Tamara Wernli / 19.01.2017 / 15:30 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 7 / Seite ausdrucken

Einfach nur die Schnauze halten

Selbstverständlich kann man an der festlichen Amtseinführung eines Präsidenten ein Lied über das Lynchen singen – das ist etwa so passend, wie wenn Gainsbourg & Birkin ihren Stöhn-Hit "Je t'aime" an der Geburtstagsfeier des Papstes zum Besten geben würden.

Aber von vorne: Was haben die Amtseinführung von Donald Trump und das Dschungelcamp gemeinsam? Nur, wer seinen Auftritt mit Gründen der Publicity rechtfertigen oder die Gage dringend brauchen kann, nimmt an der Show teil, so scheints. Kein einziger Weltstar hat sich bereit erklärt, Mr. President ein Ständchen zu singen – es treten auf: Jackie Evancho, eine America’s Got Talent-Teilnehmerin, ein Mormonenchor und die Tanzgruppe The Rockettes. Immerhin bot sich Trumps Erzfeind, Hollywood-Schauspieler Alec Baldwin, an: "Ich möchte an Trumps Amtseinführung performen, und zwar 'Highway to Hell' von AC/DC", schrieb er auf Twitter. Opernstar Andrea Bocelli sah sich gemäss Mail on Sunday gezwungen, die Anfrage nach Erhalt von Todesdrohungen abzulehnen (und nicht wie ursprünglich berichtet aus Furcht vor einem Fan-Boykott).

Dafür rückte Rebecca Ferguson ins Rampenlicht. Die britische Sängerin ("Nothing's Real but Love") sagte, sie würde auftreten – unter der Bedingung, den Song "Strange Fruit" singen zu dürfen. "Strange Fruit" wurde um 1939 aus Protest gegen Lynchmorde in den Südstaaten geschrieben und enthält Zeilen wie "Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel" oder "Ein schwarzer Körper baumelt im Südstaatenwind". Team Trump hielt das offenbar für ungünstig – wenig später zog Ferguson ihre Zusage zurück und twitterte: "Ich wollte Strange Fruit singen, weil das der einzige Song war, der meine künstlerische Integrität nicht kompromittieren würde. Als jemand, der viel Liebe hat für alle Menschen, besonders aber für Afroamerikaner und die Black lives matter-Bewegung, wollte ich einen Moment der Pause kreieren, damit die Leute nachdenken können."

Die Weltretter haben ihren freien Tag

Gewiss, berühmte Menschen haben das Recht, die Vergesslichen und Verstandlosen unter uns Normalos zum Nachdenken über vergangene Verbrechen oder künftige Staatsmänner zu bewegen, so wie sie das Recht auf Selbstüberschätzung haben. Nur gibt es Rechte, die man vernünftigerweise nicht in Anspruch nimmt – wie etwa eine Show für seine persönlichen Zwecke zu missbrauchen oder das Publikum seiner simplen Unterhaltung zu berauben. Kaum treten sie vor Massenmedien auf, ziehen Stars heute gewohnheitsmässig ihr Predigergewand über und drängen der Welt ungefragt ihre politischen und idealistischen Botschaften auf; Meryl Streep, George Clooney, Lady Gaga et cetera, alle wurden sie im Laufe ihrer Karriere zu Heiligen, die es zu ihren Pflichten zählen, das Publikum zu erziehen und uns mitzuteilen, wie gut sie sind – und wie schlecht alle anderen.

Die Weltretter haben ihren freien Tag – und entgegen ihrer tief verankerten Überzeugung wird es den Grossteil der Zuschauer freuen. "Stars müssen endlich erkennen, dass sich niemand dafür interessiert, was sie über Trump denken", fasste es Schauspieler Mark Wahlberg vor einigen Wochen im Magazin Task & Purpose zusammen. "Viele in Hollywood leben in einer Blase. Sie sind realitätsfremd gegenüber den Sorgen normaler Leute, des Durchschnittstypen, der täglich seine Familie ernähren muss. Stars sollten nicht über Politik reden."

Oder, frei nach Kinski: „Halten Sie die Klappe, Sie haben hier keine Funktion im Augenblick.“

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

netiquette:

Dominik Manegold / 20.01.2017

Danke für diesen Text. Reiche und Prominente haben nunmal andere Probleme, als der junge Arbeitnehmer unter Mindestenslohn.

Rainer Kaufmann / 20.01.2017

Gibt es eine Statistik, wie viele der Stars ihre Ankündigung umgesetzt haben, nach Kanada umzusiedeln, die amerikanische Staatsbürgerschaft abzulegen, nach Europa auszuwandern… -für den Fall, dass Trump die Wahl gewinnt. Oder ist es im Reservat in Bel Air doch zu angenehm?

Florian Bode / 20.01.2017

Jun’ichiro Tanizaki sagt zu Recht in “Lob des Schattens”,  dass Schauspieler ob ihrer Schauspielkunst beurteilt und bewundert werden sollen. Ihr Meinung hier- und dazu sei häufig schlicht und immer irrelevant.

Anke Apelt / 20.01.2017

Ein ziemlich ignoranter Text wie ich finde und vor allem realitätsfremd. Noch heute werfen wir Künstlern vor, sich z.B. im Dritten Reich angepasst und nicht die Stimme erhoben zu haben, gegen die Politik der Menschenverachtung und Ausgrenzung. Rühmann, George und viel andere wurden später mit Recht moralisch verurteilt. Nicht zu reden von den vielen die sich in den Dienst der Regierung gestellt haben und später versuchten, sich als weltfremd und unpolitisch zu geben. Wer wenn nicht Personen der Öffentlichkeit, ja Idole von Millionen, können ein Beispiel geben für Zivilcourage und Durchblick, denn wenn man dies allein den Journalisten überläßt, ist man, wie man sieht, einem Meinungsdiktat unterworfen. Wehret den Anfängen. .

Ursula Singh / 20.01.2017

Liebe Frau Wernli, offensichtlich verstehen Sie irgend etwas falsch. Es geht weder um “Welt retten” noch um links oder rechts. Es geht darum, ein Zeichen zu setzen gegen einen unanständigen Machtmenschen/Egomanen, der sich nicht schämt, einen Behinderten lächerlich zu machen, der rücksichtslos seiner Geldgier frönt, der heute so und morgen anders redet, der alle Andersdenkenden/ Frauen/Farbigen demütigt. Es hat nichts mit Parteipolitik zu tun, sondern mit Anstand, Respekt und Integrität. Meine Selbstachtung würde mir, wenn ich denn überhaupt wichtig oder populär genug wäre, ebenfalls verbieten, jetzt die Brosamen aufzulesen, die vielleicht unter den Tisch dieses Wichtigtuers fallen. Ich persönlich würde mich vielleicht später - wer weiss - schämen, mich angebiedert zu haben. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Let’s hope!

Peter Groepper / 20.01.2017

Danke. Mir aus der Seele gesprochen!

Peter Pertz / 19.01.2017

“Musik ist keine Lösung” von Alligatoah. Mehr ist nicht zu sagen nur anhören.

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