Jesko Matthes / 19.12.2018 / 06:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 20 / Seite ausdrucken

Einmal kalte Spahn-Platte, bitte!

Wissen Sie, was die Eustachische Trompete ist? Sie ist ein hässliches, unsichtbares Röhrchen aus ein bisschen Knochen und Schleimhaut und befindet sich irgendwo im Dunkeln zwischen Rachen und Mittelohr, leider auch bei mir. Auch Sie kennen dieses Organ, aus Fahrstühlen, Hochgebirgen, dem Flugzeug und vielleicht vom Tauchen; die aktiven Soldaten und Reservisten, die von der Luftwaffe und den paar noch funktionsfähigen U-Booten, Panzern, Hubschraubern und der Artillerie kennen das winzige Organ auch: Mund auf, Augen zu (aber nicht zu lang, bei Überschall fliegt ihr Fighter, wenn er denn fliegt, vier Kilometer, während Sie noch mit einmal kurz Niesen beschäftigt sind), pressen, Druckausgleich herstellen. Zur Not im Simulator oder ADAC-Trainingshelikopter.

Leider hat das Schicksal schon in meiner frühesten Lebensphase, also ungefähr, als Neil Armstrong mit dem Druckausgleich vor seinem großen Schritt für die Menschheit und Wernher von Braun mit seinem ganz eigenen Druckausgleich zwischen SS und NASA beschäftigt waren, beschlossen, eine ziemlich satte Mittelohrentzündung über mein linkes Ohr laufen zu lassen, und seither ist es mit meiner Eustachischen Trompete so eine Sache. Bin ich fünf Tage erkältet, höre ich links zwei oder drei Wochen nix.

Letztes und vorletztes Jahr passierte das pünktlich vor einer geplanten Flugreise, und es half alles nichts, der Doktor musste zum Doktor, sonst hätte ihm (also mir) das Trommelfell platzen können. Mein HNO-Arzt hatte meine Unterschrift schon oft gelesen, auf Überweisungsträgern, und nun begrüßte er mich mit den Worten: "Aha, haben Sie endlich auch selber mal was?!" Nach einer seltsam surrenden und blubbernden Messung mit einem stöpseligen Apparat in meinem Gehörgang und einer hässlichen ärztlichen Aufklärung über winzige Ballons, die man mir in Narkose in den Rachen stecken und über Kunststoffröhrchen, die man nicht nur Kindern durchs Trommelfell stoßen könne, verschrieb er mir eine ölig-milchige Lösung, die ich mir ständig in die Nase träufeln musste, und die dafür sorgte, dass Pommes, Brathähnchen und Zigarillos intensiv nach Menthol schmeckten.

Mir rauchte der Kopf, und ich wurde immer knurriger und einsilbiger. Ich hielt mich schon für Helmut Schmidt. Am nächsten Abend gab es dann einen erschreckenden Knall, und strahlend verkündete ich meiner viel eher um die Reise als um mich besorgten Ehefrau: "Schatz, wir können fliegen, ich habe Druckausgleich!" Denn ansonsten hätte man die Sache knicken können. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Druckausgleich im Flugzeug durchaus ungenügend war. Es tat bei der Landung schön weh, und wieder hörte ich links nix, aber immerhin war ich auf Korsika. Meine Frau fütterte derweil am Rande der Passstraße halbwilde, bunte Schweine mit Apfelstückchen und verkündete alsbald ihrerseits ein medizinisches Problem: "Aua, au! Schatziii, guck mal, ich hab' mich beißen lassen...!" So spricht nur eine wirkliche Tierfreundin.

Einfach penetrant auftreten

Wie gut, wenn man beim Arzt schnell einen Termin bekommt, oder wenn er auf dem Fahrersitz neben der Patientin hockt. Doch das ist ja eher die Ausnahme. Das Bundesgesundheitsministerium hält daher die Eustachische Trompete eher für das Instrument seiner göttlichen Eingebungen, und am Ende fühlst du dich wie vom halbwilden Schwein gebissen, denn – voilà – jetzt wird alles besser, vor allem mit den Arztterminen!

Ortswechsel. Wieder zu Hause. Der Sommer war sehr groß und ist schon lange zu Ende, und während in den Alleen, hin und her, die Blätter treiben, wird es auch rutschig für mein Dienstfahrzeug, aber das ist nicht das einzige Problem. Ich bin allein und werde es lange bleiben. Ich hocke mit meinem Diesel bei meiner Vertragswerkstatt. Eine seltsam spiralige Anzeige leuchtete auf, die Kiste fährt noch, aber irgendetwas stimmt nicht, auch die Leerlaufdrehzahl schwankt.

Auf den Termin habe ich drei Tage warten müssen, immer mit dem Gefühl, gleich ist mein Feinstaub-Ofen, zu Robert Habecks und Annalena Baerbocks Trost, ganz aus. Am Ende entpuppt sich die Angelegenheit jedenfalls als genuin grünes Anliegen, eine Frage der Tierliebe. Der Marder, ein hübsches pelziges Wesen mit schwarzen Knopfaugen und weißem Lätzchen, hat einen schmalen Luftschlauch noch deutlich schmaler geknabbert. Eine Sache von zehn Minuten und achtzig Euro.

Es wird nur schwierig, als ich auf den Versicherungsfall verweise. Ja, da müsse man dann den Motor gründlich durchsehen, denn ich sei ja noch drei Tage so durch die Gegend gefahren, und dafür benötigte man einen unabhängigen Gutachter. Ich verzichte auf ihn und wähle den Gummischlauch für sofort, zum Selbstzahlertarif. Währenddessen komme ich auf die Idee, die Winterinspektion anzumelden. Dafür habe man, so der freundliche Mann am Service-Schalter, ab Mitte März wieder Zeit. Winterräder umsetzen? – Kein Problem, in drei, vier Wochen, denn das wollen gerade alle.

Da habe ich eine Eingebung: "Halten Sie doch einfach ein paar Termine für Kunden wie mich frei, und machen Sie es für die ruhig ein bisschen teurer... Ihre Belegschaft wird doch mit Arbeitswert-Prämien bezahlt..." – "Das machen wir ja schon, aber diese Termine sind ratz-fatz weg, wir ziehen diese Fälle also durchaus vor, und, wenn Sie es wirklich wissen wollen: Je penetranter sie hier auftreten, umso eher bekommen sie so einen Termin. Darum warten Sie jetzt länger." Der Mann am Schalter ist im Privatleben mein Patient, wir reden immer so offen, von Mann zu Mann, und auch er wartet auf einen Termin bei mir, also nix zu machen.

Schneidiger Kettenhund der Planwirtschaft

Frustriert und vorsichtig fahre ich wieder in die Praxis, denn die Nachmittagsstunde beginnt, und ich denke an meine Patienten, die beim Orthopäden, Neurologen oder Rheumatologen entweder gar keinen Termin oder einen ab Mai 2019 angeboten bekommen. Ich schlage noch kurz die Zeitung auf, inzwischen ist mir egal, welche. Ich kaufe neuerdings immer abwechselnd das "Neue Deutschland" und die "Preußische Allgemeine". Es sind, wie immer, großartige Kommentare dabei, natürlich nicht über Autohäuser, sondern über meine Kollegen, die stinkfaulen Fachärzte, bei denen es keinen Termin gibt, denn der Gesundheitsminister, ein immer etwas kantig-unbeholfener, dazu oberlehrermäßig-jovialer Typ, der meines Erachtens in der Mischung viel besser ins Europa-Parlament passen würde, hat eine einfach fantastische Idee gehabt: Sollen die Fachärzte mal von ihrem Bärenfell kommen und einfach ein paar Notfalltermine reserviert halten, und dafür bekommen sie dann eine Patientenfangprämie. Das nennt man dann: eine ganz dicke Spahn-Platte bohren und in einem Gesundheitsreförmchen Zimtsterne backen. Super! Klappt im Autohaus auch großartig! Selbst den Gutachter hat der Minister aus dem Hut gezaubert!

Ich habe den Mann, also den Minister, nicht den Mann vom Servicetresen des Autohauses, mal für unangenehm neoliberal gehalten, aber angesichts des ostelbischen Pedigrees seiner Chefin ist er von ihrem persönlichen Wadenbeißer offensichtlich schnurstracks zum schneidigen Kettenhund ihrer Planwirtschaft mutiert. Immer bereit! – Na, dann prost Neujahr, auf Ihre Gesundheit!

Also, liebe Betroffene der Eustachischen Röhre: Auf dem linken Ohr bin ich irgendwie schon wieder taub. Ach, das kennen Sie ja schon! Also, liebe Freunde des Reiß-Mich-Tüchtig, des Grinds oder des Zipperleins im Knie: Ab demnächst bekommen Sie vorgezogene Termine beim Facharzt. Gehen Sie einfach an den Tresen, vorbei an der Schlange, direkt durch zur Tresenschlampe. Meckert die? – Seien Sie laut, werden Sie noch lauter, bleiben Sie konstant pampig und penetrant, pochen Sie auf die neue, staatlich garantierte Spahn-Wirtschaft. Dann geht es bestimmt fix. Für Sie. Sollen doch die anderen, vor allem diese ganzen widerlichen, aufdringlichen Psychos, zum Gutachter gehen und sich hinten anstellen.

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Leserpost

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Regina Dexel / 19.12.2018

Als glühenden Verfechter der Widerspruchsregelung bei Organ“spenden“ im Falle des Hirntods scheint mir Span aktuell ein geeigneter Kandidat.

Bernhard Maxara / 19.12.2018

Ach, es fällt einem wirklich nichts besseres ein als die Rezeptur Henryk M. Broders vom letzten Montag: Bitte ein Moratorium von mindestens einem Jahr für das ganze politische Berlin! Schickt sie auf die Fidschis, Bahamas oder sonst wohin, - Geld haben wir doch, Gott sei Dank mehr als Verstand. Nur ein Jahr lang einmal nichts von dem infantilen Haufen hören! Über die Festtage habe ich mir schon Nachrichtensperre verordnet.

jogi alb / 19.12.2018

“Privat,Augenblick, da sehe ich dass gerade ein Termin heute freigeworden ist,passt das für Sie…..” So lange es “Privat” und “Kasse” gibt, wird sich nichts ändern. Vor allem Fachärzte leben gut von den Privatversicherten, Faktor 2,3 in der Abrechnung ist normal, 3,5 immer häufiger, erfundene Posten keine Seltenheit. Keine Regierung, auch nicht Rot-Grün, hat an dem einzigartigen System gerüttelt,die Medizin-Lobby hat noch jeden Versuch erfolgreich abgewehrt, womit, raten Sie mal…

Stefan Lanz / 19.12.2018

Ganz und gar vergessen und untergegangen: Spahni hat den braven Onkel und Onkelinen von den Apotheken gebolfen und Schluß gemacht mit “Wildwest” bei den Onlinepreisen und gleich noch deren Nacht-/Feiertagszuschläge kräftig erhöht… Damit sich der Patient nicht mit Vergleichen der Medikamentenpreise herumschlagen muss… Hat aber nichts mit Lobbyismus zu tun, rein gar nichts, nur zum Wohle der Menschheit! So ein Braver unser Spahni…

Dr. Christian Rapp / 19.12.2018

Bei Betrachtung der Politiker bekomme ich einen optischen Tinnitus und sehe nur noch Pfeifen. Wird Zeit, dass sich die Ärzte gelbe Westen anziehen. Kollegiale Weihnachtsgrüße

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