Von Marcel Templin und Dr. Justus Hoffmann.
Seit dem 16. März 2022 wird die sogenannte „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ umgesetzt. Lauscht man in die Praxis, oder besser „in die Praxen“, dann gewinnt man den Eindruck, als sei nicht der Geist aus der Flasche entschwebt, sondern aus einer Tube gepresst worden. Die Unsinnigkeiten, die man eilig in den § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) geschrieben hat, können den „normativen Elchtest“ in keiner Weise bestehen, wenn schon die Fachbehörden nicht in der Lage sind, ihre zugehörigen Fachgesetze richtig zu lesen, zu verstehen und dann auch noch ordentlich anzuwenden. Das möge man bitte nicht als Rundumschlag gegen unsere Gesundheitsämter verstehen, sondern gegen diejenigen „Experten“, denen beim Entwurf solcher Gesetze eigentlich die Röte derart ins Gesicht steigen müsste, dass sie nachts heller leuchten als eine Fußgängerampel.
Zunächst einmal die Chronologie: Am 10. Dezember 2021 wurde das Gesetz durch Bundestag und Bundesrat beschlossen, was hier ein anderes Wort für „durchgepeitscht“ sein soll. Karl Lauterbach, der von einem Sturm aus Empathie von der ihm ergebenen Internetgemeinde ins Bundesgesundheitsministerium geweht wurde, hat den Sinn dieses Gesetzes auf der Homepage seines Ministeriums knapp zusammengefasst oder zusammenfassen lassen:
„Die Herausforderung liegt darin, die aggressive Delta-Welle endlich nachhaltig zu brechen und die drohende Omikron-Welle noch zu verhindern. Langfristig wird es darauf ankommen, die Bevölkerung zu schützen, vor weiteren Wellen.“
An diesem Tag lag der Landkreis Meißen laut Robert-Koch-Institut (RKI) mit einer Inzidenz von 2.517,4 auf Platz 1 und eine Wand aus Omikron drohte, glaubte man den offiziellen Orakeln aus Berlin, ganze Landstriche zu entvölkern. Da ist es nur verständlich, dass man im Gesundheitswesen jede Hand brauchte, die auch bereit ist, sehr früh aufzustehen, am Wochenende oder in der Nacht zu arbeiten und dabei jetzt nicht gerade zu den Spitzenverdienern der Republik zu gehören.
Eine Bewährungsfrist von drei Monaten
Während Delta also aggressiv das Land in seinen viralen Würgegriff zu nehmen drohte, arbeiteten Menschen im Gesundheitswesen miteinander am Wohle des Patienten, ohne Rücksicht auf den Impfstatus. Man kann nur munkeln, dass man auch auf die bösen Ungeimpften nicht verzichten wollte und konnte. Immerhin gestand man ihnen eine Bewährungsfrist von drei Monaten zu, bevor sie mit dem ersten mitternächtlichen Glockenschlag in den Iden des März 2022 zur tödlichen Gefahr für ihre Patienten erklärt wurden.
Am 16.03.2022 belegte der Landkreis Eichsfeld mit einer Inzidenz von 3.350,0 den Spitzenplatz im täglichen Lagebericht des RKI. Man könnte also zu dem Schluss kommen, dass die am 10.12.2021 verabschiedete „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ weder zum Bruch der Delta-Welle noch zur Verhinderung der „Omikron-Wand“ beigetragen hat. Auch diese Maßnahme hat das Infektionsgeschehen also nicht wirklich beeinflusst und ist, ungeachtet der unzähligen medizinischen und juristischen Einwendungen, die schon an anderer Stelle ausführlich gewürdigt worden sind, ohne jede Rechtfertigung, wenn man für den Rest der Bevölkerung die Maßnahmen weitgehend aufhebt. Über das „Basisschutzpaket“, das genauso aufregend klingt wie ein Einführungsprodukt einer privaten Krankenkasse, wird man noch zu reden haben. Die Germanisten unter uns dürfen sich schon mit Vorfreuden einen Tee kochen, wenn wir uns mal genauer anschauen, warum es „Ausnahmezustand“ heißt. Die linguistischen Erkenntnisse werden so bahnbrechend sein, dass vielen im Bundestag, und nicht nur da, die Spucke wegbleiben dürfte.
Während also die Fußballstadien und Gaststätten wieder voll sein dürfen (wir wünschen es allen gebeutelten Branchen von Herzen!), sind es zwei Gruppen, die nun von der staatlichen Fürsorge voll getroffen werden. Das sind zunächst die Kinder in den Schulen, die weiterhin Testpflichten unterliegen und denen wir weiterhin fröhlich klar machen, dass wir Erwachsenen sie eigentlich nur für keimschleudernde Rotznasen halten, deren wesentlicher Zweck nur darin zu liegen scheint, nicht den Lehrer, die Oma und überhaupt den Rest der Menschheit durch unüberlegtes und unkontrolliertes Herumgelebe ins Grab zu bringen. Auch hier dürfen wir als Gesellschaft gespannt sein, was da für eine Generation heranwächst, die unter dem Eindruck einer solchen Botschaft ihre Schulzeit durchlebt hat. Das gibt natürlich die Kraft, die Lasten der Generation zu tragen, aus der heraus Lehrer und Eltern allen Ernstes tönen, dass das Ende der Maskenpflicht zu früh komme, ohne zu fragen, wann es denn bereits zu spät geworden ist. So viel Ekel vor Kindern muss man öffentlich auch erst mal aufbringen.
Wenn der einzige Landarzt weit und breit das Handtuch wirft
Wem das jetzt zu polemisch war, der möge mal einen Blick darauf werfen, was Angehörige medizinischer Berufe bzw. die Arbeitnehmer erleben, die bis zum 15.03.2022 in den Einrichtungen nach § 20a Absatz 1 IfSG ihren vollen Einsatz zu zeigen hatten und nun drohende Post vom Gesundheitsamt erhalten. Gleiches gilt für die durchs Netz geisternden Leitfäden, wie sich „ungeimpfte Praxisinhaber“ zu verhalten haben.
Bereits im Vorfeld haben einige Ärzte angekündigt, die Praxis zum 16.03.2022 dichtzumachen. Es ist dann schon ein Ding aus dem berühmten Tollhaus, wenn sich beispielsweise der Arzt, der sich aus guten Gründen der Injektion eines auch weit über einem Jahr nur bedingt zugelassenen Stoffes verweigert, seine Praxis schließt und seine Mitarbeiter, egal ob geimpft oder ungeimpft, mal eben so ihre Stelle verlieren.
Sicherlich könnte man einwenden, dass das Gesundheitsamt mit § 20a Absatz 5 Satz 3 IfSG einen Ermessenspielraum hat, hier eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Ja, man könnte sogar einwenden, dass § 20a IfSG den Arbeitgebern lediglich eine Meldepflicht bezüglich seiner Angestellten, aber nicht für Praxisinhaber oder Soloselbständige, geregelt hat. Aber dann wäre es nur recht und billig, wenn das z.B. von den zuständigen Kammern und den Gesundheitsämtern auch so kommuniziert würde. So stehen alle ziemlich begossen herum, wenn dann der einzige Landarzt weit und breit einfach das Handtuch wirft, weil er meint, es ist eh alles vorbei.
Womit wir beispielhaft bei der Kommunikation der Gesundheitsämter sind. Es ist Frühling, und eine Welle schwappt über uns herein. Sie heißt nicht Delta oder Omikron, sondern „Musterschreiben“. Das ist nichts Neues in der Corona-Krise. Das kennen wir bereits von Quarantänebescheiden und sogar aus dem einen oder anderen Urteil. Das gute alte „Copy and Paste“ hat mittlerweile auch seinen Platz in der Verwaltung gefunden. Der Gründer und Vorsitzende der Gewerkschaft Good Governance, Marcel Luthe, hat wegen eines solchen Schreibens bereits Strafanzeige gegen das Gesundheitsamt Holzminden erstattet. Es sind mittlerweile keine Einzelfälle, sondern die Hilferufe aufgrund der Post vom Amt oder dem Arbeitgeber erreichen auch die anwaltlichen Kollegen und uns oder die vorgenannte Gewerkschaft aus dem gesamten Bundesgebiet. Die klassischen Personal- und Arbeitnehmervertretungen sind zumeist keine Hilfe, denn der ausgerufenen Staatsraison haben sich alle Werktätigen zu unterwerfen.
Das kleine Wörtchen „kann“
Die den erwähnten Hilferufen zugrunde liegenden Sachverhalte sind vielfältig, haben aber immer denselben Kern. Der §20a IfSG wurde entweder überhaupt nicht gelesen oder gelesen und nicht verstanden. Das beginnt schon damit, dass Arbeitgeber im vorauseilenden Gehorsam die Mitarbeiter, von denen sie wissen oder meinen, dass diese ungeimpft sind, den Zutritt zum Arbeitsplatz verweigern oder aberwitzige Meldeauflagen erteilen, die das Gesetz schlicht nicht vorsieht, weil die Ausnahmen einfach nicht gesehen werden.
Dazu kommen die Musterschreiben der Gesundheitsämter, die den Eindruck vermitteln, dass eben nur der Impfnachweis Rettung und Erlösung bedeute. Der Hinweis auf den Nachweis einer Impfunfähigkeit nach § 20a Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 IfSG steht dann, wie im Fall Holzminden, nicht im Fettgedruckten, sondern präsentiert sich zurückhaltender. Auf den Genesenennachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 IfSG wird meist erst gar nicht eingegangen. Stattdessen wird der rhetorische Holzhammer geschwungen, wenn dann dem betroffenen Arbeitnehmer mit Bußgeld gedroht wird, nur weil die erforderlichen Nachweise gemäß § 20a Absatz 5 Satz 1 IfSG auf Aufforderung nicht übermittelt wird. Dieser Automatismus ist von § 20a Absatz 5 IfSG nicht vorgesehen, denn sonst würde Satz 3 dieses Absatzes nur zur Zierde im Gesetz herumstehen.
Denn gerade mit diesem Satz liegt der Ball bei den Behörden:
„Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird.“
Das kleine Wörtchen „kann“ hat hier eine elementare Bedeutung.
Es handelt sich also um keine „gebundene Entscheidung“, dann hat die Behörde keine Wahl und muss nach einer bestimmten Rechtsfolge entscheiden. Durch das kleine Wörtchen „kann“ im § 20a Absatz 5 Satz 3 IfSG hat das Gesundheitsamt jedoch einen Entscheidungsspielraum, der juristisch als „Ermessen“ bezeichnet wird. Dieses Ermessen hat die Behörde auch auszuüben, denn der Ermessensnichtgebrauch oder „Ermessenausfall“ führt regelmäßig dazu, dass die Entscheidung rechtswidrig ist. Denn nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen hat die Behörde ihr Ermessen auszuüben, sie kann also nicht einfach davon absehen. Die Ermessensausübung kann dann später durch das Verwaltungsgericht überprüft werden.
Man produziert reihenweise Amtshaftungsfälle
Aus den vorgenannten Gründen lohnt sich daher beim Ermessensnichtgebrauch oder generell bei Ermessensfehlern (die Behörde hat ihr Ermessen genutzt, aber dabei Fehler gemacht) der Widerspruch bzw. die Klage gegen einen solchen Bescheid. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen ein Betretungsverbot des Gesundheitsamtes sind nach § 20a Absatz 5 Satz 4 IfSG ausdrücklich vorgesehen. Gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidung muss man allerdings parallel Eilrechtsschutz suchen, um bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über Widerspruch und Klage weiterhin die entsprechende Einrichtung, also den Arbeitsplatz, betreten zu dürfen. Es ist also seitens der Gesundheitsämter nicht damit getan, mit Bußgeldern zu drohen. Das Gesundheitsamt muss jedes Betretungsverbot einzeln begründen, und dabei wird sicherlich ein Aspekt nicht unwichtig sein: Was machte den betroffenen Arbeitnehmer am 16.03.2022 um 0.00 Uhr gefährlicher als noch am 15.03.2022 um 23.59 Uhr? Genau da beginnen die Vollzugsprobleme, denn behördliche Musterschreiben helfen hier nicht mehr weiter.
Zugleich wurde aus Sicht der betroffenen Einrichtungen bzw. Unternehmen ein Dilemma in den § 20a IfSG hineingebastelt, das nicht mehr als „Redaktionsversehen“ abgetan werden kann. Arbeitgeber bzw. Unternehmen dürfen gemäß § 20a Absatz 3 Satz 3 IfSG jeden ohne Impf-, Genesenen- oder Impfunfähigkeitsnachweis nicht mehr beschäftigen, zugleich sind die Gesundheitsämter, wie eben gesehen, gehalten, jedes Betretungsverbot individuell zu begründen und auch Ausnahmen zu erteilen. Was passiert in der Zwischenzeit, wenn ein Arbeitgeber dem Beschäftigungsverbot nach § 20a Absatz 3 Satz 3 IfSG sofort nachkommt, sich später (z.B. nach jahrelangem Rechtsstreit über ein Betretungsverbot vor den Verwaltungsgerichten) herausstellt, dass hier eine Ausnahme vom Betretungsverbot hätte erteilt werden müssen? Immer vorausgesetzt, der betroffene Arbeitnehmer oder sonst in einer medizinischen Einrichtung Tätige hat seine Arbeitskraft weiterhin angeboten, die wiederum von der Einrichtung zurückgewiesen wird.
Man produziert reihenweise Amtshaftungsfälle, wenn der Arbeitgeber im guten Glauben an die Entscheidung des Gesundheitsamtes bzw. den Wortlaut des Gesetzes seine Mitarbeiter unbezahlt vor die Tür setzt und sich später herausstellt, dass die Entscheidung des zuständigen Gesundheitsamtes falsch war. Oder haftet gar der Arbeitgeber, wenn er ggf. pflichtwidrig verschweigt, dass es eine behördliche Ausnahmegenehmigung geben kann, um das Beschäftigungsverhältnis „zu retten“, für den Schaden, den der Arbeitnehmer wiederum infolge eines arbeitgeberseitigen Beschäftigungsverbots erleidet. Noch ein Grund mehr, um die Anforderungen an eine ordentliche und vor allem zügige Bescheiderteilung durch die Gesundheitsämter hoch anzusetzen oder dieses unsinnige Gesetz gleich ganz wieder abzuschaffen.
Es wird schon jetzt in vielen Fällen schwer sein, die Brüche in den Biographien oder die Lücken bei der Gesundheitsversorgung zu schließen, wenn die eh schon dünne Decke in unserer Gesundheitsversorgung durch solche Gesetze weiter ausfranst. Und das in einer Krise, die vor allem deshalb heraufbeschworen worden ist, weil die Überlastung des Gesundheitssystems wie ein Damoklesschwert über uns zu schweben drohte. Ob dieses Schwert dort jemals hing, darf man bei genauer Betrachtung der Zahlen gänzlich schwurbelfrei bezweifeln. Was ebenfalls gegen die Zulässigkeit von dieser Impfpflicht und Impfpflichten allgemein spricht.
Wie bereits gesagt, sehen wir hier eine Welle ganz anderer Art auf uns zurollen. Daher haben wir uns auch entschlossen, auf der Grundlage der jüngsten Entwicklung, auch der vermehrten Wahrnehmung, dass es so etwas wie Impfschäden gibt (hört, hört!), noch einmal den Gang zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe zu wagen. Wohl wissend, dass dies nicht das einzige juristische Heilmittel sein kann. Viel wichtiger ist eine sachliche und zielführende Beratung und Hilfe für die Betroffenen, egal ob geimpft, nicht geimpft, genesen oder einfach nur gesund. Das schuldet unsere Gesellschaft gerade denen, die insbesondere von der Politik wiederholt stiefmütterlich behandelt werden, ohne müde zu werden, zu betonen, dass man immer nur das Beste für alle will. Das gilt für unsere Gesundheit und ganz besonders die Gesundheit unserer Kinder.
Marcel Templin und Dr. Justus Hoffmann sind Rechtsanwälte und Mitglieder einer Kanzlei in Berlin und vertreten viele Betroffene aus dem Gesundheitsbereich wegen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht , aber auch viele Eltern und Kinder wegen der anhaltenden Maßnahmen in Schulen und Kindergärten.