Peter Grimm / 20.11.2017 / 15:10 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 8 / Seite ausdrucken

Eine Regierung der großen Koalition ohne große Koalition?

Dass die Gespräche über eine Jamaika-Koalition scheitern, war ja nicht sonderlich überraschend, aber Zeit und Art schon. Insofern ist der FDP ein kleiner Coup gelungen. Beim Versuch, aus der bisherigen Gemengelage ein Drehbuch des Jamaika-Scheiterns zu prognostizieren, hatte ich erwartet, es werde die CSU sein, die sich das Image einer konsequenten Haltung gegen schwarz-gelb-grüne Kompromisse anheftet.

Zudem – so die Prognose – würde das erst geschehen, wenn insgeheim schon die Brückenköpfe zur nächsten Regierung gelegt sind, beispielsweise einer schwarz-roten Koalition ohne Merkel. Der könnte die SPD ohne Gesichtsverlust zustimmen, allerdings vielleicht erst nach dem Verlust des glücklosen Vorsitzenden Martin Schulz.

Auch andere Fragen waren noch zu klären: Wer sollte Kanzler sein und wer hätte das in der CDU gegenüber Mutti durchgesetzt? Dazu hätten sich die Jamaika-Gesprächspartner noch ein paar Wochen lang jeden Tag gemeinsam auf irgendeinem Balkon ablichten lassen müssen. Wenn kalte Wintertage nahen, ist das durchaus ungemütlich.

Schade ist, dass uns so vielleicht ein paar innovative Kompromissformulierungen entgangen sind. Die „atmende Obergrenze“ bei der Zuwanderung war ja schon kein schlechter Beitrag. Ich hätte gern die Forderung nach einem klimaneutralen Familiennachzug ins Spiel gebracht, aber dafür scheint es nun zu spät zu sein. Aber vielleicht auch nicht, denn jetzt kann ja alles beim Alten bleiben.

Das verständliche Frohlocken mancher Bürger in Erwartung der Chance, noch einmal mit neuen Kandidaten wählen zu dürfen, ist sicher verfrüht. Denn wenn sich all die Parteien, die in den letzten Legislaturperioden mitregiert haben, auch auf keine Regierung mehr verständigen können, so wollen sie doch Neuwahlen um jeden Preis vermeiden. Das will erklärtermaßen auch Bundespräsident Steinmeier und ohne seine Zustimmung kann es bekanntlich keine Neuwahlen geben. Er kann dem Bundestag eine Kanzlerkandidatin zur Wahl vorschlagen oder zunächst auch die amtierende Bundesregierung im Amt belassen. Das wäre für alle Beteiligten vielleicht die schönste Option.

Kein klimaneutraler Familiennachzug

Es gäbe eine Regierung der großen Koalition ohne große Koalition. Die SPD könnte mitregieren und gleichzeitig in der Opposition sein. Sigmar Gabriel könnte weiterhin das inzwischen liebgewonnene Amt des Außenministers genießen und die Kanzlerin regiert ohnehin am liebsten an Bundestag und Kabinett vorbei. Und wenn es ganz hart kommen sollte, hätte die amtierende Bundesregierung immer noch eine parlamentarische Mehrheit aus CDU/CSU und SPD. Das Ausnahmezustandsgefühl, das die Kanzlerin gern verbreitet, um ihren Selbstermächtigungen einen Anschein von Legitimität zu verleihen, böte ihr eine solche Übergangsregierung zudem.

Das hätte sie allerdings auch, wenn sie sich, mit Hilfe des Bundespräsidenten, in Nachkriegsdeutschlands erste Minderheitsregierung hieven ließe. Die Erwartung mancher Zeitgenossen, eine Minderheitsregierung würde einen Zuwachs an parlamentarischer Debatte bedeuten, weil die Bundesregierung ihre Mehrheiten im offenen Diskurs erringen muss, ist möglicherweise zu optimistisch. Selbst als sich die Kanzlerin parlamentarischer Mehrheiten sicher sein konnte, umging sie das Parlament in grundsätzlichen Fragen gern. Über ihre schicksalshaften Entscheidungen in der Zuwanderungspolitik hat der Deutsche Bundestag nie wirklich abgestimmt.

Doch genug der vagen Prognosen. Fest steht nur, es wird keinen klimaneutralen Familiennachzug geben. Dabei wäre die Formel zu schön: Klingt unheimlich grün und ist in der Wirkung ein Zuzugsstopp. Vielleicht sollte man generell über eine klimaneutrale Zuwanderungspolitik diskutieren? Und kommen nicht bei der Überfahrt übers Mittelmeer sogar Dieselmotoren zum Einsatz?

Dieser Text erschien auch auf sichtplatz.de

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Patrick Kaufhold / 20.11.2017

Der klimaneutrale Familiennachzug gefällt mir weit besser als die atmende Obergrenze. Sehr schön formuliert. Danke!

Günter Schaumburg / 20.11.2017

Ein Bonmot erster Klasse: Klimaneutraler Familiennachzug. Muss man auch erst ‘mal draufkommen.

Peter Beil / 20.11.2017

Ich würde gern im drittletzten Absatz das Wort Legitimität durch Legalität ersetzen,

Rudolf George / 20.11.2017

Von der CSU habe ich mir gar nichts mehr versprochen. Horst Seehofer hat dies mit seinem erneuten Bekenntnis zu Angela Merkel wieder unter Beweis gestellt: er wird als Gröbevoaz (größter Bettvorleger aller Zeiten) in die Geschichte eingehen.

Mathias Pregartbauer / 20.11.2017

Großartiger Artikel mit der richtigen Dosis Ironie. Aber man kann über Frau Merkel und Ihr System schreiben/sagen was msn will: Als priviligiert in der DDR sozialisiert weiß sie das Kritik an einer, jetzt ihrer Regierung und Person nur das Bellen des Hundes vor dem Mond ist, also nichts was die politische Kaste tangieren müsste. Folglich eird Sie niemals freiwillig zurück treten. Sie muss weggeputscht werden, aber, sp frsgt der Autor zu Recht, wer sollte diese Maßnahme ins Werk setzen?

Jochen Brühl / 20.11.2017

Das mit dem klimaneutralen Familiennachzug ist eine Herausforderung, zumindest dann, wenn man bedenkt, dass die nachziehenden Personen aus vergleichsweise warmen Ländern kommen und man hier vergleichsweise viel Heizenergie aufwenden muss, um sie am Leben zu erhalten. Da hätte man sehr viel an Rückführungsprogrammen als Klimaaisgleich fahren müssen, wenn man denn die Pässe dafür hätte. Alles sehr viel Konjunktiv und daher ist das Scheitern von Jamaika gut.

Karla Kuhn / 20.11.2017

“Und kommen nicht bei der Überfahrt übers Mittelmeer sogar Dieselmotoren zum Einsatz?”  Keine Sorge, die Grünen werden schon den passenden E Motor fürs Schlauchboot finden. Ich komme mir vor wie im Theater in einem schlechten Stück. Am besten aufstehen und gehen, nicht ich, nein. Frau Merkel und Co. Dann kann man das Stück vielleicht noch bis zum Ende anschauen ??

Sepp Kneip / 20.11.2017

Die SPD hatte zwei Kosequenzen zu ziehen nach den Verlusten bei der Bundestagswahl. Eine hat sie gezogen. Sie erklärte sich nicht mehr bereit, erneut eine GroKo einzugehen. Die zweite Konsequenz hat sie nicht gezogen, Martin Schulz, den Grund des schlechten Ergebnisses, abzulösen. Nach dem Jamaika-Aus wird man an die “staatspolitische Verantwortung” der SPD appelieren, doch einer Großen Koalition beizutreten. Das geht wohl sicherlich nicht mit Herrn Schulz. Die derzeitige Situation wirft ein grelles Schlaglicht auf die personelle Misere in der politischen Welt Deutschlands. Niemand ist da, den man auf Anhieb zum Kanzler, oder Kanzlerin, machen möchte. Es fehlt an Leuten mit Charisma und Bürgernähe. Nur, wenn gute Leute mit Gewalt von Führungsaufgaben ferngehalten und die Schaltstellen mit Luschen bestzt werden, wie sollen sich denn dann diejenigen, die es könnten, profilieren? Merkel verstand sich auf das Wegbeißen solcher Leute ganz beonders. Dennoch, der in Bezug auf Merkel immer wieder zu hörende Satz: “Wer soll es denn sonst machen?” war und ist unsinnig. Man kann nicht jemanden, der soviel Schaden angerichtet hat, weiter machen lassen. Es hat schon oft Fälle gegeben, bei denen sich Leute, die ins kalte Wasser geworfen wurden, sehr schnell frei schwimmen konnten. Seltsam ist übrigens, dass man die drittstärkste Fraktion im Bundestag nie in irgendwelche Überlegungen einbezogen hat. Zwar hat Lindner auch mächtig auf die AfD eingedroschen. Dennoch dürfte er mit dieser Partei mehr Schnittmengen haben, als mit den Grünen. Nach langer Zeit würde eine MItte/Rechts-Regierung ohne Merkel Deutschland sicher gut tun.

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