Alexander Wendt / 13.11.2014 / 14:42 / 8 / Seite ausdrucken

Einladung ins islamische Paradies

Wenn ein Medium sich mit dem real existierenden Islam auseinandersetzt – eine extrem selten praktizierte Übung –  dann bekommen die Redakteure promt Post von einem muslimischen Gemeindevertreter, einem muslimischen Verband oder einem Islamwissenschaftler, der nachweist, dass positive Generalisierungen („der Islam gehört zu Deutschland“) zwar gern angenommen werden, Kritik am Islam aber grundsätzlich auf Unkenntnis und Pauschalisierung beruht.

Nachdem mein Kollege Michael Klonovsky im Focus 45/14 seinen Text „Ein Glaube zum Fürchten”  veröffentlicht hatte, antwortete die Ahmadiyya-Gemeinde Deutschlands mit einer umfassenden Gegenexpertise: Anders als islamophobe Journalisten glauben machen wollen und selbst unbefangene Nachrichtenkonsumenten glauben, ist der Islam friedfertig, tolerant gegenüber anderen Religionen, vertritt die Emanzipation der Frauen, fördert wissenschaftliche Innovation, ruft zur Loyalität gegenüber den Gesellschaften auf, in die Muslime einwandern, und bejaht ausdrücklich das Recht von Muslimen, ihren Glauben straflos aufzugeben*(kompletter Text siehe unten).

Alles, was dieser Wirklichkeit scheinbar widerspricht, hat entweder nichts mit dem Islam zu tun, beruht auf falscher Auslegung oder der individuellen Schwäche von Muslimen. Denn, so der Ahmadiyya-Vertreter: „Es gibt keine sogenannte dunkle Seite des Islam, nur eine dunkle Seite der Menschen.“ Daraus könnte der Adressat der Belehrung den Schluss ziehen, dass der Islam möglicherweise gar nicht zu den Menschen gehört beziehungsweise umgekehrt.

Mir fällt aber auch noch eine andere Perspektive ein – nämlich eine Geschichte aus der untergegangenen DDR. Dort kam ein Mann aufs Volkspolizeikreisamt und erklärte, er wolle aus der DDR ausreisen. Worauf ihn der Diensthabende anblaffte: „Und wohin? In die Bä-är-dä?

Der DDR-Bürger lächelte und legte eine Ausgabe des Parteiorgans „Neues Deutschland“ auf den Tisch, in dem die umfassenden Rechte der Werktätigen gelobt wurden, die übererfüllten Pläne, das große Warenangebot und die herausgeputzten sozialistischen Städte.

„Nein“, sagte der Mann. „Ich will in die DDR, die im ‚Neuen Deutschland’ steht.“

In diesem dialektischen Sinn, liebe Ahmadiyya-Gemeinde (ich weiß, daß ihr von der Islamischen Weltliga wegen Liberalitätsverdacht ausgeschlossen wurdet), lieber Aiman Mazyek, lieber Jakob Augstein: In welchem der 56 Staaten, in denen der Islam Staatsreligion, Religion der Bevölkerungsmehrheit oder Religion einer großen Minderheit ist, gibt es diesen diesen hellen, friedlichen toleranten und aufgeklärten Islam praktisch zu besichtigen, den ihr als theoretischen Kern dieser Religion zu beschreiben nicht müde werdet?

Ich würde sofort in dieses muslimische Paradies fliegen, in dem es keine 72 Jungfrauen für Selbstmordattentäter gibt, aber eine Art orientalisches Stanford mit leichten kulturmuslimischen Wurzeln und ein paar Schwulenclubs, die Halal-Getränke anbieten. Zum einen würde ich natürlich aus Sensationslust dort hin wollen. Zum anderen, um die Leute dort einzuladen: Kommt zu uns – und missioniert die Muslime in Europa.

Hier die Gegendarstellung zum FOCUS-Bericht:
Aktuell aufkeimende, brutale Konflikte durch fehlgeleitete, extremistische Randgruppen der islamischen Welt werden irrtümlicherweise mit der Lehre des Islam in Verbindung gebracht. Deren barbarische Handlungen halten dazu her, die friedliebende Mehrheit der Muslime und ihre Religion zu diffamieren. http://www.ahmadiyya.de/news/pressemitteilungen/art/focus-anti-islamische-aufwiegelung-entgegnet/

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Leserpost

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Gottfried von Bouillon / 15.11.2014

Hatte denn das 3. Reich wirklich was mit dem von Grund auf friedlichen Nationalen Sozialismus zu tun und waren alle Nationalen Sozialisten böse Meschen? Oh weiha…

Bastian Leibold / 14.11.2014

Auch die Ahmadiyya dürfen ihre Frauen schlagen, nur nicht wegen einer Kleinigkeit! Wie liberal. Mir scheint, die Ahmadiyya sind auch Meister der Taqiyya

Stephan Bergmann / 13.11.2014

Wenn der Islam “perfekt” ist, “das Beste für alle Menschen”, wenn es “keine sogenannte dunkle Seite des Islam [gibt], nur eine dunkle Seite der Menschen”, dann ist der Islam eine Utopie. Wann immer eine Gesellschaft zum Versuchslabor für soziale Utopien wurde, endete das in entsetzlichem, menschlichen Leid. Man kann auch mit den besten Intentionen die Erde in eine Hölle verwandeln.

Max Wedell / 13.11.2014

Ein Muslim kann den Islam sehr ernst nehmen oder auch nicht so sehr. Mein Eindruck ist, daß die Apologeten des Islam (hierzulande oft selber keine Muslime) gern und oft auf Muslime hinweisen, die den Islam nicht besonders ernst nehmen, und die bei denen dann anzutreffende Toleranz und Friedfertigkeit als Beweis der Toleranz und Friedfertigkeit des Islam anführen. Ein Beispiel: Der Arabist Prof. Thomas Bauer trat mit der Äußerung hervor, daß “vor dem Jahr 1979 in tausend Jahren kein Fall im islamischen Nahen Osten und Nordafrika bekannt sei, in dem ein Mann aufgrund von einvernehmlichem Sex mit einem anderen Mann strafrechtlich angeklagt worden sei”. Die muslimische Welt sei mehr als tausend Jahre lang tolerant mit Homosexuellen umgegangen. Rechtsgelehrte hätten es kaum als Problem angesehen, dass die soziale Praxis der religiösen Norm meist widersprach. Mit anderen Worten… daß die Muslime anders lebten, als es der Islam eigentlich vorsah, wenn man ihn genau nahm. Bauer sagt wörtlich: “Man sollte sich also hüten, die religiösen Normen des Islams in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft zu überschätzen”. Ja, das ist nun allerdings sehr wahr: Gesellschaften haben immer die Wahl, religiöse Normen für sich als verbindlich zu erklären, oder das eben nicht zu tun. Wenn eine Gesellschaft (aus humanistischer Sicht) bedenkliche religiöse Normen weitgehend ignoriert, dann kann man ihr auch nicht vorwerfen, nach diesen bedenklichen Normen zu leben, und die betreffende Religion mutiert nachgerade zu einem philanthropischen System, weil es alles, was einen gegenteiligen Eindruck machen könnte, in der Praxis des Zusammenlebens der Menschen ja nicht mehr gibt, und von der Religion womöglich nicht viel mehr übrigblieb, als all das, was man subsummieren könnte unter der Überschrift: Habe den andern nur recht ordentlich lieb. Vielleicht können sich Islambegeisterte und Islamkritiker darauf einigen: Wenn man den Islam in den Punkten nicht so genau nimmt, an denen er ein wenig oder auch sehr zu drastisch geraten ist, dann kann man ihn auch nicht viel schlechter aushalten als andere Religionen. Die heutigen Probleme werden dann also hervorgerufen von Leuten, die einfach nicht die Aussagen des Islam ignorieren wollen, die es verdienen, ignoriert zu werden (immernoch von humanistischer Warte aus gesehen). Daß es sich hierbei um eine Minderheit innerhalb der muslimischen Welt handelt, ist sehr schön zu hören, muß aber nicht ständig litaneiartig wiederholt werden… wir haben es allmählich begriffen.

Michael Loehr / 13.11.2014

In Essen hat in den letzten Tagen eine vollverschleierte Muslima ihr Kind in den Kindergarten gebracht und damit für reichlich Aufregung gesorgt. Verständlich. Mir reicht schon die inflationäre Entwicklung der Kopftücher in Deutschland. Warum tragen in Deutschland geborene Türkinnen eigentlich Kopftuch? Weil IHR konservativer Präsident Erdogan es IHNEN mit Nachdruck empfiehlt. Und was schreibt die Ahmadiyya-Gemeinde gleich in erster Gegenthese: 1. Der Islam bietet Rechtleitung in allen Lebensbereichen ...so werdet IHR halt nie in Deutschland ankommen! Und bei EUCH handelt es sich nur um einen liberalen Ableger des Islam.

Burkhart berthold / 13.11.2014

Dem Islam widerspricht nichts - nur die Wirklichkeit. Und zu der gehören offenbar auch die Leute, die Zeter & Mordio schreien, sobald jemand ihre Toleranz in Frage stellt. Dass sie dann sogar einen klugen Mann wie Michael Klonovsky attackieren, der nicht müde wird, die Schönheit der klassischen islamischen Kultur arabischer und iranischer Prägung zu preisen, ist schon fast ironisch. Aber Ironie wird denen wohl eher abgehen? Herzlich, Ihr Burkhart Berthold

Bernd Zeller / 13.11.2014

Nicht ganz verkehrt, auf die dunkle Seite des Menschen zu verweisen. Eine davon ist das Nichts-mit-Islam-zu-tun-Gehabe zwecks eigener Ermächtigung.

Peter Hünten / 13.11.2014

Es stimmt schon, dass die überwiegende Mehrheit der vom Islam bestimmten Staaten mit großen Defiziten hinsichtlich der Rechte der Frauen und einer liberalen Weltsicht ausgestattet sind, aber es gibt eine Ausnahme, den Staat Indonesien. Dort hat sich ein gemäßigter Islam etabliert, der zwar auch hier und da von indonesischen Islamisten angegriffen wird, bisher aber der islamistischen Bedrohung gut Stand gehalten hat. 54 % von ca. 250 Millionen Indonesiern sind muslimischen Glaubens, trotzdem geht es dort in vieler Hinsicht recht liberal zu und die verschiedenen Glaubensgemeinschaften kommen ganz gut miteinander aus (ca. 14 % der Indonesier sind Christen).  Indonesien ist ein gutes Vorbild für die übrige islamische Welt. Eine Reise nach Djakarta lohnt sich und sei es, um dort Leng Yein aus Hong Kong zu treffen, die dort immer mal wieder als DJ oder Model unterwegs ist. :-)  

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