Von Renate Zillessen.
Eine aus Steuergeldern gepäppelte Anti-Einsamkeits-Industrie kämpft mit fürsorglichem Sozialarbeitergestus gegen ein Problem, das die Politik selbst verschärft hat, etwa durch diverse Coronamaßnahmen.
Are you lonesome tonight? Aus vielen Gründen besser nicht, und jetzt sind neue hinzugekommen. Man könnte nämlich in den Fokus der wachsenden Schar der „Einsamkeitsbekämpfer“ geraten und wenn man viel Pech hat, untergehakt und abgeholt werden, um mit Ministerin Paus oder Geywitz Kuchen zu backen. Alleine in NRW winken 2.000 Initiativen „gegen Einsamkeit“ je 1.000 Euronen, die wollen verdient sein. Unter dem je nach Perspektive schönen oder schrecklichen Motto „Du + Wir = Eins“ hat Ministerpräsident Wüst persönlich den Kampf gegen diese Befindlichkeit aufgenommen.
Und damit ist er nur ein kleiner Krieger in der großen internationalen Armee gegen Einsamkeit. Ganz oben steht die WHO, die Einsamkeit 2023 als globale „Seuche des 21. Jahrhunderts“ einstufte und flugs eine internationale „Kommission für soziale Kontakte“ installierte, intensive Medienarbeit betreibt und unter dem Titel „Korale“ weltweit Projekte finanziert. Auf EU-Ebene setzt sich Frau von der Leyen persönlich für den edlen Kampf ein, was naturgemäß jetzt schon zu einem fast unüberschaubaren Wust an Forschungsvorhaben, Initiativen, Appellen, Mitteln und Maßnahmen führt. Da will unsere Bundesregierung nicht zurückstehen und schickt gleich zwei Ministerinnen bzw. Ministerien (BMFSFJ und BMWSB) an die Front, die sich zu einem „Kompetenznetzwerk Einsamkeit“ verbanden. Dem angesichts der Flut an Konferenzen, Publikationen und Aktionsgruppen bald kein Einsamer mehr durch die Maschen rutscht, zumal nun ein „Einsamkeitsbarometer“ die E-Inzidenz misst. Nicht nur NRW, auch andere Bundesländer haben den Kampf aufgenommen, beispielsweise Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Nicht zu vergessen zahlreiche bundes- und landesweite Sozialverbände. Und natürlich die öffentlich-rechtlichen und regierungsnahen Medien. Die „Tagesschau“ schilderte am 13.08.24 den ergreifenden Fall der einsamen Katja, die dank der Maßnahmen von Ministerin Paus an „organisierten Spaziergängen gegen Einsamkeit“ teilnahm und dort – ja, vielleicht ihren Traummann namens Lindsay kennenlernte. Im „Spiegel“ fragt sich eine Studentin mit Problempony: „Sollte ich nicht auch mit Freund:innen in der Sonne liegen?“
Auf jeden Fall! Einsamkeit ist für manche Menschen unbestritten ein leidvoller Zustand, der sie krank machen kann. Es ist edel, hilfreich und gut, Einsamen Hilfe anzubieten. Aber ist es auch Staats- und EU-Aufgabe, die seelische Befindlichkeit der Bürger zu überwachen und zu lenken? Zumal es im Bereich der klassischen Gesundheitspolitik viel zu tun und zu investieren gäbe. So infizieren sich in Deutschland bis zu 600.000 Menschen jährlich an vermeidbaren Krankenhauskeimen, bis zu 20.000 sterben daran. Aber, würde jetzt ein Zyniker sagen, die sind gesellschaftlich nicht so relevant wie die Einsamen. Denn die haben – und jetzt kommen wir zu des Pudels bzw. des Kampfes Kern – die unangenehme Eigenschaft, den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ infrage zu stellen und sich mit populistischen Ideen zu infizieren.
Nicht Schland hat Probleme, sondern du
Erkannt hat diese gedankliche Infektionsgefahr nicht zuletzt unser Bundespräsident Steinmeier. Denn „Einsamkeitsbelastung kann zu einem reduzierten Vertrauen in politische Institutionen führen und die Empfänglichkeit für Verschwörungserzählungen steigern“. „Die Verdrossenheit und die Unzufriedenheit unserer Tage und der Aufschwung derjenigen, die diese schlechte Laune erfolgreich politisch bewirtschaften, haben ja etwas mit fehlenden sozialen Beziehungen und Korrektiven zu tun, also mit Einsamkeit.“ Aber dagegen ist ein Kraut bzw. ein ganzes Beet gewachsen, unter anderem die Einsamkeitsbekämpfer des Programms „Demokratie leben“. So hat das „Progressive Zentrum“, eine sich für diese spezielle Demokratie engagierende, gut gemästete und international bestens vernetzte NGO, einen „Methodenkoffer“ für Menschen von 16 bis 23 Jahren entwickelt, die aufgrund von Einsamkeitsgefühlen „ein Gefährdungspotenzial für den Anschluss an menschenverachtende Gruppen besitzen.“
Kurz: Die sich an Einsame heranwanzenden Kümmerer verstecken hinter ihren Rücken die Nazikeule. Das erklärt auch den enormen Aufwand, mit dem „Einsamkeit“ bekämpft wird: Nur vordergründig geht es um subjektive Emotionen, tatsächlich soll objektiv begründbare Unzufriedenheit mit Politik und Gesellschaft quasi pathologisiert werden. Indirekt bestätigt das eine Bertelsmann-Studie im Auftrag des BMFSFJ, die einen kunterbunten Strauß soziodemographischer Daten – von Geschlecht über Wohnortgröße, Einkommen, ethnische Herkunft, Alter, Körperzufriedenheit, Ausbildung, Berufstätigkeit, Immobilienbesitz, Familienstand u.a.m. – mit dem Einsamkeitsgefühl der Befragten zu korrelieren versuchte. Unter „einsam sein“ wurden dabei alle Gefühle der sozialen Ausgrenzung, Chancen- und Perspektivlosigkeit subsumiert. Das Ergebnis ist einerseits völlig überraschungsfrei (Verwitwete sind häufiger einsam als Verheiratete, Einkommensstarke seltener als Einkommensarme, ungebildete Arbeitslose eher als gebildete Berufstätige etc.) und zeigt andererseits, dass es den Einsamkeitsbekämpfenden im Kern um knallhartes Framing geht: Nicht Schland hat Probleme, sondern du. Nicht ungemütliche Innenstädte, gezielte Mobilitätseinschränkungen, steigende Preise und stagnierende Einkommen erschweren Sozialkontakte, sondern deine Eigenbrötelei.
Am deutlichsten wird das beim von den Bertelsmännern nur ganz zart angetippten „Corona-Komplex“. Die Einsamkeitsforschenden können sich zwar nicht gänzlich daran vorbeimogeln, dass die strengen Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren, Schulschließungen etc. sowie die massive Hetze gegen Ungeimpfte die Menschen gezielt isolierten und somit Angst- und Einsamkeitsgefühle förderten, aber da das „Einsamkeitsbarometer“ nach Auslaufen der Maßnahmen gestiegen sei, könne es nicht an der Corona-Politik liegen (vgl. hier, S. 17). Wer das nicht für logisch hält, ist vermutlich rechts.
Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit
Gesichert rechts, wenn nicht sogar rechtsextrem, sind in den Augen der Einsamkeitsbekämpfer*innen wohl diejenigen, die Einsamkeit als existenzielles Wesensmerkmal des Menschen ansehen. Denn die damit verbundene innere Freiheit widerspricht den totalitären Anmaßungen der Wir-Sager und radikalen Gleichmacher. Einsamkeit ist per se keine Krankheit, sondern die völlig wert- und schmerzfreie Erfahrung, ein Individuum zu sein, ein nicht-teilbares, einzelnes, einmaliges, selbstverantwortliches Seiendes. Nur wer sich in diesem Sinn als Einsamer erkennt, kann Ich zu sich sagen – und sich frei für oder gegen ein Wir entscheiden.
Vor dieser Entscheidung standen gezwungenermaßen viele Deutsche während der Corona-Maßnahmen. Der indirekte und für mehrere Berufsgruppen direkte Impfzwang individuierte ganz unmittelbar, da es um den eigenen Körper ging. Wer den Regierungsverlautbarungen nicht fraglos vertraute, wurde aus dem Kollektiv der „Guten“ ausgestoßen und – sofern ungeimpft – zwangsvereinsamt. Auf einmal galten nicht nur „die Rechten“, sondern Bürger jeder politischen Couleur als bösartige, dumme Volksschädlinge, die Politiker und Leitmedien hemmungslos beschimpfen durften. Für viele führten diese Erfahrungen zu einem Paradigmenwechsel, sie wurden „einsam“ im Sinne der EU- und Regierungsdefinition: skeptisch und kritisch. Das ist angesichts der zahllosen Umerziehungs- und Transformationsmaßnahmen gar nicht gut; der massive „Kampf gegen Einsamkeit“ lässt sich unter dieser Perspektive auch als Präludium kommender Impfkampagnen interpretieren.
Und natürlich als generelle Maßnahme zur Identifikation, Ausspähung, Ausgrenzung und Pathologisierung sämtlicher Schafe, die sich bockig zeigen – sei es beim Thema Impfen, Geschlechterpluralismus, Klimakatastrophe oder Einwanderungspolitik. Aber gerade dadurch entstellt sich der fürsorgliche Sozialarbeitergestus der Anti-Einsamkeits-Kämpfer zur Kenntlichkeit. Schopenhauers Diktum „Man hat in der Welt nicht viel mehr als die Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit“ könnte zum Gemeinspruch werden.
Renate Zillessen studierte in Bonn und Berlin Literaturgeschichte, Philosophie und Kunstgeschichte (M.A.) und hängte nach mehrjähriger Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin eine Fortbildung zum Master of Business Administration dran, geriet naturgemäß in eine Werbeagentur, später in einen Bankenverband, machte sich mit eigener Agentur selbstständig, die sie vor fünf Jahren verkaufte und widmet sich seitdem erneut Literatur, Kunst und Philosophie im weitesten Sinn.