Gastautor / 07.09.2024 / 06:15 / Foto: Montage achgut.com / 44 / Seite ausdrucken

Einsamkeit und Recht und Freiheit

Von Renate Zillessen.

Eine aus Steuergeldern gepäppelte Anti-Einsamkeits-Industrie kämpft mit fürsorglichem Sozialarbeitergestus gegen ein Problem, das die Politik selbst verschärft hat, etwa durch diverse Coronamaßnahmen.

Are you lonesome tonight? Aus vielen Gründen besser nicht, und jetzt sind neue hinzugekommen. Man könnte nämlich in den Fokus der wachsenden Schar der „Einsamkeitsbekämpfer“ geraten und wenn man viel Pech hat, untergehakt und abgeholt werden, um mit Ministerin Paus oder Geywitz Kuchen zu backen. Alleine in NRW winken 2.000 Initiativen „gegen Einsamkeit“ je 1.000 Euronen, die wollen verdient sein. Unter dem je nach Perspektive schönen oder schrecklichen Motto „Du + Wir = Eins“ hat Ministerpräsident Wüst persönlich den Kampf gegen diese Befindlichkeit aufgenommen.

Und damit ist er nur ein kleiner Krieger in der großen internationalen Armee gegen Einsamkeit. Ganz oben steht die WHO, die Einsamkeit 2023 als globale „Seuche des 21. Jahrhunderts“ einstufte und flugs eine internationale „Kommission für soziale Kontakte“ installierte, intensive Medienarbeit betreibt und unter dem Titel „Korale“ weltweit Projekte finanziert. Auf EU-Ebene setzt sich Frau von der Leyen persönlich für den edlen Kampf ein, was naturgemäß jetzt schon zu einem fast unüberschaubaren Wust an Forschungsvorhaben, Initiativen, Appellen, Mitteln und Maßnahmen führt. Da will unsere Bundesregierung nicht zurückstehen und schickt gleich zwei Ministerinnen bzw. Ministerien (BMFSFJ und BMWSB) an die Front, die sich zu einem „Kompetenznetzwerk Einsamkeit“ verbanden. Dem angesichts der Flut an Konferenzen, Publikationen und Aktionsgruppen bald kein Einsamer mehr durch die Maschen rutscht, zumal nun ein „Einsamkeitsbarometer“ die E-Inzidenz misst. Nicht nur NRW, auch andere Bundesländer haben den Kampf aufgenommen, beispielsweise Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Nicht zu vergessen zahlreiche bundes- und landesweite Sozialverbände. Und natürlich die öffentlich-rechtlichen und regierungsnahen Medien. Die „Tagesschau“ schilderte am 13.08.24 den ergreifenden Fall der einsamen Katja, die dank der Maßnahmen von Ministerin Paus an „organisierten Spaziergängen gegen Einsamkeit“ teilnahm und dort – ja, vielleicht ihren Traummann namens Lindsay kennenlernte. Im „Spiegel“ fragt sich eine Studentin mit Problempony: „Sollte ich nicht auch mit Freund:innen in der Sonne liegen?“

Auf jeden Fall! Einsamkeit ist für manche Menschen unbestritten ein leidvoller Zustand, der sie krank machen kann. Es ist edel, hilfreich und gut, Einsamen Hilfe anzubieten. Aber ist es auch Staats- und EU-Aufgabe, die seelische Befindlichkeit der Bürger zu überwachen und zu lenken? Zumal es im Bereich der klassischen Gesundheitspolitik viel zu tun und zu investieren gäbe. So infizieren sich in Deutschland bis zu 600.000 Menschen jährlich an vermeidbaren Krankenhauskeimen, bis zu 20.000 sterben daran. Aber, würde jetzt ein Zyniker sagen, die sind gesellschaftlich nicht so relevant wie die Einsamen. Denn die haben – und jetzt kommen wir zu des Pudels bzw. des Kampfes Kern – die unangenehme Eigenschaft, den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ infrage zu stellen und sich mit populistischen Ideen zu infizieren.

Nicht Schland hat Probleme, sondern du

Erkannt hat diese gedankliche Infektionsgefahr nicht zuletzt unser Bundespräsident Steinmeier. Denn „Einsamkeitsbelastung kann zu einem reduzierten Vertrauen in politische Institutionen führen und die Empfänglichkeit für Verschwörungserzählungen steigern“. „Die Verdrossenheit und die Unzufriedenheit unserer Tage und der Aufschwung derjenigen, die diese schlechte Laune erfolgreich politisch bewirtschaften, haben ja etwas mit fehlenden sozialen Beziehungen und Korrektiven zu tun, also mit Einsamkeit.“ Aber dagegen ist ein Kraut bzw. ein ganzes Beet gewachsen, unter anderem die Einsamkeitsbekämpfer des Programms „Demokratie leben“. So hat das „Progressive Zentrum“, eine sich für diese spezielle Demokratie engagierende, gut gemästete und international bestens vernetzte NGO, einen „Methodenkoffer“ für Menschen von 16 bis 23 Jahren entwickelt, die aufgrund von Einsamkeitsgefühlen „ein Gefährdungspotenzial für den Anschluss an menschenverachtende Gruppen besitzen.“

Kurz: Die sich an Einsame heranwanzenden Kümmerer verstecken hinter ihren Rücken die Nazikeule. Das erklärt auch den enormen Aufwand, mit dem „Einsamkeit“ bekämpft wird: Nur vordergründig geht es um subjektive Emotionen, tatsächlich soll objektiv begründbare Unzufriedenheit mit Politik und Gesellschaft quasi pathologisiert werden. Indirekt bestätigt das eine Bertelsmann-Studie im Auftrag des BMFSFJ, die einen kunterbunten Strauß soziodemographischer Daten – von Geschlecht über Wohnortgröße, Einkommen, ethnische Herkunft, Alter, Körperzufriedenheit, Ausbildung, Berufstätigkeit, Immobilienbesitz, Familienstand u.a.m. – mit dem Einsamkeitsgefühl der Befragten zu korrelieren versuchte. Unter „einsam sein“ wurden dabei alle Gefühle der sozialen Ausgrenzung, Chancen- und Perspektivlosigkeit subsumiert. Das Ergebnis ist einerseits völlig überraschungsfrei (Verwitwete sind häufiger einsam als Verheiratete, Einkommensstarke seltener als Einkommensarme, ungebildete Arbeitslose eher als gebildete Berufstätige etc.) und zeigt andererseits, dass es den Einsamkeitsbekämpfenden im Kern um knallhartes Framing geht: Nicht Schland hat Probleme, sondern du. Nicht ungemütliche Innenstädte, gezielte Mobilitätseinschränkungen, steigende Preise und stagnierende Einkommen erschweren Sozialkontakte, sondern deine Eigenbrötelei.

Am deutlichsten wird das beim von den Bertelsmännern nur ganz zart angetippten „Corona-Komplex“. Die Einsamkeitsforschenden können sich zwar nicht gänzlich daran vorbeimogeln, dass die strengen Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren, Schulschließungen etc. sowie die massive Hetze gegen Ungeimpfte die Menschen gezielt isolierten und somit Angst- und Einsamkeitsgefühle förderten, aber da das „Einsamkeitsbarometer“ nach Auslaufen der Maßnahmen gestiegen sei, könne es nicht an der Corona-Politik liegen (vgl. hier, S. 17). Wer das nicht für logisch hält, ist vermutlich rechts.

Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit

Gesichert rechts, wenn nicht sogar rechtsextrem, sind in den Augen der Einsamkeitsbekämpfer*innen wohl diejenigen, die Einsamkeit als existenzielles Wesensmerkmal des Menschen ansehen. Denn die damit verbundene innere Freiheit widerspricht den totalitären Anmaßungen der Wir-Sager und radikalen Gleichmacher. Einsamkeit ist per se keine Krankheit, sondern die völlig wert- und schmerzfreie Erfahrung, ein Individuum zu sein, ein nicht-teilbares, einzelnes, einmaliges, selbstverantwortliches Seiendes. Nur wer sich in diesem Sinn als Einsamer erkennt, kann Ich zu sich sagen – und sich frei für oder gegen ein Wir entscheiden.

Vor dieser Entscheidung standen gezwungenermaßen viele Deutsche während der Corona-Maßnahmen. Der indirekte und für mehrere Berufsgruppen direkte Impfzwang individuierte ganz unmittelbar, da es um den eigenen Körper ging. Wer den Regierungsverlautbarungen nicht fraglos vertraute, wurde aus dem Kollektiv der „Guten“ ausgestoßen und – sofern ungeimpft – zwangsvereinsamt. Auf einmal galten nicht nur „die Rechten“, sondern Bürger jeder politischen Couleur als bösartige, dumme Volksschädlinge, die Politiker und Leitmedien hemmungslos beschimpfen durften. Für viele führten diese Erfahrungen zu einem Paradigmenwechsel, sie wurden „einsam“ im Sinne der EU- und Regierungsdefinition: skeptisch und kritisch. Das ist angesichts der zahllosen Umerziehungs- und Transformationsmaßnahmen gar nicht gut; der massive „Kampf gegen Einsamkeit“ lässt sich unter dieser Perspektive auch als Präludium kommender Impfkampagnen interpretieren.

Und natürlich als generelle Maßnahme zur Identifikation, Ausspähung, Ausgrenzung und Pathologisierung sämtlicher Schafe, die sich bockig zeigen – sei es beim Thema Impfen, Geschlechterpluralismus, Klimakatastrophe oder Einwanderungspolitik. Aber gerade dadurch entstellt sich der fürsorgliche Sozialarbeitergestus der Anti-Einsamkeits-Kämpfer zur Kenntlichkeit. Schopenhauers Diktum „Man hat in der Welt nicht viel mehr als die Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit“ könnte zum Gemeinspruch werden.

 

Renate Zillessen studierte in Bonn und Berlin Literaturgeschichte, Philosophie und Kunstgeschichte (M.A.) und hängte nach mehrjähriger Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin eine Fortbildung zum Master of Business Administration dran, geriet naturgemäß in eine Werbeagentur, später in einen Bankenverband, machte sich mit eigener Agentur selbstständig, die sie vor fünf Jahren verkaufte und widmet sich seitdem erneut Literatur, Kunst und Philosophie im weitesten Sinn.

Foto: Montage achgut.com

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Leserpost

netiquette:

Volker Kleinophorst / 07.09.2024

Die Lösung gegen die Einsamkeit wird Enteignung sein. Von @Neidhart gut ausgeführt. Links verspricht Lösungen für selbstgeschaffene Probleme. Und die „Lösungen“ haben immer einen anderen Zweck als den vorgeblichen. Zu „Jetzt nehmen wir uns die Ungeimpften vor“ Wüst. „Jetzt nehmen wir uns die Ampel vor“ ist natürlich Delegitimierung des Staates.

Horst Jungsbluth / 07.09.2024

Wenn Politik und Medien ein Problem ausgemacht haben und dieses auf die jahrzehntlang sattsam bekannte Praxis lösen wollen, dann kann man sicher sein, dass dann Stellen im Staatsapparat geschaffen und Unmengen an Steuergeldern verschleudert werden, ohne dass das eigentliche Problem gelöst wird. Aber es führt dann häufig dazu, dass “findige” Köpfe entdecken, wie man den Staat abzocken oder selbst einen gut bezahlten Job ohne irgendwelchen Leistungsdruck im öffentlichen Dienst ergattern kann und machen ein neues “Problem” aus. Übrigens wäre es einmal interessant zu erfahren, wie es mit dem zahlenmäßigen Verhältnis Bürger/öffentlicher Dienst in den Kommunen/Kreisen/Bezirksämtern der Bundesrepublik aussieht, da würde sich so mancher wundern. In Berlin, damals noch Westberlin war der Bezirk Keuzberg wahrscheinlich am besten mit Personal im öffentlichen Dienst in der gesamten Bundesrepublik ausgestattet und in fast allen positiven Bereichen Schlusslicht. Dann kamen 1990 die Ostbezirke hinzu, die brachten noch mehr!!! Personal mit und da lief gar nichts, jedenfalls nichts Positives. 2020 wurde dann ein Lehrermangel konstatiert, nachdem man kurz zuvor noch zu viele hatte, wobei ich bei der zuständigen Senatsverwaltung feststellte, dass bei den allgemeinbildenden Schulen 1 Lehrer 10,6 Schüler (in Bayern fast 16)  unterrichtet. So dummdreist werden wir belogen und das seit Jahrzehnten.

Klara Altmann / 07.09.2024

Grundsätzlich kann ich gut mit Menschen, in der Regel sind sie mir gegenüber sehr zutraulich, genauso wie alle möglichem Haustiere, die sich in der Regel gerne von mir streicheln lassen. Aber seit mittlerweile mindestens 10 Jahren gibt es einen Abgrund zwischen mir und den meisten, da viele Menschen konsequent Relotiusmedien wie den ÖR, Spiegel, Zeit usw. lesen und dadurch in einer aus meiner Sicht völlig alternativen Welt leben. Aktuell wundert sich wohl der ein oder andere über die vielen Messertoten und -verletzten und die vielen vergewaltigten Frauen und auch sonst viele einschlägige Gewaltopfer, da sich das mit ihrem heilen multikulturellen Weltbild überhaupt nicht vereinbaren lässt. Und dass sich die dummen Frauen heutzutage auf ihrem Heimweg abends fürchten, sollen sie halt ein Taxi nehmen. Aber das ändert nichts an dem inzwischen staatlich verordneten Weltbild, dass jeder, der es wagt, konsequent und vernünftig zu denken, wirklich böse “rechts” sein muss. Und wenn man noch eine berufliche Existenz hat und davon lebt, aber Lügen oder Heucheln liegt einem eben nicht, dann reagiert man automatisch mit Rückzug. Weiß man doch nicht, ob nicht irgendwer Zuträger an eines der “Meldeportale” von Faesers Gnaden ist. Also quasi ein IM des VS. Man minimiert also die Risiken durch sozialen Rückzug und ist nur noch mit jenen in Kontakt, an denen die staatlich-mediale Gehirnwäsche der letzten 15 Jahre ebenfalls vorbeigegangen ist. Zumindest lehrt einen dieses Beispiel viel über vergangene Diktaturen wie zur NS-Zeit oder in der DDR. Ein totalitäres, von oben verordnetes Weltbild, das aber dem Realitätsempfinden diametral entgegensteht, aber man darf bei Verbot und Existenzbedrohung diesen offensichtlichen gefährlichen Widerspruch nicht ansprechen. Dieser unübersehbare Missbrauch staatlicher Gewalt treibt sicher noch viele andere Menschen in die Einsamkeit, der Staat sät Misstrauen zwischen den Menschen, sicher ist das die Absicht und auch die Vereinsamung vieler.

Ralf.Michael / 07.09.2024

” Du bist nicht Allein “, dieser alte Song sollte über die ÖR-Leitmedien 2x täglich ausgestrahlt werden ! Bei der riesigen Menge an Studierenden von Hirnfurz- und Geschwätz-Studiengängen ? Ein Genderismus-Studium kann doch wirklich sehr einsam machen ! Darum, täglich mehrmals laut aussprechen : Ich bin NICHT Einsam und Alleine, Wir sind Viele und Wir sind LEGION…... Deshalb : Hurroo, Alle deutschen Einsamen vereinigt Euch !

PaulKehl / 07.09.2024

Mein Berliner Kneipenwirt:“Wo früher an jeder Ecke in Kreuzberg eine Kneipe war, ist heute eine Psychopraxis”

Thomin Weller / 07.09.2024

Hans Böckler Statistik aus dem Jahr 2018. Zu betreuenden Patientenzahl pro Pflegekraft in Kliniken nach Ländern. Deutschland 13.0, Spanien 12.6, Belgien 10.7, Großbritannien 8.6, Schweiz 7.9, Schweden 7.7, Niederlande 6.9, USA 5.3 In Deutschland wird es immer wieder zu “Arbeit macht Frei” auch ohne Schnautzbart kommen. Und aktuell “15 Betreuer für 35 Migranten im Asylheim - 1 Pflegekraft für 25 Be­wohner im Pflegeheim.” Obdachlose Deutsche werden aus der Stadt gejagt und sollen sich andere Brücken suchen, während Asylanten, Messermörder im drei Sterne Mövenpick Hotel untergebracht sind und die öffentlichen Räume, Bahnhöfe unsicher machen. Mehr muss zu dieser menschenverachtenden Politik nicht gesagt werden. Ich könnte sie alle….

Thomin Weller / 07.09.2024

“Utilitarismus ist eine Ethik, die die Folgen einer Handlung für das Wohlergehen aller Betroffenen als Kriterium für Moralität ansieht.” In einem aktuellem 5.9.24 SPD Positionspapier “Sicherheit stärken – unsere freie Gesellschaft verteidigen” behauptet die SPD “Die SPD als größte Volkspartei und größte Regierungsfraktion..” Die braune Bertelsmann Zotte SPD scheint in einem gewaltigen Drogenrausch zu sein und errichtet mittels Steuergelder das historisch, weltgrößte Arbeitshaus-Lager, der Mensch als billige Ware für NGOs. “Der Utilitarismus des aufkommenden Industriezeitalters stellte dann das Arbeitshaus im 19. Jahrhundert unter den Leitsatz “Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen”, um so unter kapitalistischen Vorzeichen eine Fabrikdisziplin gesellschaftlich durchsetzen zu helfen.” Über eine billionen Euro haben sie den Arbeiter und Angestellten sachfremd aus der Rentenkasse gestohlen. Und jetzt wundern sie sich das alte Menschen, inzwischen auch 50-jährige Mülleimer nach Brauchbaren durchsuchen weil sie ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können. Widerwärtiges Parteikartell.

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