Vera Lengsfeld / 19.03.2007 / 14:40 / 0 / Seite ausdrucken

Eine Reise in die Antarktis (1)

In der südlichsten Stadt der Welt


Wer in die Antarktis will, muß zuerst nach Chile oder Argentinien. Ich flog nach den undurchschaubaren Regeln der Billiganbieter erst über Island und Grönland nach Newark, um dann über Houston nach Buenos Aires zu gelangen.Die Bewohner der Hauptstadt stammen wie im ganzen Land zu 80% von Immigranten ab und zwar von erfolgreich Integrierten. Darunter befinden sich drei Immigrationswellen aus Deutschland: Wirtschaftsflüchtlinge der zwanziger Jahre, den Nazis entkommene Juden und Kommunisten und schließlich Nazis, denen nach der Niederlage ihres Regimes der Bodenunter den Füßen in Deutschland zu heiß wurde.Wie zuvorkommend Fremde hier behandelt werden, erlebe ich schon bei meinem ersten Kneipenbesuch. Der Ober bringt mir zum bestellten Gin Tonic eine kleine Platte mit Leckereien, weil ich neu bin. Die Männer am Nebentisch schicken mir einen Willkommensdrink, als sich mein Glas sichtbar geleert hatte , als wäre ich zwanzig.
Als er das zweite mal an meinen Tisch kam, stellte sich Daniel vor und erzählte, dass er von Deutschen der ersten und zweiten Einwanderungswelle abstamme. Er war über das Geschehen im Land seiner Eltern gut informiert und empfahl mir, nach Argentinien zu kommen, wenn ich genug vom neurotischen Deutschland hätte. Sein Land sei viel entspannter und auf einem guten Weg..Am nächsten Morgen flog ich nach Ushuaia der südlichsten Stadt der Welt. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts befanden sich hier nur ein Dorf mit 800 Einwohnern und eine Strafkolonie. Als damals ganz in der Nähe ein Passagierschiff in Seenot geriet und evakuiert werden musste, konnten nicht alle 1200 Passagiere im Dorf untergebracht werden. Man räumte kurzerhand das Gefängnis und brachte die Schiffbrüchigen in den Zellen unter.Ähnlicher Pragmatismus prägt die neuere Entwicklung der Stadt.
In den Siebzigern wurde der Ort zum Freihafen erklärt und von allen Steuern befreit. Damals gab es hier 1200 Ansässige. Dreißig Jahre später ist Ushuaia eine boomende Stadt mit 60000Einwohnern. Tendenz immer noch steigend. Häuser werden ohne Baugenehmigung auf staatliches Land gebaut, dafür aber mit einer schlittenartigen Unterkonstruktion versehen. Beansprucht der Staat das Land für ein Bauvorhaben, wird das Haus einfach weiter geschoben.In jüngster Zeit siedelte sich wegen der Steuerprivilegien vor allem elektronische Industriean, zusätzlich kam der Tourismus in Schwung. Über 50000 Touristen ziehen im antarktischenSommer durch die Stadt. Als ich mich einschiffe, verlässt gerade die Yacht von Bill Gates den Hafen. Auf seinem weg nach Kap Horn hatte Gates gerade in seiner südlichsten Konzern-Dependance nach dem Rechten geschaut.Wer nicht geschäftlich hier ist, kann den südlichsten Nationalpark der Welt besuchen. In den Vierziger Jahren hatten die Häftlinge der Strafkolonie ganze Hänge vollständig abgeholzt. Dadurch entstanden riesige Sukzessionsflächen, die jetzt vom Südbuchenwald zurückerobert werden.
Weil die Nationalparkgründer anfangs das Gefühl hatten, ihren Gästen mehr bieten zu müssen, als die karge Natur Patagoniens, importierten sie Biber und Hasen. Was den Touristen spitze Entzückensschreie entlockt, ist für die Nationalparkbetreiber längst zum Problem geworden: Biber und Hasen haben sich rasant vermehrt und richten viel Schaden an.Man denkt schon über Beseitigungsmaßnahmen nach. Immerhin hat man aus dem Debakel gelernt. Inzwischen dürfen weder Tiere noch Pflanzen, weder Samen noch Früchte nach Patagonien eingeführt werden, um das empfindliche Ökosystem nicht weiter zu stören.

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