Elon Musks Interesse, so die Verschwörungstheorie der deutschen Einheitsparteien, richte sich auf die Zerstörung Deutschlands und Europas, wo bisher alles zum Besten steht – zumindest nach Ansicht der Grünen.
„Er kontrolliert die Algorithmen bei X“ und „ungebändigte Kommunikationsmacht“ sind noch die geringsten Vorwürfe, die von Grünlinks dieser Tage in Mikrofone und Kameras gerufen werden. Das heilige Narrativ ist in Gefahr, und da darf die Rhetorik schon mal etwas rauer werden.
Robert Habeck, bekanntlich der grüne Kanzlerkandidat sowie Minister für Klima und Wirtschaft, ziert mit seinem Konterfei eine Online-Petition gegen den Mann, der nebenher auch ein wichtiger Investor in Deutschland ist:
„Elon Musk mischt sich aktiv in den deutschen Wahlkampf ein, um eine europafeindliche, teils rechtsextreme Partei zu unterstützen. Mit seinem enormen Reichtum, der Kontrolle über Plattformen und künstlicher Intelligenz greift er unsere Demokratie frontal an. Das dürfen wir nicht hinnehmen! Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie autoritäre Gesinnung hoffähig gemacht wird. Unterzeichne jetzt und setze ein klares Zeichen gegen diese Einflussnahme!“
Denn merke: Wer in Fragen der Migration und Kriminalität die volle Härte des Gesetzes fordert, ist ein Hetzer, wer sagt „Das Digitale-Dienste-Gesetz gibt der EU Zähne. Jetzt muss sie beißen. Verstöße müssen geahndet werden“, schützt Unseredemokratie. Deshalb hat Habeck diesen Satz eines Parteifreundes auch auf X (Twitter) repostet.
Nicht so zimperlich
Es ist sicher zu kleinlich, wenn die Berliner Zeitung an dieser Stelle moniert, dass der Website zur Online-Petition das vorgeschriebene Impressum fehlt. Es geht schließlich um Größeres. Diesmal zwar nicht um die Rettung der Welt, aber immerhin die Rettung Deutschlands vor Elon Musk. Da darf man nicht zimperlich sein.
Das weiß auch Andreas Audretsch, der Fraktionsvorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion, im Interview mit der WELT. Im Namen der Meinungsfreiheit sei es ein Fehler gewesen, dass Musk in der WELT seine Meinung sagen durfte.
Audretsch ruft – typisch für deutsche Politiker mit Knacks im Verständnis von Gewaltenteilung – nach dem großen Bruder EU-Kommission. „Ursula von der Leyen muss nun dafür sorgen, dass Elon Musk seine Algorithmen offenlegt.“ Putins Trolle, chinesische Staatskonzerne und amerikanische Tech-Mogule betrieben Meinungsmache in Deutschland, und verwundert reibt man sich die Augen, mit wem der gute Audretsch da so alles im Krieg ist. Endgame im Demokratiespiel und als Schlachtfeld hat sich die galaktische Verschwörung das demokratisch-idyllische Besserdeutschland ausgesucht.
Musks Interesse, so die Verschwörungstheorie der Einheitspartei, richte sich auf die Zerstörung Deutschlands und Europas, wo bisher und besonders dank des klugen Wirkens der Grünen, nämlich alles zum Besten steht. Wir folgen diesem Faden besser nicht bis zum klinischen Ende und suchen gleich nach dem rationalen Kern des Vorwurfs. (Spoiler: da ist keiner.)
Kann Musk falsch liegen?
Was könnte Musk damit bezwecken? Da seine linken Ankläger bei „Superreichen“ stets illegitime Ziele vermuten – womöglich will dieser Musk ja nur noch reicher werden, so reich wie…wie Musk eben – müssten seine Handlungen ja irgendwelchen zwar finsteren, aber rationalen Regeln folgen. Es sei denn, man erklärt ihn kurzerhand für vollkommen irrational, verrückt und durchgeknallt, doch das verträgt sich schlecht mit der ihm unterstellten Allmacht und dem „Plan“, sich in Deutschland in die Politik einzumischen.
Die Injurien müssen schon zusammenpassen und sich nicht logisch widersprechen, wie „dumm“ und „verschlagen“. Außerdem stellt Musk mit Tesla all die teuren Gewissensspielsachen her, die sie alle so sehr mochten, bis… ja, bis er den Gottseibeiuns in der US-Wahl unterstützte und als freches Kind am Straßenrand Einzeiler über die Kleiderwahl der Polit-Könige in Deutschland, Großbritannien und zuletzt Spanien auf X postete.
Also unterstellen wir mal, es ginge ihm um Macht und Geld und fragen uns, was er tun muss, um noch reicher zu werden. Regel Nummer eins: Pass auf deine Investitionen auf! Eine fiskal blöde Idee wäre es zum Beispiel, in einem Land für sechs Milliarden Euro eine Autofabrik zu bauen, dort 12.000 Leute zu beschäftigen, um als Nächstes die Grundfeste der Wirtschaftsordnung dort ins Chaos zu stürzen sowie den Markt für die eigenen Produkte zu zerstören, weil sich dank allgemeiner Verarmung niemand mehr den Luxus leisten kann, sie zu kaufen.
Die Ratio würde fordern, genau entgegengesetzt zu handeln und die eigene Investition zu schützen. Die Frage muss also lauten, wer Wirtschaftsordnung und Märkte in Europa gefährdet und ob Musk – wie es die Meinung so mancher Kommentatoren ist – wirklich nicht in der Lage ist, zu erkennen, von welcher Seite die „Systemfrage“ eigentlich gestellt wird und wer wirklich die Axt an die Grundfesten der sozialen Marktwirtschaft legt.
Kann er falsch liegen? Gewiss! Ist es wahrscheinlich, dass Audretsch mehr davon versteht, eine sechs Milliarden Dollar Investition in Deutschland zu schützen als Musk? Gewiss nicht. Doch kommen wir zum Wesentlichen der grünen Gewaltandrohung, dem Algorithmus, den Musk offenlegen müsse, um dabei überführt zu werden, wie er hinter den Kulissen die Fäden zieht, linke Accounts unterdrückt und rechte Accounts in die Timeline unbescholtener Bürger spült, was natürlich unweigerlich zur Wahlbeeinflussung dummer Deutscher führe, die dann nichts Eiligeres zu tun haben, als auszuführen, was ihr Herr und Gebieter… aber zum Grünen Wahlkampf komme ich später.
Auftritt „The Science“
Den „Algorithmus“ legte Musk nach der Übernahme von Twitter offen. Jeder kann den Quellcode auf GITHUB einsehen und – sofern der eigene Bachelor in gendersensiblem Ausdruckstanz auf Lehramt dazu befähigt – gar fürchterliche Manipulationen ans Licht zerren. Bisher Fehlanzeige. Ist da alles zu finden? Sicher nicht, aber wer von einem privaten Unternehmen im Wettbewerb totale Transparenz fordert, sollte vielleicht den ersten Stein in Richtung des weitverzweigten Medienkonglomerats des Koalitionspartners SPD werfen. Es war übrigens nicht der Algorithmus für empfohlene Inhalte, der beim alten Twitter das Problem war, sondern die zahlreichen geheimen Hebel, Knöpfe und Schnittstellen der Geheimdienste und die Löschkommandos. Diese wurden nicht algorithmisch, sondern politisch und meist höchst manuell betätigt, und es gibt sie nun nicht mehr.
Wenn man doch nur beweisen könnte, dass Musk seine Finger nun in böser Absicht im Spiel hat! Wenn da nur mal jemand mit den Mitteln von „The Science“ draufschauen und eine Studie vorlegen könnte! Und siehe da, eine solche gibt es: im Preprint und (aus Gründen) noch nicht Peer-reviewed, vorgelegt am 1. November 2024 von Timothy Graham und Mark Andrejevic an der Queensland University of Technology mit dem Titel “A computational analysis of potential algorithmic bias on platform X during the 2024 US election”.
Vorurteile, Manipulation, Sensation! Unerklärliches sei passiert im Sommer des Jahres 2024 mit Musks X-Account. Die Zahl der Impressionen sei plötzlich im Vergleich mit einigen ausgewählten „Republican-leaning accounts“ stark gestiegen und, verglichen mit reichweitenstarken „Democrat-leaning accounts“, geradezu durch die Decke gegangen.
„A unified change point for view counts was identified around July 13, 2024, suggesting a significant shift in viewing patterns around this date.“
Insgesamt, so das Fazit, „deuten die Ergebnisse darauf hin, dass einige Aspekte der Beteiligung auf der Plattform zwar allgemein verbessert worden zu sein scheinen, bestimmte Sichtbarkeitsvorteile jedoch möglicherweise selektiv angewendet wurden. Dies wirft wichtige Fragen über die möglichen Auswirkungen algorithmischer Anpassungen auf den öffentlichen Diskurs und die „Neutralität“ von Social-Media-Plattformen als Informationsträger auf.“
Sie lesen und hören die vielen Konjunktive, liebe Leser. Und möglichweise sind die Autoren da einer ganz heißen Sache auf der Spur. Möglicherweise übersehen sie aber auch etwas. Möglicherweise sogar absichtlich, weil in der Kausalkette der Studie der „View Counts Per Day“ in Musks X-Account eine auffällige argumentative Lücke klafft. Die herbeigeforschte Kausalität geht so: Am 13. Juli 2024 beschloss Elon Musk aus heiterem Himmel, Donald Trump offen seine Unterstützung zuzusagen, manipulierte sogleich den Algorithmus von X und verdoppelte bis vervierfachte daraufhin seine Reichweite. Das kann natürlich nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, wenn sich gleichzeitig etwa die Reichweite der allseits beliebten Alexandria Ocasio-Cortez nicht bewegt. Wirklich?
Was könnte den sprunghaften Anstieg des Interesses am Account mit den meisten Followern weltweit besser erklären als plumpe Manipulation, zumal man sie offenbar auf diesen einen Tag zurückführen kann? Gab es vielleicht außer der spontanen Erklärung seiner Unterstützung für Trump irgendetwas an diesem Tag, das man für die Studie hätte heranziehen sollten?
Patterns around this date…
Doch, da war etwas! Und es ging haarscharf an Trumps Kopf vorbei: eine Kugel in Butler, Pennsylvania. Nun mag es überall auf der Welt und auch in Australien keine große Sache sein, wenn auf Präsidentschaftskandidaten geschossen wird, in den USA ist es das nicht. Jede Studie über das „unerklärliche Verhalten“ des Accounts von Elon Musk, die dieses singuläre Ereignis nicht in Rechnung stellt, ja, nicht einmal in einer Fehlerbetrachtung oder sonstwo im Text erwähnt, macht sich lächerlich.
Der 13. Juli 2024 hat halb Amerika aus dem Schlaf gerissen und Musks offene Unterstützung für Trump ist das Ergebnis der Ereignisse in Butler, nicht der manipulative Auslöser eines X-Trends.
Auf der Suche nach Erklärungen dafür, warum ein als genial und extrem erfolgreich angesehener Milliardär dem medial verteufelten Trump plötzlich medial auf die Schulter klopft, kam wohl eine ganze Menge von X-Usern auf die naheliegende Idee, einfach mal bei Musks X-Account nachzusehen. Relevanz und Interesse steuert den Algorithmus in der Rubrik „Für Dich“, die Impressionen gehen nach oben. Sowas kann passieren, wenn jemand auf Präsidenten schießt.
Berührungsängste mit dem X-Algorithmus
Ab dem 14. Juli 2024 war der Wahlkampf für Harris faktisch gelaufen. Kombiniert man die Größe des Accounts von Elon Musk mit der Bedeutung seiner Unterstützung für die Kampagne Trumps durch die mediale Aufmerksamkeit, erscheinen die Reichweitenzuwächse gar nicht mehr so außergewöhnlich. Kann man Manipulation also ausschließen? Natürlich nicht! Ist die vorgelegte Studie seriös oder „beweist“ irgendetwas, wenn sie diesen Aspekt komplett ignoriert? Sicher nicht.
Und mal ganz ehrlich, lieber Herr Audretsch: Ich glaube nicht, dass die Grünen irgendwelche Berührungsängste mit dem X-Algorithmus haben, wo sie doch gerade selbst so erfolgreich damit spielen. Eine ganze Armee von grünbeherzten Wegwerf-Accounts teilt in kleine Häppchen verpackte, standardisierte und bis in die Schreibfehler identische politische Stanzen und versuchen, den auf eine Person ausgerichteten amerikanischen Wahlkampf zu kopieren. Robert der Erlöser Habeck hatte zu diesem Zweck seinen X-Account sogar reaktiviert, während die politisch unbedeutende D-Prominenz den Schuss nicht gehört hat und zur gleichen Zeit dramatisch-peinliche Abgänge von der Plattform inszenierte.
Die Frage ist wohl, ob diese Strategie allein genügt, um das Ruder herumzureißen oder ob die Botschaft der linksgrünen Wohlstandsvernichter mittlerweile in jeder Form in den sozialen Medien abgelehnt und geohrfeigt wird. Nicht der X-Algorithmus ist das Problem, sondern der woke Inhalt, der sich einfach nicht mehr von ihm verstärken lassen will, weil die Empfänger die Annahme verweigern.
Roger Letsch, Baujahr 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de wo dieser Beitrag zuerst erschien.