Stellen Sie sich folgende Karikatur vor: Mutter und Tochter stehen vor einem Laden mit dem Titel „Muslima-Shop Fatima. Schicke Mode“. Im Schaufenster werden folgende Gewänder präsentiert: „Modell Ankara“: Kopftuch mit Mantel und bodenlangem Rock. „Modell Sudan“: Nikab. „Modell Afgania“: Schwarze Burka. „Modell Berlinia“: Kopftuch für Kleinkinder. Die Tochter sagt zur Mutter: „Tja, Berlin ist multikulturell geworden, Mutti! Wir sind heut nicht mehr so intolerant wie deine Generation in den Fünfzigern …“ Neben ihnen hat eine muslimische Familie – Vater mit verschleierter Frau, Sohn und ebenfalls verschleierter Tochter – die Auslagen des Ladens bereits in die Tat umgesetzt.
Finden Sie das komisch? Ich schon. Tragikomisch. Hier wird aus meiner Sicht demonstriert, was gute Satire ausmacht: Die Misslichkeiten des Alltags werden gekonnt auf die Spitze getrieben, sodass die furchtbarsten Sachen ihre Absurdität enthüllen. Auf diese Weise kann man selbst über die Dinge lachen, die eigentlich zum Heulen sind. Ich finde darin die Situation in meiner Heimatstadt Berlin perfekt auf den Punkt gebracht. Besagter Cartoon ist eine der vielen wunderbaren Zeichnungen der EMMA-Karikaturistin Franziska Becker (*1949).
Diese erhält heute vom Journalistinnenbund die Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk. Becker behandelt in ihren treffenden Karikaturen den Geschlechterkampf, wirft einen kritischen Blick auf die moderne Frau, karikiert Abtreibungsgegner sowie fundamentale Christen und generell alles, was einen unaufgeklärten und überreligiösen Eindruck erweckt. Und macht auch nicht vor dem radikalen Islam halt. Beziehungsweise dem Islamismus, wie sie es nennt.
Mit ihrer Haltung dürfte sie typisch für eine Vertreterin der sogenannten zweiten Welle des Feminismus sein. „Ich habe mich über alle lustig gemacht und über alle gespottet“, sagt Becker. Seit über vierzig Jahren zeichnet sie für die EMMA und andere Publikationen, darunter Stern, Titanic und der Kölner Stadt-Anzeiger. Eine Frau, die sich augenscheinlich verdient gemacht hat, sollte man meinen.
Vorhersehbar und unverbesserlich
Doch im Vorfeld der Preisverleihung gab es reichlich Unruhe: Politisch-korrekte Stimmen sehen in Beckers Zeichnungen wie der oben beschriebenen eine Verunglimpfung von Muslimen. Die „Netzaktivistin“, taz- und Missy-Magazin-Autorin Sibel Schick holte gleich zum Rundumschlag aus: Die Arbeit Beckers sei „frauenfeindlich“ sowie „islamfeindlich-rassistisch“ und fördere „Gewalt gegen Frauen“. Sibel Schick wurde 1985 in Antalya geboren und lebt seit 2009 in Berlin. In diesem Artikel charakterisiert sie gemeinsam mit Tebessüm Yılmaz die „konservative Politik“ Erdogans als Bedrohung für den Feminismus. Das AKP-Regime lehne die Emanzipation der Frau ab und versuche, Frauen auf ihre Rolle in der Familie zu reduzieren. Es ist mir ein Rätsel, wie Schick mit dieser Haltung dazu kommt, Franziska Becker derart zu attackieren. Sie müsste eigentlich die Erste sein, die der Künstlerin applaudiert. Doch leider ist Schick dieser Widerspruch noch nicht aufgefallen.
Auch Jakob Augstein meldete sich zu Wort und lieferte ein ebenso vorhersehbares wie unverbesserliches Statement: „Karikaturen sind dann gut, wenn sie die Großen klein machen – nicht, wenn sie auf die treten, die ohnehin unten sind. Darum waren auch die antimuslimischen Charlie-Hebdo-Karikaturen schlecht. Es geht um die Machtfrage.“
Diese Aussage ist gleich dreifach bedenklich: Erstens wirkt es sehr ironisch, wenn ausgerechnet ein Meinungsmacher, also ein „Mächtiger“ sich über „Machtfragen“ auslässt. Zweitens erscheint es hochmütig und gönnerhaft, dass Augstein „die Muslime“ allesamt als bemitleidenswerte Menschen abstempelt, die „ohnehin unten sind“. Und drittens sieht es so aus, als unterstelle seine Charlie-Hebdo-Einlassung, die Macher hätten mit ihren Karikaturen den islamistischen Anschlag auf das Satiremagazin 2015 regelrecht provoziert – und verdient.
Stand die Ehrung Beckers auf der Kippe?
Diese zwei Reaktionen möchte ich an dieser Stelle als Beispiele für die Beißreflexe stehen lassen, die mitunter zutage treten, wenn jemand die Chuzpe hat, den Islam zu kritisieren. Im Grunde sind die Äußerungen Schicks und Augsteins zu erwarten gewesen und nicht weiter verwunderlich. Sie sind Symptome der Identitätspolitik und damit ideologischer Natur.
Gleichzeitig sollte man bedenken, dass es in der heutigen Zeit nahezu unmöglich ist, jemanden mit einem Kunstwerk zu schockieren. Das 21. Jahrhundert hat im Grunde schon alles gehört, gesehen und erfahren. Somit verdienen Franziska Beckers Cartoons eine besondere Aufmerksamkeit.
Denn wie kommt es, dass zwar entlarvende, aber im Grunde harmlose Karikaturen heutzutage zu einem derartigen öffentlichen Ärgernis mutieren? Immerhin kündigte der Journalistinnenbund im Vorfeld an, sich hinsichtlich der Aufregung intern zu beraten. Ganz, als hätte die Ehrung Beckers wegen der Angriffe auf der Kippe gestanden.
Die eigene Furcht vor dem radikalen Islam
Der Tatsache, dass Islamkritik einen großen Teil der Linken und damit bedeutende Kreise der Öffentlichkeit regelmäßig auf den Plan ruft, können aus meiner Sicht folgende Ursachen zugrunde liegen: Einerseits ist die vielzitierte Diversitäts- und Gleichstellungspolitik lediglich Camouflage. Die Empörten glauben eben nicht an die Gleichberechtigung von Minderheiten wie den Muslimen. Denn sonst würden sie ihnen nicht nur die gleichen Rechte, sondern auch die gleichen Pflichten zubilligen. Und die Pflicht, sich (Religions-)Kritik zu stellen, ist ein unabdingbares Element, will man in einer modernen Gesellschaft ernst genommen werden und wirklich gleichberechtigt sein. Diejenigen, die es à la Augstein für nötig halten, Muslime positiv zu diskriminieren, glauben gerade nicht an deren Ebenbürtigkeit. Sie halten es für geboten, ihnen von oben herab Schwäche und Unmündigkeit zu attestieren.
Andererseits gesteht sich wohl das politisch-korrekte Lager die eigene Furcht vor dem radikalen Islam nicht ein. Stattdessen wird mit dem pauschalen Angriff auf alle Islamkritiker ein Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Kompensation statt Konfrontation. Doch eine fundamental gelebte Religion ist kein Kindergeburtstag, gleich welcher Art. Verdrängung hilft hier nicht weiter. Genau in diese Wunde legt Franziska Becker ihren Finger: „Ich finde, Satire muss sehr weit gehen. Die darf eigentlich alles und muss gut sein. Man hat mir unterstellt, ich würde nach unten treten. Es ging in den Bildern aber nicht um arme unterdrückte Musliminnen, sondern um eine Weltideologie mit 1,6 Milliarden Mitgliedern. Die Extremisten unter ihnen bekämpfen ziemlich aggressiv die sogenannten Ungläubigen und versuchen, ganze Staaten zu unterwandern. Da sollten wir sehr genau hinsehen.“
Das sollten wir in jedem Fall. Religionsfreiheit darf nicht Unfreiheit von anderen sein. „Wehret den Anfängen!“, warnt Alice Schwarzer zu recht, als sie ihre Karikaturistin vehement verteidigt. Wie es aussieht, ist sie bislang die Einzige, die offiziell für Franziska Becker in die Bresche springt. Warum tun wir uns nur so schwer damit, für unsere Werte und Ideale einzustehen?