An Elmar Brok kommt keiner vorbei. Das liegt weniger an seiner korpulenten Figur als an der Fülle seiner Ämter. Brok sitzt seit 1980 für die CDU bzw. die EVP im Europäischen Parlament. Er ist, unter anderem, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Mitglied der EP-Delegation zur Volksrepublik China, Vertreter des Europäischen Parlaments bei den Verhandlungen des Europäischen Rates zur Schaffung einer echten Wirtschafts- und Währungsunion, Außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und Ehrenvorsitzender der Europa Union Deutschland.
Der joviale und trinkfeste Westfale gilt als bestens vernetzt, er hat Freunde in allen Fraktionen des Europa-Parlaments. Die Pausen zwischen den Sitzungswochen nutzt er gerne für Reisen in die Ferne, nach Washington, Kiew und Moskau, wo er beim 12. Petersburger Dialog ein Impulsreferat zum Thema „Die Zukunft der Europäischen Union“ hielt.
Brok und ich sind uns einige Male begegnet. Bei „hart aber fair“ im WDR, bei einem Streitgespräch für die „Welt“ und zuletzt bei einer Veranstaltung der „Europa Union Deutschland“ in Berlin, die mir einen „Negativ-Preis“ für meine „vornehmlich unsachliche und polemische Europakritik in dem Buch Die letzten Tage Europas“ verliehen hat. Ja, das gibt es wirklich.
Am Ende der Veranstaltung ergriff Elmar Brok das Wort. An mich gewandt, sagte er:
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Broder, der Sie ein Berufsjournalist geblieben sind…, habe ich zwischen-durch mehrfach den Beruf geändert und bin schließlich auch Politiker geworden… Das unterscheidet uns ein bisschen. Sie sind strikt bei Ihrer Art geblieben und ich muss sagen, ich weiß manchmal nicht, ob es Geschäftsinteresse ist, dass Sie das machen, oder ob das Überzeugungsarbeit ist…
Es wäre der richtige Moment gewesen, aufzustehen und den Raum zu verlassen. Aber ich ahnte, dass es noch besser kommen würde. Nachdem Brok die EU über den grünen Klee gelobt hatte, dass es ihr gelungen war, die „Schlachterei der Jahrhunderte“ unter den Nationalstaaten zu beenden, kam er unvermittelt auf die Schweiz zu sprechen.
In der Schweiz, die sie ja manchmal, Herr Broder, als großes Beispiel darstellen, hat man Freizügigkeit durch Volksabstimmung beendet. So ein Europa möchte ich nicht. Und zwar hat man grade in den Regionen fremdenfeindlich abgestimmt, wo es keine Ausländer gibt… Und diese Suppe möchten wir nicht mehr.
Dann lobte Brok die Wahlen zum Europäischen Parlament als „viel demokratischer“ als die Wahlen in den USA und als „das britische System“, nannte die Wahl von Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der Kommission eine „demokratische Revolution“ und sparte nicht mit Selbstlob ob seiner Verdienste um die europäische Integration.
Am Ende seiner Ausführungen kam Brok noch einmal auf die Schweiz zu sprechen.
Die Schweiz kann Schweiz sein, weil es Europa gibt. Die Schweiz hat ihre Unabhängigkeit auch nicht mehr. Heute war der Vertreter des Schweizer Bundesrates bei mir im Büro. Die versuchen jetzt, ihr fremdenfeind-liches Referendum europakompatibel zu machen. Ich hab gesagt, das geht nicht. Wenn ihr fremdenfeindlich seid, könnt ihr auch nicht den Binnenmarkt haben… Und wir sind jetzt in der Lage…, Überlegungen in Gang zu setzen, die auch fast von der Hälfte der Schweizer Bevölkerung geteilt werden, von denen wir gebeten werden, bleibt da hart, dass diese Fremdenfeindlichkeit wieder verschwindet.
An dieser Stelle machte ich etwas, das man eigentlich nicht tut – ich intervenierte:
Broder: Der Schweiz Fremdenfeindlichkeit zu unterstellen, ist eine absolute Scham- und Maßlosigkeit… Die Schweiz hat einen höheren Ausländeranteil als die Bundesrepublik und die meisten europäischen Länder. Das ist nicht Polemik, das ist Demagogie. Sie erzählen nur Märchen.
Brok: Herr Broder, ich rede zum Publikum, nicht zu Ihnen…, und wenn Sie das hier als eine Positionierung von mir gegen Ihre Position aufnehmen, ist das Ihr Problem. Ich hab Sie gar nicht gemeint.
Broder: Ich stelle nur fest, dass Sie hier Märchen erzählen…
Brok: Ich schicke Ihnen die Ausgabe der NZZ mit den Ergebnissen, wo und wie abgestimmt worden ist, dann können Sie das einmal studieren…
Broder: Ich kenne die Ergebnisse.
Brok: Und wenn ein Land, ein Land…
Broder: Das ist deutscher Postkolonialismus…
Brok: Das ist nicht deutsch, das ist Europa.
Broder: Genau das!
Drei Tage später bekam ich von Brok eine Mail, in der er seine Position noch einmal darlegte. Er halte „die SVP, Herrn Blocher und die Motive für den Erfinder des Referendums in der Schweiz zur Arbeitnehmerfreizügigkeitsregelung mit der EU für fremdenfeindlich“. Damit stünde er nicht allein. „Kirchen, Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Sozialisten, Liberale, Christliche Demokraten in der Schweiz teilen meine Sorgen. Es gibt da eine intensive Zusammenarbeit, um der Schweiz eine Brücke zu bauen. Daran bin ich übrigens von meiner EP-Funktion her intensiv beteiligt. Im Übrigen ist dieses Referendum ein Hinweis dafür, wie problematisch das System eines Referendums sein kann.“
Nicht problematisch dagegen ist, wenn sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments in die inneren Angelegenheiten eines Landes einmischt, das nicht einmal Mitglied der EU ist. Seine Legitimation bezieht er aus dem Umstand, dass er aus der Schweiz gebeten wurde, darauf hinzuwirken, „dass diese Fremdenfeindlichkeit wieder verschwindet“.
So einer Bitte kann sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament nicht verweigern. Vor dem nächsten Referendum sollten die Schweizer unbedingt Elmar Brok konsultieren. Sonst gibt’s wieder was auf die Finger.
Zuerst erschienen in der Weltwoche vom 2.10.14