Im öffentlichen Meinungsbild trägt die AfD einen moralischen Makel, weil sie vom rechten Rand kommt. Das BSW trägt demgegenüber eher einen Heiligenschein, weil es vom linken Rand kommt. Würden die beiden miteinander können?
Bundeskanzler Scholz und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz haben Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf Bundesebene ausgeschlossen. Als Grund gaben sie deren Ablehnung der militärischen Unterstützung der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland an. Diese Unterstützung ist für die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik zentral und ja auch die gemeinsame Linie der Europäischen Union und der NATO. Insoweit ist die grundsätzliche Ablehnung einer solchen Koalition folgerichtig. Aber was bedeutet das für die deutsche Politik?
Bundesweit liegt das BSW in den Meinungsumfragen gegenwärtig bei sieben bis acht Prozent. Da die Partei sehr jung und offenbar im Aufschwung ist, könnten es auch deutlich mehr werden. Der Aufschwung des BSW ging teilweise zu Lasten der AfD. Diese erreicht gleichwohl in den Umfragen stabil 17 bis 18 Prozent. Zusammen haben diese beiden russlandfreundlichen und migrationskritischen Parteien einen Stimmenanteil von 25 Prozent mit Zuwachsmöglichkeit nach oben. Da aber die AfD jenseits der von den anderen Parteien errichteten politischen „Brandmauer“ steht, schrumpfen damit die künftigen Koalitionsmöglichkeiten.
Wer mit wem?
Ein realer Machtwechsel könnte so unmöglich werden. Gegenwärtig hätte die CDU/CSU in einem neu gewählten Bundestag weder mit der SPD noch mit den Grünen eine parlamentarische Mehrheit, und der Wiedereinzug der FDP ist ungewiss. So könnte es sein, dass ein Bundeskanzler Merz zusammen mit der SPD oder den Grünen (und im schlimmsten Fall mit beiden) jene Stagnation weiterverwalten muss, die in der bleiernen Merkel-Zeit das Land ergriffen hat. Schuldenbremse und Indolenz beim Sparen würden sich in diesem Fall wirksam ergänzen: Eine grundlegende Reform des Bürgergeldes, eine wirksame Begrenzung der Zuwanderung in den Sozialstaat, ein leistungsgerechtes Steuersystem, ein Abbau von Bürokratie und Verwaltungswasserköpfen in den Ministerien würden weiter auf der Strecke bleiben, weil SPD und Grüne dagegen sind. Die Infrastruktur würde wegen Geldmangels vor sich hin bröseln und die Ertüchtigung der Bundeswehr auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden, weil SPD und Grüne sich bei den Ausgaben und die CDU/CSU bei der Einhaltung der Schuldenbremse durchsetzen.
In den östlichen Bundesländern wird, solange die politische Brandmauer gegen die AfD steht, überhaupt keine Regierungsbildung mehr ohne das BSW möglich sein: In Sachsen liegt die AfD nach der Wahl miti 30,6 Prozent einen Hauch hinter der CDU, in Thüringen ist sie mit 32,8 Prozent stärkste Kraft, in Brandenburg stehen demnächst Landtagswahlen an, und laut Umfragen ist die AfD ebenfalls größte Partei. Das BSW erreichte in Sachsen 15, in Thüringen 15,8 Prozent. Nur mit dem BSW zusammen hätten die amtierenden Ministerpräsidenten bzw. die CDU die Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit, die die AfD in die Opposition verweist.
Dem BSW sitzt die AfD im Nacken
Welchen Preis wird das BSW dafür verlangen, beziehungsweise kann Sahra Wagenknecht eine solche Regierungsbeteiligung ein Jahr vor der Bundestagswahl überhaupt recht sein? In ihren beiden politischen Hauptanliegen – der Beendigung der Waffenlieferungen an die Ukraine und dem Stopp der weiteren asylbedingten Zuwanderung – könnte das BSW auf Landesebene mangels Zuständigkeit gar nichts bewegen, würde aber sofort eingebunden in die Kompromisszwänge des täglichen Regierungskleinkleins. Der politische Preis des BSW für eine mögliche Regierungsbeteiligung in ostdeutschen Ländern wird deshalb hoch sein. Schließlich sitzt ihr ja dort auch mit weitgehend ähnlichen Themen die AfD im Nacken.
Im öffentlichen Meinungsbild trägt die AfD einen moralischen Makel, weil sie vom rechten Rand kommt. Das BSW trägt demgegenüber eher einen Heiligenschein, weil es vom linken Rand kommt. Tatsächlich sind beide Parteien in ihren politischen Kernaussagen zu Migration und Ukrainekrieg weitgehend deckungsgleich. Ihre Wähler wissen das. Es wäre nicht überraschend, wenn die politische Brandmauer zuerst beim Verhältnis von BSW und AfD bröseln würde. So könnte eine neue wahrhaft explosive „Volksfront“ entstehen. Dazu müsste die AfD die Kraft aufbringen, sich stärker von rechtsextremistischem Gedankengut abzugrenzen. Ob ihr dies gelingt und ob sie das überhaupt will, ist gegenwärtig ungewiss.
Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche