Nach seinem Erfolg vor Gericht darf Donald Trump wieder mit dem Zollhammer drohen und will zugleich andere Handelshemmnisse mit der EU überwinden. Und wenn der US-Präsident mit Zöllen kommt, beginnen Europas Linke plötzlich den Freihandel zu lieben.
Nachdem US-Präsident Donald Trump am vorigen Freitag angekündigt hatte, die Einfuhrzölle auf Produkte aus der EU ab dem 1. Juni von 10 Prozent auf 50 Prozent anzuheben, weil er der Meinung war, dass die Verhandlungen nicht ausreichend vorankommen, hat er diese Drohung am Wochenende sofort wieder zurückgenommen. Nach einem Telefonat mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte er, dass die bereits gewährte Aussetzung bestimmter Handelszölle bis zum 9. Juli bestehen bleibe. Damit gibt es noch viel Zeit für Verhandlungen.
Letzte Woche hat die Europäische Kommission ihre Wachstumsprognose für die Eurozone für 2025 drastisch nach unten korrigiert und dies mit den weltweiten Handelsspannungen begründet, die durch die umfassenden Zölle von US-Präsident Donald Trump ausgelöst würden. Sie geht nun davon aus, dass die Eurozone 2025 lediglich ein Wachstum von 0,9 Prozent verzeichnen wird, was einem deutlichen Rückgang gegenüber der zuvor prognostizierten 1,3 Prozent entspricht. Grund dafür sind „die sich abschwächenden Aussichten für den Welthandel und die erhöhte Unsicherheit in der Handelspolitik“.
Neben den 25-prozentigen Zöllen auf Stahl-, Aluminium- und Autoimporte kündigte Trump am 2. April einen 20-prozentigen Zoll auf die meisten EU-Waren an. Seine „Pause“ bedeutet, dass die Zölle erst im Juli in Kraft treten, aber genau wie die Waren aus anderen Ländern unterliegen EU-Importe nun einem „Basiszoll“ von 10 Prozent.
„Die EU ist in vielerlei Hinsicht gemeiner als China“
Während die Vereinigten Staaten bereits Vereinbarungen zur Lockerung der US-Zölle mit dem Vereinigten Königreich – ein erster großer Erfolg für den Brexit – und China getroffen haben, wurde mit der Europäischen Union noch keine solche Vereinbarung erzielt.
Obwohl Trump die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, als „fantastisch“ bezeichnet hat, hat er auch die EU scharf kritisiert und erklärt: „Sie haben uns sehr unfair behandelt. (...) Sie verkaufen uns 13 Millionen Autos. Wir verkaufen ihnen keine. Sie verkaufen uns ihre Agrarprodukte. Wir verkaufen ihnen praktisch keine. Sie nehmen unsere Produkte nicht ab. Damit haben wir alle Trümpfe in der Hand.“
Er fügte sogar hinzu: „Die Europäische Union ist in vielerlei Hinsicht gemeiner als China, aber wir haben gerade erst angefangen. Oh, sie werden noch viel nachgeben. Sie werden schon sehen.“ Ob das der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Trump musste seine Haltung gegenüber China nach Marktturbulenzen und höheren Kreditkosten für die USA deutlich abschwächen. Die EU hat mit Sicherheit auch eine Reihe von Trümpfen in der Hand.
Ein Brief von Trump
Ein positives Zeichen ist jedenfalls der Brief, den die Trump-Regierung geschickt hat, in dem sie sich zu Verhandlungen bereit erklärt. Zuvor hatte die Europäische Kommission eine Liste möglicher Zugeständnisse vorgelegt, darunter die Lockerung bestimmter Vorschriften und einen Vorschlag zur gemeinsamen Eindämmung der chinesischen „Überproduktion“.
Ende April legte die Europäische Kommission außerdem eine Liste möglicher Einfuhrzölle im Wert von fast 100 Milliarden Euro vor. Betroffen wären unter anderem Flugzeuge, Personenkraftwagen, medizinische Geräte, Chemikalien und Kunststoffe sowie eine ganze Reihe von Agrarprodukten. Bourbon und andere Spirituosen stehen trotz des Widerstands von Wein produzierenden Ländern wie Frankreich und Italien, die Vergeltungsmaßnahmen befürchten, erneut auf der Liste.
Eine weitere Option, die noch diskutiert wird, ist eine Steueroffensive gegen US-Big-Tech-Konzerne. Damit würde die Wettbewerbspolitik der Europäischen Kommission für Handelskriegszwecke instrumentalisiert, ohne dies offen zu sagen. Frankreich drängt darauf, Deutschland blockiert derzeit jedoch. Auch ein Rechtsstreit vor der Welthandelsorganisation (WTO) steht im Raum, obwohl die WTO keine Möglichkeit hat, Trump zu einem Kurswechsel zu zwingen. Vorerst droht die EU jedoch nur mit Vergeltungsmaßnahmen im Bereich der Waren und nicht der Dienstleistungen, wie etwa Big Tech oder Wall Street.
Interessanterweise drängen die EU-Mitgliedstaaten die Europäische Kommission jetzt, bis nach dem NATO-Gipfel im Juni von Vergeltungsmaßnahmen gegen Donald Trumps Zölle abzusehen. Sie betrachten eine Einigung mit dem amerikanischen Präsidenten über die mittelfristige Sicherheit Europas als vorrangig. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni versucht, ihren Teil dazu beizutragen. Es gelang ihr, den US-Vizepräsidenten JD Vance und von der Leyen zusammenzubringen. In diesem Rahmen erklärte Vance, er sei hoffnungsvoll hinsichtlich „langfristiger Handelsvorteile“ zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten.
Es steht viel auf dem Spiel. Laut dem Thinktank Bruegel könnte ein No-Deal-Szenario zwischen den USA und der EU das BIP der USA um 0,7 Prozentpunkte und das der EU um 0,3 Prozentpunkte schrumpfen lassen. Die europäischen Unternehmen sind nervös. Fredrik Persson, Präsident von BusinessEurope, sagte: „Wir sollten die zollfreien Vereinbarungen beibehalten, die unsere Unternehmen in Schlüsselbranchen wie Luft- und Raumfahrt, Spirituosen und Medizinprodukte unterstützen.“
„Die Verhandlungen nicht den Bürokraten überlassen“
Angesichts der Schnelligkeit, mit der Trump Zugeständnisse an China gemacht hat, ist es von größter Bedeutung, dass die europäische Führung hier geschickt vorgeht. Frühere Äußerungen von Vertretern der Europäischen Kommission, wie die Drohung von von der Leyen, Zölle auf US-Digitaldienste zu erheben, sollten den europäischen Regierungen klar machen, dass sie diese wichtigen Verhandlungen nicht der EU überlassen sollten. Ende April erklärte Bernard Arnault, Europas reichster Mann und CEO des Luxusimperiums LVMH: „Die europäischen Länder sollten versuchen, diese Verhandlungen zu führen, und sie nicht den Bürokraten überlassen.“ Er drohte, im Falle eines Handelskrieges die Aktivitäten seines Unternehmens in die USA zu verlagern, und machte dafür auch europäische Vorschriften verantwortlich, die den Unternehmen mehr schaden als nützen.
Robin Brooks vom Brookings Institute hat darauf hingewiesen, wie effektiv China Trump zu einer Kehrtwende bewegt hat, und erklärt: „Chinas ultimative Vergeltungsmaßnahme war schon immer die Abwertung des Yuan, nicht Zölle oder Exportkontrollen. China hat die Abwertung nach der Einführung der gegenseitigen Zölle am 2. April sehr effektiv eingesetzt und damit die Voraussetzungen für die Deeskalation geschaffen, die wir jetzt sehen.“ Dies zeigt im Grunde genommen, dass die EU in den Verhandlungen mit Trump viel erreichen kann und diese Chance nicht ungenutzt lassen sollte.
Eine der wichtigsten Forderungen der USA an die EU ist nicht so sehr eine Senkung der EU-Zölle, sondern die Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse (Anm. d. Red.: indirekte protektionistische Beschränkungen), obwohl die USA selbst viele solcher Hemmnisse haben. Dies ist eigentlich ein großer Vorteil für die EU, da viele ihrer nichttarifären Handelshemmnisse erst kürzlich in Form von Umweltvorschriften eingeführt wurden. Diese sind nicht nur für Handelspartner ein Ärgernis, sondern auch für die Europäer selbst. Sie aufzugeben, ist daher kein schmerzhaftes Zugeständnis.
Neue bürokratische Auflagen für Importe
Der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz beispielsweise will, dass die EU ihre CSDDD-„Due-Diligence“-Vorschriften aufgibt, die Unternehmen verpflichten, alle Arten von Nachhaltigkeitsvorschriften entlang ihrer gesamten Lieferkette (Anm. d. Red.: das sogenannte „Lieferkettengesetz“, das gerade verschoben wurde) zu überprüfen. Diese Vorschriften sind vielen Handelspartnern ein Dorn im Auge und stellen zudem eine weitere bürokratische Hürde dar, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas beeinträchtigt. Für Merz geht die zuvor gewährte Verschiebung nicht weit genug.
Die US-Handelsbehörde USTR kritisiert lautstark bestimmte europäische nichttarifäre Handelshemmnisse, beispielsweise die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR), die neue bürokratische Auflagen für Importe von Produkten wie Vieh, Kakao, Palmöl und Kautschuk vorsieht. Sie argumentiert, dass dies die US-Agrar- und Industrieexporte jährlich 8,6 Milliarden Dollar kosten werde. Die umstrittene EU-Verordnung musste aufgrund von Protesten sowohl aus der EU selbst als auch von Handelspartnern bereits um ein Jahr verschoben werden.
Diese Art von Gesetzgebung ist ein gutes Beispiel dafür, wie die EU versucht, ihren Handelspartnern regulatorische Entscheidungen aufzuzwingen und damit gute Handelsbeziehungen zu untergraben. Zunächst waren es die südostasiatischen Palmölexporteure Malaysia und Indonesien, die sich darüber beschwerten. Diese Länder halten es für besonders unfair, dass die EU trotz der Tatsache, dass Nichtregierungsorganisationen ihnen eine erhebliche Verringerung der Entwaldung attestiert haben, mit anderen, eigenen Maßstäben misst.
Wieder mehr Freihandel?
Und das, obwohl die jüngste Fassung des malaysischen Standards zur Bekämpfung der Entwaldung MSPO sogar strenger ist als der europäische. Bald wird die Europäische Union (EU) entscheiden, ob malaysisches Palmöl als „geringes Risiko“ für die Abholzung eingestuft wird. Da Trump die Abschaffung solcher handelsverzerrenden nichttarifären Handelshemmnisse fordert, könnten einige in der EU vielleicht erwägen, das Ganze ganz zu streichen, da eine Begünstigung der USA in dieser Frage andere Handelspartner zu Recht verärgern könnte.
Im Allgemeinen sind linke europäische Politiker nicht besonders von der Abschaffung dieser Art von kleinlicher protektionistischer Bürokratie begeistert und haben sogar vorgeschlagen, als Reaktion darauf den gemeinsamen Protektionismus der EU und der USA gegenüber China zu verstärken. Ihr Einfluss wurde jedoch durch die Wähler der EU bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im letzten Jahr drastisch reduziert, wie wir an der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den mittigen und konservativen Kräften dort sehen können.
Die Europäische Kommission ist jedoch offen für Diskussionen über die Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse. Da die Kommission kürzlich Handelsabkommen mit Ländern wie Indien, den Philippinen, Malaysia, Thailand und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgenommen oder wieder aufgenommen hat, scheint das „Trump Derangement Syndrome“ diesmal tatsächlich positive Ergebnisse zu bringen. Nicht nur die Linken nähern sich dem Thema Freihandel an, auch die Europäische Kommission scheint sich wieder mehr auf ihre Kernaufgabe zu konzentrieren – die Öffnung des Handels. Optimismus ist eine moralische Pflicht.
Pieter Cleppe war Leiter des Brüsseler Büros des Think Tanks „Open Europe“. Er schreibt regelmäßig für Rundfunk- und Printmedien in ganz Europa und diskutiert häufig über die EU-Reform, die Flüchtlingskrise und die Eurokrise. Der gelernte Jurist war zuvor in Belgien als Rechtsanwalt tätig und arbeitete als Kabinettberater und Redner des belgischen Staatssekretärs für Verwaltungsreform.