Bertha Stein, Gastautorin / 05.07.2018 / 06:10 / 20 / Seite ausdrucken

Elite im Hakuna-Matata-Land

Von Bertha Stein.

Was sich einst als Spitze der Gesellschaft rühmte, ist unlängst zum Habitat für die Mitte der Gesellschaft geworden. Die CDU exemplifiziert diese funktionale Mittelstellung der Elite mit ihrem Slogan „Die Mitte“. „Die Mannschaft“ tut ihr Übriges.

Laut Brockhaus kennzeichnet die Elite jene, „die sich durch hohe Qualifikationsmerkmale sowie durch eine besondere Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft“ auszeichnen. Deswegen sprechen wir auch gerne von einer „Leistungsgesellschaft“. Doch diese ist so real existent wie das pinkfarbene Einhorn, das unsere bunten Kinderphantasien ausfüllt.

Keine Investitionen, keine Risiken, keine Visionen. Genau das geschieht im Reich der politischen Realität – so wie in anderen Lebenssphären. Es bedeutet marode Schulen, dreizehn Jahre die gleiche Frau an der Spitze und das Vor-sich-hin-plätschern der Flüchtlingsproblematik. Mit einer taoistischen Weltbejahung inklusive Weltvertrauen und Gelassenheit hat das mitnichten zu tun.

Aktuelles Beispiel: die Regierungskrise der beiden Schwesternparteien CDU und CSU, bei der die Kanzlerin ihre altbewährte Allzweckwaffe zückte, nämlich ihre Hakuna Matata-Raute. Es bedeutet Zuversicht verbreiten, im Hinterhalt abwarten und spätestmöglich reagieren; und bei thematischer Einverleibung des Gegners heißt es nur „mission accomplished“. „Aktion Seehofer“ plus „Reaktion Merkel“ gleich „Wirkung Seehofer“. Das ist das Erfolgsrezept der Raute und genau das, wie die Kanzlerin verlautete, was sie wolle.

Ihr berüchtigter Wanderurlaub steht kurz vor der Tür

Sie explizierte es nicht genau, aber die Sommerpause und und ihr berüchtigter Wanderurlaub stehen kurz vor der Tür. Dank der Rautentaktik fallen diese vermutlich nicht ins Wasser, sofern die SPD ihrem alten Verhaltensmuster treu bleibt: erst stählern-laut bellen, wie etwa Andrea Nahles zum Begriff der Transitzentren („Deshalb lehnen wir den Begriff auch ab“), dann die gewissenhaft-empörte Predigt des beruflichen Moraljüngers Kevin Kühnert – und dann die Versöhnung mit der Kanzlerin, aber wohlgemerkt zum Wohle der Nation und mit rügendem Zeigefinger. Nur, wenn die SPD wieder ein Mitgliedervotum abhalten möchte, wird aus dem Urlaub wohl nichts.

Das ganze Polittheater vom frenetischen Werdegang des Mannes „mit den Haaren im Gesicht“, Martin Schulz, vom Paulus zum Saulus über den gescheiterten jamaikanischen Kurztrip auf den Balkonen Berlins bis hin zum konservativen Schwesternstreit, kulminierend in eine Regierungskrise, zeigt unter anderem, dass ein hartnäckiges Klischee gebrochen ist: Wir Deutschen hätten keinen Humor. Dass wir spaßbefreit seien, kann man uns nach diesem Spektakel nun nicht mehr nachsagen.

Aber im Gegensatz zu Großbritannien oder Frankreich ist Deutschland nicht gerade für seine Kaderschmieden der Eliten bekannt. Zwar tummelt sich eine Exzellenzinitiative nach der anderen, wie die „Exzellenzstrategie“ zur Förderung deutscher Wissenschaft oder die Exzellenzinitiative beim DFB. Doch wo Exzellenz draufsteht, muss nicht Exzellenz drinstecken, wie „die Mannschaft“ dynamisch und verwirr-taktisch bei der WM demonstrierte.

„Besondere Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft“ spielten beim deutschen Kader bereits seit Monaten eine untergeordnete Rolle. Trotzdem wurde Joachim Löws Vertrag, der bis 2020 ging, noch vor der WM um zwei Jahre verlängert. Wieso, weshalb, warum? Was aber deutlich wird: Die Mär von der Leistung ist eine Chimäre. Die Aussage Löws, er wolle trotz (oder gerade wegen?) des WM-Debakels weiterhin seinen Vertrag erfüllen, bestätigt zugleich: Wir leben in einer Ochlokratie, einer Herrschaft des Pöbels.

Ergebnisoffene Rundum-Bespaßungs-Diskussionen

Nicht mehr Klasse, sondern Masse tummelt sich auf den oberen Rängen des deutschen Theaters, wo sich Politik, Wirtschaft und Medien untereinander affirmativ bekräftigen – wie die Spielpläne der letzten Jahre verdeutlichen. Ziellos und nichtsschaffend regieren (Flüchtlingsproblematik) und vergessen, dass es Andersmeinende (CDU versus CSU versus AfD) gibt, die womöglich überlegen sein könnten.

Genau all die Eigenschaften, die der Kulturphilosoph Ortega y Gasset dem Massenmenschen attestierte. Der Soziologe Karl Mannheim sprach gar von einer Proletarisierung der Intelligenz durch eine stetige Entwertung kultureller und geistiger Arbeit in der Öffentlichkeit. Die Soziologen Dahrendorff und Stammer sprechen von einem „Fehlen der Elitenbildung“.

Die CDU exemplifiziert diese funktionale Mittelstellung der Elite durch ihre mittelmäßige Positionierung mit ihrem Slogan „Die Mitte“, der DFB mit „die Mannschaft“ und die Ergebnisse ihres Handelns tun ihr Übriges.

Ergebnisoffene Rundum-Bespaßungs-Diskussionen im geschlossenen Klub der sich gegenseitig egostreichelnden Mitte verhindern das Entstehen von Eliten, und genau diese braucht Deutschland in Zeiten wie diesen nicht.

Selbstbewusst konstatiert die Kanzlerin zum Verhältnis von CDU und CSU: „Wir sind eine Erfolgsgeschichte“. Und sie hat recht. Zumindest in einer mediokren Leistungsgesellschaft wie Deutschland. Es lebe das Mittelmaß.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Gabriele Kremmel / 05.07.2018

“Wir sind eine Erfolgsgeschichte”. Genauso kann man auch die Ausbreitung der (alles andere erstickenden) Ackerwinde im Gemüsegarten als Erfolgsgeschichte bezeichnen. Aus Sicht der Ackerwinde zumindest. Ähnlichkeiten mit der derzeitig agierenden “Elite”, resp. unserer Regierung sind zufällig, dennoch nicht weniger zutreffend. Während sie an der Oberfläche anmutig ihre Pirouetten dreht und mit hübschen Blüten zu betören weiß, erobert sie unterirdisch mit einem alles umspannenden, schnell wachsenden Netz aus Wurzeln, Ausläufern und Trieben das gesamte Territorium samt Vegetation.

Harald Kreher / 05.07.2018

Das Liedlein, das die Lemmingfängerin aus der Uckermark singt, lautet fedidwgugl - alternativlos. Die Dissonanzen dieses vom orthodiagonalen Parallelogramm erzeugten Schlafliedes haben zu einem muckeligen Lähmungs- und Todesschlaf geführt. Zu Verantwortungslosigkeit, Opportunismus, Machterhalt und manch anderen ihrer Führungstugenden kommt noch eine an penetranter Mantrastammelung und Debilität kaum zu übertreffende Sprache. Um Himmels willen, hört denn überhaupt noch einer der Mainstream-Medien-“Investigativen” hin, was die Führerin der westlichen Welt da von sich gibt. Ihr und ihrem Durchadministrations-Team ist es gelungen, dadurch Gleichgültigkeit und Tabus zu etablieren. Dies gesellt sich zum (wenn’s denn wenigstens das noch wäre) Mittelmaß. Und das Land hat sich daran - an die scheinbar harmlose Kartoffelsuppenmagierin und so unprätentiös tapsende Wandersfrau aus religiös-sozialistischem Elternhaus mit fleißig erworbener sekretarieller Sonderkenntnis der politischen Bildung und Agitation - gewöhnt. “Sie kennen mich”, sagt die alternativloseste aller Muttis. Und die Kindlein lauschen weiter dösend ihrem sedativen Gesabbele. Gute Nacht, Deutschland. Die Kombination aus Unterschätzung des Ernstes der Lage, Gesinnungsethik, Bequemlichkeit und weitreichender Desinformiertheit - gerade durch den Gleichschaltungsklang der Establishment-Medien - all das wird uns weit grausamer einholen als wir die Raute zum Sonnengruß gen Himmel senden.

Judith Hirsch / 05.07.2018

Ab und an rutscht sogar der Kanzlerin mal die Wahrheit raus: “Die Bürger müssen den Eindruck haben, dass Recht und Ordnung durchgesetzt werden”. Offensichtlich orientiert sich Merkel am Berliner Senat. Dort sagt der Innenminister Geisel (SPD) ganz offen, dass man den Bürgern ein “Gefühl” von Sicherheit geben müsste. Echte Sicherheit zu gewährleisten ist nicht möglich bzw. nicht gewünscht. “Eindrücke” und “Gefühle” sollen erweckt werden. Wenn Politik nur noch darauf aus ist Nebelkerzen zu zünden und den Bürgern Sand in die Augen streut, ist die Demokratie so gut wie am Ende.

Hans Schneider / 05.07.2018

Die Beschreibung der Autorin erinnert mich fatal an die Beschreibung des preußischen Landjunkers vor dem ersten Weltkrieg. Sie selbst sahen sich als den lebenden Beweis der preußischen Tugenden, der Elite des Landes. In Wahrheit waren es Müßiggänger welche vom Erbe ihrer Vorfahren zehrten.

Mark Schild / 05.07.2018

Das Problem ist, dass alles, was nicht der Meinung der selbst ernannten Eliten entspricht von Ihnen mit irgendwelchen Etiketten versehen wird, die dann nicht mehr diskutierbar sein sollen- Totschlagargument nennt man so etwas. In dem einen Moment singen sie der (ihrer) Meinungsfreiheit ein Lied und dann legen Sie Tabus fest. Leute, die sich aufgrund moralischer Selbstüberhöhung ständig im Recht wähnen und daraus ableiten, den anderen Vorschriften - selbstverständlich nicht diskutierbare - machen zu können, sind mir suspekt. Solche Meinungspolizisten hatte Deutschland schon mehrfach und es ging nie gut aus.

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