Erich Wiedemann / 16.04.2019 / 06:25 / Foto: Kuebi / 73 / Seite ausdrucken

Emil und die Kunstliebhaber

Im Arbeitszimmer von Angela Merkel im Berliner Kanzleramt ist eine von drei behängbaren Wänden neuerdings ganz leer. Früher hingen da zwei Bilder des Malers Emil Nolde: der „Brecher“ und der „Blumengarten“. Die Hausherrin hat sie abnehmen lassen, weil sie mit dem Missverhältnis von Ethik und Ästhetik, das sich da auftat, nicht leben wollte. 

Die Kunstwerke waren einst von Merkels Vorvorgänger Helmut Schmidt ausgesucht worden. Für ihn waren Nolde und der Bildhauer Ernst Barlach „die größten Künstler unseres Jahrhunderts“. 

Jetzt werden die Nolde-Bilder im Museum „Hamburger Bahnhof“ an der Berliner Invalidenstraße gezeigt. In einer Ausstellung wird dort auch die Verstrickung des Künstlers in den Nationalsozialismus thematisiert. Es soll nichts mehr verschleiert werden. Später sollen die zwei Werke dann an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurück gehen.

Die zwei prominenten expressionistischen Meisterwerke sind für das Kanzleramt nicht mehr seriös genug, weil sich herausgestellt hat, dass ihr Schöpfer ein forscher Faschist war. Emil Nolde hatte seit 1933 das Parteibuch der Nazipartei in der Tasche, verehrte Adolf Hitler und hatte diesem sogar einen „Entjudungsplan“ gewidmet. Über seinem Haus in Seebüll wehte schon um die Zeit der Machtübernahme die Hakenkreuzflagge. 

Es war aber von Noldes Seite eine unglückliche Liebe. Es heißt, der Führer, der sich ja auch als Künstler verstand, habe ihn verachtet. Als 1937 die Ausstellung „Entartete Kunst“ in den Münchner Hofgartenarkaden eröffnet wurde, war Nolde mit wichtigen Exponaten dabei. Er hatte im Dritten Reich zeitweilig sogar Ausstellungsverbot. 

Nolde vor Nolde schützen?

Nein, mit Nazischund will die Kanzlerin ihr Büro nicht länger schmücken, und wenn er künstlerisch noch so wertvoll sein mag. Nur, was antwortet sie, wenn ihr jemand infamerweise eine falsche Interessenidentität unterstellt: „Sie mögen Nolde nicht? Da haben Sie recht. Hitler mochte ihn auch nicht.“

Nach dem Krieg versuchte sich Emil Nolde als Widerstandskämpfer zu stilisieren. In seinem Freundeskreis war seine finstere Vergangenheit aber kein Geheimnis. Der Präsident des PEN-Zentrums, Walter Jens, sprach schon 1967, zum hundertsten Geburtstag des Malers sibyllinisch, man müsse Nolde vor Nolde schützen. Jens wusste Bescheid über alte PG´s. Er war selbst NSDAP-Mitglied.

Werden Noldes Bilder jetzt im Giftschrank verschwinden? Wohl kaum. Dazu sind sie immer noch zu teuer. Man darf nach wie vor Kunst von moralisch nicht einwandfreien Künstlern genießen. Man wird auch weiterhin die Bücher von Günter Grass lesen, der ja in der Waffen-SS war. Von Martin Luther weiß man seit langem, dass er ein hartgesottener Antisemit war, ohne dass sich ernsthafter Widerstand gegen ihn geregt hätte. Johann Sebastian Bach hatte seine Gründe, in seiner Passionsmusik vor allem die judenfeindlichen „Wutchöre“ herauszuarbeiten. 

Schmidt-Rottluff statt Nolde?

Und dann Bertolt Brecht. Er war ein guter  Dichter, aber auch zeitweilig ein Stalin-Verehrer. Der Schriftsteller Erwin Strittmatter, der sein Mitarbeiter war, berichtete, Brecht habe den Panzern zugejubelt, die am 17. Juni 1953 den Arbeiteraufstand in der DDR niederwalzten. 

Die Kanzlerin wollte ihre zwei Noldes zunächst durch zwei Bilder des Chemnitzer Malers Karl Schmidt-Rottluff ersetzen. Nur, der war auch politisch suspekt. Noch rechtzeitig wurde ein Schriftwechsel aus der Zeit des Ersten Weltkriegs entdeckt, in dem Schmidt-Rottluff schrieb, die Engländer seien ein Volk, das durch die „Juden verseucht“ sei.

Eine Empfehlung zur Sache wird hier nicht gegeben. Künstlerische Talente sagen wenig über den Charakter der Künstler. Sie sind auch Menschen, und Menschen neigen dazu, sich bei den Mächtigen anzubiedern.

Der Hamburger Kunsthändler Thole Rotermund, Schatzmeister des Bundesverbands Deutscher Galerien, hat kein Verständnis für die Boykottentscheidung der Bundeskanzlerin. Er sagt, sie sollte besser in Bayreuth bei Wagner nicht mehr in der ersten Reihe sitzen. Denn Richard Wagner war auch ein Judenhasser.

Die Kunstsinnigen können es nicht lassen, in den Künsten immer das Schöne und Wahre zu suchen. Das ist oft enttäuschend. Die Kunst hat ihnen niemals einen Rosengarten versprochen.

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Burkhart Berthold / 16.04.2019

Es ist prima, dass die Kanzlerin etwas gegen Antisemitismus tun möchte. Auf denn: Verlegen Sie die deutsche Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem!

Bernhard Maxara / 16.04.2019

Sie haben recht, Herr Wiedemann, Künstler haben sich immer bei Mächtigen angebiedert; unsere fortgeschrittene Zeit wartet aber auch mit dem Gegenteil auf. Kein Kulturpolitiker wird Einspruch gegen irgendeine neuzeitliche widerwärtige Scheußlichkeit zu erheben wagen, für die eine Kunstsubvention beantragt wird. Bis vor kurzem noch, weil er keine Ahnung hatte, jetzt hingegen, weil er nicht als “Rechter” in Verruf kommen will. - Im Übrigen: Wie lange noch, und man wird darauf kommen, daß nicht nur Adolf Hitler sondern seine ganze Entourage täglich Klopapier benutzt haben, - Grund genug, alle, die schon sehr lange hier leben, wegen täglich mehrfacher “Wiederbetätigung” zu verklagen?

Matthias Braun / 16.04.2019

” Auf doppelte Weise gelangt man dazu, die Kunst zu verabscheuen: indem man sie nämlich von Haus aus haßt, oder indem man um sie mit dem Verstande wirbt.” ( Oscar Wilde )

Andreas Rochow / 16.04.2019

Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Das gilt auch und vielleicht besonders bei der bildenden Kunst. Nur für Wenige dürften auf diesem Gebiet die Vorlieben und politischen Zeichen unserer Bundeskanzlerin Bedeutung haben. Der gezeigte Kunstverstand von Angela Merkel ist ganz ihrem Machtanspruch untergeordnet. Wieder ein deutscher Nazi aufgespürt, das kann doch nicht der letzte gewesen sein! Der endlose Fall Gurlitt lässt grüßen. Monika Grütters, übernehmen Sie!

beat schaller / 16.04.2019

wenn “wendehälsinnen"an der macht sind? dann gewinnt eben die macht an kraft. sie wird als einheitsbrei oft so stark dass man sie kaum mehr weg bringen kann. (groookoooo). gut hat sie noch gemerkt, dass es gemälde sind und keine “radierungen”, sonst hätte sie diese möglicherweise noch weg radiert. so bleiben die bilder mindestens bestehen.  vielleicht gewinnen diese bald noch an wert, weil sie so lange von der “mächtigsten frau der welt” nicht erkannt wurden. kann ja alles noch passieren? dinge gibts auf dieser welt b.schaller

P. Kiefer / 16.04.2019

Sieh mal an, die GRÖKAZ teilt ja mindestens zwei Vorlieben mit dem GRÖFAZ: die Zuneigung zu Richard Wagner, einem ausgewiesenen Antisemiten, und die Abneigung gegen Emil Nolde, ebenfalls einem Judenhasser. So ist es wohl kein Zufall, dass diese beiden Staatenlenker in ihrem Regierungsstil auch so einige Ähnlichkeiten aufweisen. Jedenfalls zeigt sich auch wieder einmal, dass man - meistens—zwischen der moralischen Qualität des Künstlers und der seines Werks streng trennen muss.  Man denke etwa nur an Picasso und sein Verhalten gegenüber seinen Freunden und seinen Frauen. Fazit: Der Künstler ist eben in der Regel kein landläufig “guter Mensch”.

Eugen Richter / 16.04.2019

Ach ja. Folgt man dem Büchlein „Die deutsche Kulturrevolution von 1896-1933“, dann müssten wir sehr, sehr viele deutsche „Kulturschaffende“ der letzten über 100 Jahre auf-, äh nein, sorry, „abhängen“ oder einen Besuch Merkels Sturmtruppen der Antifa ertragen. Das Problem, welches auch Adenauer richtig erkannte, ist die verhängnisvolle Zuneigung zu vieler Deutsche zum Kollektivismus. Sie haben Angst vor der Freiheit, sind zu bequem zum selbstständigen Denken und halten Eigenverantwortung für eine Ausgeburt der Ungerechtigkeit. Die Achtung vor der Lebensleistung des Einzelnen wird regelmäßig durch den Besuch des Finanzamtes erfüllt und die tägliche Morgenpredigt deutscher Qualitätsmedien als Motivation für den Tag bereitwillig aufgenommen. Denunziation gilt als Bürgerpflicht und Neid ist der Treibstoff für politisch korrektes Verhalten. Wem das noch nicht ausreicht, hat die Möglichkeit der Klimakirche, als auch vom Papst quasi legitimierte globale Staatsreligion, beizutreten und, je nach Befindlichkeit, sich eine der vielfältige sozialen Geschlechterkonstrukte der modernen Genderwissenschaft auszusuchen. Ich habe jetzt ungefähr eine Vorstellung, wie es sich 1896-1933 anfühlen musste. Und ja, danach hatte niemand etwas gewusst.

Friedrich Neureich / 16.04.2019

Lasst Greta mit FCWK-freier Büchse klimaneutrale Strichmännchen an die Wände sprayen, den Lebenden zur Mahnung und den Späteren zum Gelächter…

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