Ein Energie-Entlastungspaket soll jetzt Bürgern in schweren Zeiten helfen. Das Ganze ist ein inkonsistenter Flickenteppich aus Planwirtschaft, staatlicher Preiskontrolle und willkürlicher Verteilung von Helikoptergeld, der die eigentlichen Probleme unangetastet lässt.
Den Illusionen der Energie- und Verkehrswender geht es wie Nenas 99 Luftballons, die die Sängerin einst gegen die Nachrüstung in der alten Bundesrepublik aufsteigen ließ. Im Zuge der militärischen Aggression Putins in der Ukraine ist jetzt der Ernstfall eingetreten und aus der Energie- und Verkehrswende ist erst einmal die Luft draußen. Akut geht es nicht mehr darum, Deutschland zu einem weltweiten Vorbild für den Klimaschutz zu machen, sondern den sozialen Frieden zu bewahren.
Ein Energie-Entlastungspaket soll jetzt Bürgern in schweren Zeiten helfen. Vielleicht hätte man sogar freien ÖPNV und einen Sprit-Steuerrabatt für 99 Tage versprechen sollen, aber auch diese 99 Luftballons würden sich als Luftnummern erweisen. There ain’t no such thing as a free lunch.
Wie üblich wurde über das Paket (angeblich) eine ganze Nacht verhandelt, als ginge es um Krieg und Frieden. Wie üblich ist die Lösung ein Kompromiss, der alle beteiligten Parteien irgendwie repräsentiert, aber eigentlich nur von hilf- und ordnungspolitischer Prinzipienlosigkeit geprägt ist. Wie üblich Politik mit Scheckbuch und Gießkanne.
Am meisten präsent in der öffentlichen Wahrnehmung ist die geplante temporäre Senkung der Energiesteuer (vulgo Mineralölsteuer) auf das europäische Mindestniveau. Nach Aussagen von Finanzminister Lindner sind dies rund 14 Cent für Diesel und 30 Cent für Ottokraftstoff. Während sich vielleicht Autofahrer mit Benzinmotoren freuen und das Güterkraftverkehrsgewerbe nach wie vor nach billigem Gewerbediesel lechzt, stellt sich die Frage nach dem ordnungspolitischen Kompass dieser Regierung.
Einstieg in eine umfassende Preiskontrolle
Zwar ist die gefundene Lösung sicherlich weniger problematisch als der ursprüngliche Tankstellenrabatt des angeblich liberalen Finanzministers, aber trotzdem inkonsistent. Wenn Märkte über höhere Preise neue Knappheiten aufgrund geopolitischer Spannungen signalisieren, sollte die Politik nicht panisch in die Preisbildung eingreifen und mit temporären Energiesteuersenkungen den Eindruck erwecken, die Menschen „nicht im Stich zu lassen“. Zumal ein Gutteil der Preissteigerung in Deutschland auf die politischen Diskussionen um ein mögliches Energieembargo gegen Russland zurückzuführen sein dürfte.
Inkonsistent ist das auch, wenn man die politischen Festlegungen im Zuge der Energie- und Verkehrswende in Erinnerung ruft, die aus Klimaschutzgründen ja gerade eine deutliche Verteuerung von fossilen Kraftstoffen anstreben. Wer beim nun gestarteten Realexperiment kalte Füße und Angst vor gelben Westen bekommt, sollte seine politischen Ziele hinterfragen. Auch der Hinweis, dass andere Länder in der EU Energiepreise deckeln und Subventionen verteilen, ist keine Rechtfertigung für einen solchen Eingriff.
Ordnungspolitisch bedeutet dies nämlich den endgültigen Abschied von einer noch halbwegs freien Preisbildung in unserer Wirtschaft. Selbstverständlich kann man über die Höhe der Abgaben auf fossile Brennstoffe sehr grundsätzlich diskutieren; eine politische Preislenkung über temporäre Steuersenkungen, die dann auch mit Maßnahmen der Marktüberwachung und Marktregulierung begleitet werden sollen, ist jedoch ein weiteres Signal für den Einstieg in eine umfassende Preiskontrolle. Mietpreisbremse und Mietendeckel lassen grüßen. Mit der gleichen Begründung könnte man die bereits und absehbar weiter steigenden Lebensmittelpreise angehen, um den sozialen Frieden in Deutschland zu sichern.
Es geht von der rechten in die linke Tasche
Wenn der aktuelle Energiepreisschock tatsächlich Teile der unteren und sogar der mittleren Einkommensschichten in ihrer Existenz und ihrem Wohlstand bedroht – Zielpublikum des Maßnahmenpaket ist explizit die „Mitte der Gesellschaft“ –, stellt dies doch eigentlich einen Offenbarungseid der deutschen Politik der letzten Jahrzehnte dar. Zu lange haben wir das „Märchen vom reichen Land“ gehört und gerne geglaubt. Eine grundsätzliche Neujustierung der Wirtschafts- und Geldpolitik hin zu mehr Wettbewerb, Wohlstand, Stabilität und Resilienz dürfte allerdings von der aktuellen Regierung kaum zu erwarten sein.
Einen noch größeren Schildbürgerstreich stellt das geplante 9-Euro-Ticket für 90 Tage ÖPNV dar. Was maßt sich ein Koalitionsausschuss eigentlich an, wenn er formuliert: „Deshalb führen wir für 90 Tage ein Ticket für 9 Euro/Monat (9 für 90) ein und werden die Regionalisierungsmittel so erhöhen, dass die Länder dies organisieren können“. Die Bundesländer und die vielen ÖPNV-Unternehmen im Lande als Befehlsempfänger eines wohlmeinenden Pluralis Majestatis. Bezeichnend für die Qualität dieser Idee waren die ersten, extrem reservierten Reaktionen der ÖPNV-Branche zu diesem Vorschlag, die aktuell mit den erheblichen Fahrgastverlusten infolge der Corona-Pandemiepolitik und massiven Energiepreissteigerungen zu kämpfen hat.
Und wer bezahlt das alles? Im Zweifelsfall die Gruppe derjenigen Mitbürger, die über ihre Steuerlast mehr oder weniger zu den öffentlichen Haushalt beitragen. Wie viel das Ganze kostet, will man ja noch nicht so genau sagen. Es geht von der rechten in die linke Tasche, wobei bei den wie Helikoptergeld einflatternden Einmalzahlungen (300 Euro für jeden Erwerbstätigen, 100 Euro für jedes Kind und 200 Euro für Empfänger für Sozialleistungen) auf die verteilungspolitische Balance geachtet wird und steuerliche Leistungsträger im Wesentlichen leer ausgehen dürften. Die Zukunft der Sozialpolitik werden wohl solche „Direktzahlungen“ sein, denn die Bundesregierung beabsichtigt, im Zuge der Maßnahmen auch einen „einfachen und unbürokratischen“ Auszahlungsweg über die Steuer-ID für das „Klimageld“ zu entwickeln.
Ein Blick aufs Kleingedruckte
Allerdings dürften die gewährten Almosen nicht ausreichen, um bei den wirklich Bedürftigen den Preisanstieg abzufedern, der sich mittelfristig insbesondere beim Thema Heizenergie zeigen wird. Wirklich zielgerichtete Unterstützung statt Zuwendungen anhand nicht nachvollziehbarer Kriterien bei Verzicht auf Eingriffe in die Preise wäre stattdessen der richtige Weg.
Abschließend ein Blick aufs Kleingedruckte im „Maßnahmenpaket des Bundes zum Umgang mit den hohen Energiekosten“. Hier werden nach wie vor die Luftballons der Energiewender aufgeblasen: Beschleunigung des Umstiegs auf Erneuerbare Energien, Unterstützung der Beschaffung von Flüssigerdgas (LNG), Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und Festhalten am Kohleausstieg – idealerweise bis 2030.
Aber auch diese Luftballons dürften bald platzen – es ist einfach ein Problem der für eine verlässliche und einigermaßen bezahlbare Energieversorgung erforderlichen Größenordnungen erneuerbarer Energien oder LNG-Importe. Wenn sich an der Energiepolitik nicht grundsätzlich etwas ändert, dürfte unsere Energiezukunft von Knappheit, Rationierung und massiven Preissteigerungen geprägt sein. Wohlstandsverluste und (weitere) Deindustrialisierung sind absehbar.
Mit der heißen Nadel in Nachtsitzungen gestrickte Papiere werden da nicht weiterhelfen. „Energiesouveränität“ über Autarkielösungen auf der Basis von Wind und Sonne ist ohnehin kein gangbarer Weg in die Zukunft. Zur Diskussion um die ohne Zweifel erforderliche Diversifizierung der Energiequellen gehören dann auch die Optionen der Kernenergie, CO2-Abscheidung und den Import grüner Energie aus Standorten, die bessere Bedingungen für Wind und Sonne aufweisen als Deutschland.
Alexander Eisenkopf ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.