Vera Lengsfeld / 22.03.2007 / 12:56 / 0 / Seite ausdrucken

Eine Reise in die Antarktis (4)

Winterinsel. Antarktis und Politik

Auf der Winterinsel, wo sich die britische Forschungsstation Base F befand, die heuteein Museum ist, das von den Ukrainern der benachbarten Vernadskiy- Station betreut wird, begegne ich zum ersten mal den politischen Ansprüchen auf antarktisches Gebiet: „British Crown Land“ steht auf einem verwitterten Schild hinter dem Haus. Im entlegensten Teil der Welt, wirkt das nur noch absurd. Ob sich die Forscher und die Militärs, die in den vierziger und fünfziger Jahren hier bis zu fünf Jahren am Stück stationiert waren,  wirklich heimischer gefühlt haben, weil der Boden unter ihren Füßen zum Besitz der Krone erklärt worden war?Es war in den Entdeckerjahren durchaus üblich, das Land, auf dem Forschungsstationen errichtet wurden, zum Hoheitsgebiet des Staates zu erklären, der die Station betrieb. Außerdem leiteten die Staaten Gebietsansprüche auf die Territorien ab, die von ihren Forschern entdeckt wurden. Zu wirklichen Auseinandersetzungen kam es jedoch nur zwischen Chile und Argentinien, die sich als Anliegerstaaten der Antarktis betrachten und teilweise dieselben Gebiete beanspruchen. Um ihre Ansprüche zu untermauern, gingen beide Staaten Anfang der neunziger Jahre dazu über, auf ihre Forschungsstationen nur junge Ehepaare zu schicken, in der Hoffnung, dass im langen antarktischen Winter Kinder gezeugt würden, die, auf der Station zur Welt gebracht, als Argument für die Gebietsansprüche benutzt werden konnten.
Tatsächlich sind einige Kinder in der Antarktis zur Welt gekommen. Man gab diese Praxis aber bald wieder auf, weniger weil den Politikern der Zynismus ihrer Kampagne zu Bewusstsein gekommen wäre, sondern weil sie einfach zu viel Geld verschlang. Heute ist die Argentinische Station nur noch sporadisch besetzt.
Im Kalten Krieg gab es parallel zum Wettlauf der Systeme in das Weltall einen Wettlauf in die Antarktis. Diesmal gingen die Amerikaner als Sieger hervor und errichteten ihre Forschungsstation auf dem Südpol. Die Sovjets wollten im Gegenzug den magnetischen Südpol besetzen. Das erwies sich als unmöglich, weil der magnetische Pol im Jahr etwa elf Kilometer driftet.Also machten die Genossen sich in Motorschlitten auf zum so genannten Pol der Unzugänglichkeit , dem von den Ozeanen am   weitesten entfernten Punkt der Antarktis. Hier errichteten sie eine Forschungsstation, die aber nach kurzer Zeit wieder aufgegeben werden musste. Seitdem wachte eine Leninbüste in der grimmig kalten Einsamkeit, während der Staat, den er gegründet hatte, sich aus der Weltgeschichte verabschiedete, bis die Büste von einem kanadischen Forschungsteam Anfang diesen Jahres wieder entdeckt wurde. Immerhin hatte der Wettlauf der Systeme zum Südpol ein Gutes: beide Seiten realisierten, dass sie sich eine weitere Front im Kalten Krieg nicht leisten konnten. Es kam erst zum Internationalen Geophysikalischen Jahr, in dem 1957/58 in bisher beispielloser internationaler Zusammenarbeit von mehr als fünfzig Ländern auf einen Schlag mehr als sechzig Forschungsstationen auf dem antarktischen Festland und den antarktischen Inseln errichtet wurden. Da diese Stationen auf Territorien entstanden, die zum Teil von mehreren Staaten beansprucht wurden, musste man, um Streitigkeiten zu vermeiden, sich an einen Tisch setzen. Heraus kam 1959 der Antarktisvertrag, in dem erklärt wird, dass die Frage der Territorialansprüche unlösbar sei und deshalb alle Ansprüche für die Dauer der Gültigkeit dieses Vertrages ruhen. Dies könnte als erster Schritt hin zu einer terra communis, dem gemeinsamen Besitz der Antarktis sein, zumal der Vertrag verlängert und durch neue Unterzeichnerstaaten erweitert wurde. Allerdings gibt es nach wie vor alte und neue Besitzansprüche, besonders lateinamerikanischer Staaten, die aufrechterhalten werden für den Tag, an dem der Antarktisvertrag außer Kraft treten sollte. Woran man sieht, dass politische Vernunft sich nie ein für alle mal durchsetzt, sondern immer wieder eingefordert werden muß.

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