht verfügen hingegen über Photovoltaikanlagen mit großen Batteriespeichern. Dann kann die Klimaanlage nachts zum Heizen verwendet werden. In diesem Fall ist die Heizung zwar versorgungssicher, aber nicht für alle bezahlbar.    

Betrachten wir als nächstes die Stromversorgung: Entlegene Lodges sind nicht ans Stromnetz angeschlossen. Früher wurde elektrische Energie mittels Dieselgeneratoren erzeugt. Aus Zuverlässigkeitsgründen waren dafür in der Regel zwei redundante Systeme nötig. Angesichts der Verfügbarkeit preiswerter Photovoltaik-Kollektoren könnten deutsche Energiewendetheoretiker argumentieren: „Eine Kilowattstunde Strom aus Dieselgeneratoren kostet 30 Cent. Eine Kilowattstunde Solarstrom kostet 10 Cent. Bei einem Dieselgeneratorausstieg werden die Lodges klimaneutral und die Betreiber sparen außerdem Geld.“ 

An dieser Überlegung ist mathematisch nicht das Geringste auszusetzen. Zumindest solange deren Urheber bereit sind, nach Sonnenuntergang auf Beleuchtung, Internet, Kühlschrank, Kaffeemaschine, Klimaanlage, Fernseher, Haartrockner, Elektrorasierer und Telefon zu verzichten. In der realen Welt sind zusätzliche Investitionen in Batteriespeicher nötig, so dass die Stromkosten für eine garantierte Vollversorgung selbst bei herausragendem Solarpotenzial wie in Namibia die Kosten des Dieselstroms übersteigen. Um die Kosten für die elektrische Energieversorgung zu minimieren, müssen die namibischen Tourismusmanager eine Abwägung zwischen hoher Kosteneinsparung mit starken Einbußen bei der Versorgungssicherheit oder niedriger Kosteneinsparung mit schwachen Einbußen vornehmen. 

Der Dieselgenerator nur noch als Notreserve

Da die deutsche Kohlekommission nach getaner Arbeit Namibia anscheinend noch nicht als Betätigungsfeld entdeckt hat, ist das Land bislang vom Dieselgenerator­ausstieg verschont geblieben. So können die Unternehmer die allmähliche Verdrängung von Dieselgeneratoren durch Solaranlagen mit Batteriespeichern eigenverantwortlich und nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gestalten. Auch im Fall der Stromversorgung lassen sich im namibischen Energiesystem je nach Preislage unterschiedliche Transformationspfade beobachten.

In einigen Lodges aus dem niedrigen oder mittleren Preissegment wurden Dieselgeneratoren durch Solaranlagen mit kleinen Batteriespeichern ersetzt. Der Dieselgenerator steht dann still und dient nur noch als Notreserve. Da die Batteriespeicherkapazität aus Kostengründen nur für Beleuchtung und Kleingeräte ausgelegt wird, können die Gäste keine Vollversorgung erwarten. Als Konsequenz fehlen Klimaanlagen, Kühlschränke und Kaffeekocher. Außerdem werden die Gäste in Merkblättern freundlich darum gebeten, keine Haartrockner zu verwenden. Glühbirnenverbote sind in namibischen Lodges übrigens unnötig, weil die Betreiber von allein verstehen, dass der Einsatz von Energiesparlampen die Investitionskosten für ihre Batteriespeicher verringert. Als Zwischenfazit lässt sich sagen, dass im namibischen Low-Cost-Tourismus eine Solarstromversorgung zwar preiswert, aber nicht bedarfsdeckend ist. 

Wer das Hochpreissegment oberhalb von 250 € pro Nacht bevorzugt, ist solcher Sorgen ledig. In einer Luxusherberge konnten wir eine riesige Solaranlage mit Batteriespeicher bestaunen und durften Annehmlichkeiten wie Klimaanlage, Fön und Kühlschrank genießen. Dieses Marktsegment ist somit ökologisch und zuverlässig, aber nicht preiswert. 

In einer von uns besuchten mittelpreisigen Lodge gewährte mir John stolz eine Privatführung durch seine moderne Energiezentrale. Einen von zwei Dieselgeneratoren hat er stillgelegt und durch Fotovoltaik mit großem Batteriespeicher ersetzt. Der andere Generator ist jedoch nach wie vor unverzichtbar. Bemerkenswert ist, dass John all diese Veränderungen ohne staatliches Zutun vollzogen und aus eigener Tasche bezahlt hat. 

Der SUV ist das Arbeitspferd der touristischen Mobilität

Schauen wir nun auf die Mobilität: Die Werbebotschaften deutscher Reiseveranstalter und CO2-Kompensationsanbieter zu klimaneutralen Fernreisen sind ein Sündenpfuhl biblischen Ausmaßes. Denn hinter den Sprechblasen wie „Ökotourismus“ und „sanfter Urlaub“ steht der sprichwörtliche Elefant im Raum – in Form des CO2-Fußabdrucks der Anreise. Vor dem Blick auf die namibischen Verkehrsmittel ist es deshalb wissenswert, dass der mit heutigem Stand der Technik einzig seriöse Weg zur Dekarbonisierung von Interkontinentalflügen der Ersatz fossilen Kerosins durch synthetisches Kerosin zu einem Mehrpreis von etwa drei Euro pro Liter ist. Diese wissenschaftlich begründete Zahl hat zur Folge, dass eine echt klimaneutrale Anreise nach Namibia gemäß der AvM-Formel für eine vierköpfige Familie Mehrkosten in Höhe von knapp 10.000 Euro nach sich ziehen würde.

Aus der rein namibischen Perspektive ist die Dekarbonisierung im Mobilitätssektor am wenigsten fortgeschritten. Da die meisten Straßen unbefestigt sind und Lodges oft nur über Sand- und Schotterwege erreichbar sind, ist der SUV das Arbeitspferd der touristischen Mobilität. Elektroautos konnten wir bei unserer Reise nirgends sehen. Vor Ort bieten jedoch zahlreiche Herbergen Elektrofahrräder für Touristen an. Eine Lodge hatte für den lokalen Transport ihres Personals Golfcarts angeschafft, die mittels Solarenergie geladen werden. Auch dies erfolgt ohne staatliche Förderung. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Namibia der Wärmesektor am weitesten und der Mobilitätssektor am wenigsten dekarbonisiert ist. 

Großprojekte und die deutsche Außenpolitik

Im Jahr 2021 sagte der damalige Außenminister Heiko Maas angesichts deutscher Kriegsverbrechen an den Herrero die Zahlung von 1,1 Milliarden Euro an Namibia für Wiedergutmachungsprojekte zu. Die Gelder sollen über einen Zeitraum von 30 Jahren fließen, so dass pro Jahr ungefähr 30 Millionen Euro zur Verfügung stehen. 

Es ist geschichtswissenschaftlich nicht abschließend geklärt, ob es sich bei den schrecklichen Ereignissen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts um Kriegsverbrechen oder Völkermord handelt. Gleichwohl ist es aufschlussreich, wie Manager und Mitarbeiter in unterschiedlichen Touristenherbergen die deutsche Geste beurteilen. Auf die Frage: „Was halten Sie von der Wiedergutmachungszahlung?“ waren sich alle Befragten einig – egal ob Führungskraft oder Mitarbeiter, ob schwarz oder weiß. Unter den Befragten bestand Einigkeit darüber, die Gelder würden der Korruption anheimfallen und für das einfache Volk keinen Nutzen stiften.

Unter der Prämisse, die Zahlung sei unabwendbar, entstand in einem der Gespräche eine originelle Idee: „Wäre es nicht wirksamer und einfacher, jährlich 30.000 Gutscheine für Urlaubsflüge auf der Strecke Frankfurt-Windhoek im Wert von je 1.000 € zu verschenken? So wäre nach 30 Jahren die Milliarde ausgegeben, allerdings ohne Geldströme in namibische Regierungskanäle zu leiten. Stattdessen würde der Tourismus im Lande langfristig gefördert, weil die Urlaubsreisenden ihr Geld dezentral vor Ort ausgeben.“ 

Im gleichen Jahr begann ein anderes Kapitel deutscher Außenpolitik – dieses Mal im Energiesektor. Am 25. August 2021 unterzeichneten die Regierungen Deutschlands und Namibias eine Absichtserklärung, wonach Deutschland 40 Millionen Euro in eine Partnerschaft für die Erzeugung grünen Wasserstoffs investiert. Noch liegen weder nähere Informationen noch konkrete Ergebnisse vor. Einen kleinen Vorgeschmack auf das mögliche Schicksal einschlägiger Großprojekte liefert ein ebenfalls im Jahr 2021 angekündigtes Vorhaben im Umfang von 9,4 Milliarden Dollar nahe der namibischen Hafenstadt Lüderitz.

Dort sollen Wind- und Solarkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt fünf Gigawatt und eine Elektrolyseanlage mit drei Gigawatt Leistung errichtet werden. Der Komplex soll perspektivisch durch Meerwasserentsalzungsanlagen sowie eine Ammoniaksyntheseeinheit ergänzt werden. Das Firmenkonsortium wird von der namibischen Projektentwicklungsgesellschaft Hyphen Hydrogen Energy unter Beteiligung der deutschen Firma Enertrag geleitet. Eine Internetrecherche über die Herkunft der 9,4 Milliarden Dollar sowie über technische Daten des Energiekomplexes blieb mit Stand März 2022 erfolglos. Ebenso zwei schriftliche Anfragen bei Hyphen und Enertrag. Wenn für ein Projekt im Umfang von Stuttgart 21 im Internet lediglich blumige Presseerklärungen ohne technische und finanzielle Details zu finden sind, so lässt dies für den Projektfortschritt wenig Gutes erwarten. Man darf insbesondere gespannt sein, ob sich die Ankündigung des Enertrag-Managers Tobias Bischof-Niemz erfüllen wird: „Das Projekt wird während der Aufbauphase mit der Dauer von insgesamt vier Jahren fast 15.000 Arbeitsplätze schaffen…“

Nach dem Ausflug in die Traumwelt ist es sinnstiftend, den Blick zurück in die touristische Realwirtschaft mit ihren pragmatischen und bodenständigen Menschen zu lenken. Auf meine Frage, ob das automatische Ausrichten von Manfreds Solaranlagen womöglich mittels Aktuatoren und künstlicher Intelligenz erfolge, gab der Hausherr mit verschmitztem Lächeln zu Protokoll: „Wenn unser Zimmermädchen gegen Mittag mit dem Bettenmachen fertig ist, dreht sie die Kollektoren mit Hand aus nordöstlicher in nordwestliche Richtung.“ 

Der Autor: André Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“

 

(1) Alle Namen geändert

Foto: Pixabay

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Elias Schwarz / 02.04.2022

Und wieviele ICE-Züge (und wieviele Züge überhaupt) werden in Namibia von Solarpanelen auf den Dächern angetrieben? Wieviele Schweißroboter arbeiten ununterbrochen für den Wohlstand? Wie oft fahren dort die U-Bahnen und wie oft landen dort Flugzeuge? Sind dort die Strassen beleuchtet? Arbeiten da die White-Collars auch in klimatisierten Räumen? Und die Rechnerzentren? Natürlich klimatisiert, brauchen sie ja auch. Aber wir lernen schon von Namibia. Dank unseren inkompetenten und korrupten Politikern. Bald werden wir auch in der Dunkelheit sitzen, nichts zum Fressen haben und Angst haben, abends rauszugehen. Und natürlich werden wir uns freuen, wenn es eine neue Tante Angela gibt, die uns massenweise ins bessere Land bringt. Natürlich nur junge Männer, die Plätze sind ja schließlich begrenzt. Es wird sehr schön. Einige grüne Politiker (mit “:in_nen*”) freuen sich schon jetzt.

S. v. Belino / 01.04.2022

@alberto lopez . Aufgrund Ihrer zahlreichen negativen Eindrücke und Erlebnisse steht zu vermuten, dass Sie vielleicht zum ersten Mal in diesem Teil der Welt unterwegs waren. Falls ja, muss der klassische Kulturschock, den Sie offenbar erlitten haben, schon vorprogrammiert gewesen sein. Wenn die Gegebenheiten in einem auf Mitteleuropäer wahrlich fremd anmutenden Land allerdings zu solch erheblichen Ärgernissen und Enttäuschungen aufseiten des arglosen Besuchers führen, so empfiehlt es sich, als Reiseziel zukünftig andere Destinationen in der Welt zu bevorzugen. Dies wäre gewiss die fairste Lösung - sowohl für den vergraulten Touristen wie auch für das Zielland selbst. Zudem scheint es, als hätten Sie, was die Wildtier-Beobachtung in Etosha angeht, nicht eben die beste Reisezeit gewählt. Auch Etosha ist kein Zoo. Die Tiere sind, was ihre Aktivitäten betrifft, völlig frei; dem Himmel sei Dank. Und die verlegen diese eben gerne in die frühen Morgen- und späteren Abendstunden. Klug wie sie sind, meiden sie die Hitze des Tages. In der kühleren Zeit des Jahres sieht man sie häufiger auch unter Tage in Aktion. Eine Sicht-Garantie gibt es jedoch auch dann nicht. Gut so. Alternativ hätte es vielleicht Sinn gemacht, eine Unterkunft in einem der Camps innerhalb des Parks zu wählen. Zumindest hätten Sie dann nach Eintritt der Dämmerung sowie insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit phantastische Tierbeobachtungen an beleuchteten Wasserstellen machen können. Je nach gewähltem Camp hätte ich sogar eine Black Rhino-Garantie ausgestellt. - In keinem Falle sollten sich Reiseinteressenten verunsichern lassen - Namibia ist und bleibt eine grandiose, einzigartige Destination. Man muss das Land nur zu schätzen wissen - oder lernen.  - Was das pragmatische Energie-Management in Namibia (wie auch in anderen Teilen des südlichen Afrika) angeht, pflichte ich dem Autor “vollumfänglich” bei. Die hiesigen Aspirationen nimmt man “dort unten” oft mit, ähm, leichter Verwunderung wahr.

Gert Friederichs / 01.04.2022

Für mich war am Artikel am interessantesten, zu lesen, dass die erwiesenermassen ungenügende stetige Energieerzeugung durch Wind und Sonne in Namibia nach den Grundsätzen Ludwig Erhardscher Marktwirtschaft geschieht: Hauptsächlich in nach den Kosten und Ertrag ausgerichteten Entscheidungen von Privatpersonen. Und wir in Schland gehen einer staatlichen Totalregulierung entgegen! Was nicht gut gehen kann. Noch eine Anmerkung zur deutschen Kolonialschuld: Wann werden denn endlich die Spanier von Peru bis Mexiko verklagt für die Beutezüge von Pizarro und Cortez?

Maren Müller / 01.04.2022

Ich war zweimal während der deutschen Lockdowns in Namibia, insgesamt 8 Wochen lang, auf Trotzreisen und habe ca. 8000 km mit Jeep und SUV in diesem atemberaubenden Land zurückgelegt.  Im Dezember 2020 war mir die Menschenleere abseits von Windhoek oder Swapokmund fast unheimlich. Mitunter habe ich auf 200 km keine Menschenseele, kein anderes Auto gesehen. Letztes Jahr Oktober/November sah es schon besser aus, aber das Vorkrisen-Niveau war noch lange nicht erreicht. Die Unterkünfte waren - bis auf 2 - 3 staatliche - immer tiptop, sauber, komfortabel und vorausschauend eingerichtet. Als ob die Einheimischen die Wünsche ihrer Gäste schon vorab erraten würden… Die Gastfreundschaft ist groß und eine Herbergsmutter ist inzwischen eine gute Freundin geworden. Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht nach Namibia zurück sehne. Danke für den informativen Beitrag. Vieles wusste ich noch nicht. Was die “Pandemie” anbelangt, legen die Namibier eine gesunde Skepsis an den Tag. Das zeigt auch die Impfquote von gerademal 15 %. Ich erwäge tatsächlich nach Namibia auszuwandern.

Ernst-Fr. Siebert / 01.04.2022

Unser aller geschätzter H.M.B. hatte auch schon einmal vom Völkermord an den Herero u.a. geschrieben. Daraufhin habe ich ihn eingeladen, mit mir gemeinsam den Waterberg zu besuchen. Denn wer einmal dort war, wird sich fragen, wo denn die dereinst zu hunderttausenden Völkergemordeten mit ihrem Vieh wohl gelebt haben mögen? An dieser Wasserstelle sicher nicht und die Umgebung ist Wüste oder Halbwüste (Omaheke). Leider habe ich, vielleicht noch, keine Antwort erhalten. Veröffentlich wurde es aber auch nicht.

Holger Kammel / 01.04.2022

Eine Gehässigkeit muß ich noch nachliefern. Das Porträt des Kätzchens wirkt deutlich empathischer und deutlich intelligenter als z.B. unsere gegenwärtige Verteidigungsministerin. Oder Außenministerin. Oder EU-Vorsitzende. Und deutlich kompetenter als unsere Familienministerin. Ich gewinne Sympathien für die gegenwärtige Parteivorsitzende einer staatszertragenden Partei. Die könnte eine überlegene Lebensform mindestens ein Quartal lang ernähren.

alberto lopez / 01.04.2022

nun mal was zur Irrefuehrung der dummen Touristen ,wobei ich mich wahnsinnig geaergert habe .Als jemand der sich mit der Jagd in Deutschland auskennt ,weiss ich dass man entweder frueh morgends oder zum Sonnenuntergang auf die Jagd geht da um diese Zeit Tier zu sehen sind ..“austreten “wie der Jaeger sagt ” ...Nun in Etoscha faehrt man die Touristen bei 35-40 Grad durch den Busch zur Tierbeobachtung ,,wobei man keine Tiere sieht oder wenige ,da die sich bei der Hitze verstecken ,,,auch an die Wasserstelle kommen wenige ...In Etoscha muessen Tagestouristen bei Sonnenuntergang den Park verlassen haben ....also wir haben den ganzen Tag kaum Wild gesehen ...aber kurz vor Sonnenuntergang kurz vor dem Verlassen des Parks ,war dann viel Wild zu sehen von dem wir Am Tag nichts gesehen haben ...also muessen die Touristen den Park vor der wirklich interessanten Zeit verlassen ....die Worte die mir dazu einfallen schreibe ich besser nicht

Holger Kammel / 01.04.2022

Ein interessanter Artikel, der zum Besuch des Landes einlädt. Auch die Ausflüge in die “Energiewende” waren relativ undogmatisch und informativ. Die bisherigen Forenbeiträge waren durchaus widersprüchlich und mindestens genauso interessant. Ich bedanke mich bei (fast) allen Foristen für weiter aufklärende und/oder sehr bedenkenswerte Beiträge. So stelle ich mir Diskussion über strittige Themen vor.  Vorweg, ich bin strenggläubiger Klimaleugner.  Der Begriff ist so bescheuert, den nutze ich gern, Aber andererseits halte ich den gegenwärtigen Verbrauch an Kohlenwassserstoffen, sprich Erdgas und Erdöl, für unvernünftig. Ich bin strikter Verfechter der Nutzung und Weiterentwicklung der Kernenergie. Hat jetzt wenig mit dem Land zu tun. Das Beste, was man über ein afrikanisches Land sagen kann, es ist nicht in den Nachrichten. Es gibt gute Beispiele. Das neben Namibia gelegene Botswana ist wohl ein Musterbeispiel. Man nehme es mir nicht übel, als kleiner Junge habe ich Abenteuerromane über Afrika nachts heimlich gelesen. Nicht Tarzan. Das beste Werk über Tarzan ist das gehässig komische Lied von Willem. Ich habe später die Dokumentationen Grzimeks gesehen. Meine Faszination für den Kontinent ist mir quer über die Jahrzehnte erhalten geblieben. Ach so, wenn man zur Stromspeicherung richtig altbekannte Blei/Säure Akkus hernimmt, hast man nicht nur eine hohe Effizienz, sondern auch auch kein Müllproblem. Die kann man immer wieder recyclen. Für stationären Einsatz unschlagbar und durch Eigengewicht auch fast unklaubar.

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