Thilo Sarrazin / 03.09.2024 / 06:00 / Foto: Achgut.com / 90 / Seite ausdrucken

Eine neue Volksfront?

Im öffentlichen Meinungsbild trägt die AfD einen moralischen Makel, weil sie vom rechten Rand kommt. Das BSW trägt demgegenüber eher einen Heiligenschein, weil es vom linken Rand kommt. Würden die beiden miteinander können?

Bundeskanzler Scholz und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz haben Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf Bundesebene ausgeschlossen. Als Grund gaben sie deren Ablehnung der militärischen Unterstützung der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland an. Diese Unterstützung ist für die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik zentral und ja auch die gemeinsame Linie der Europäischen Union und der NATO. Insoweit ist die grundsätzliche Ablehnung einer solchen Koalition folgerichtig. Aber was bedeutet das für die deutsche Politik?

Bundesweit liegt das BSW in den Meinungsumfragen gegenwärtig bei sieben bis acht Prozent. Da die Partei sehr jung und offenbar im Aufschwung ist, könnten es auch deutlich mehr werden. Der Aufschwung des BSW ging teilweise zu Lasten der AfD. Diese erreicht gleichwohl in den Umfragen stabil 17 bis 18 Prozent. Zusammen haben diese beiden russlandfreundlichen und migrationskritischen Parteien einen Stimmenanteil von 25 Prozent mit Zuwachsmöglichkeit nach oben. Da aber die AfD jenseits der von den anderen Parteien errichteten politischen „Brandmauer“ steht, schrumpfen damit die künftigen Koalitionsmöglichkeiten. 

Wer mit wem?

Ein realer Machtwechsel könnte so unmöglich werden. Gegenwärtig hätte die CDU/CSU in einem neu gewählten Bundestag weder mit der SPD noch mit den Grünen eine parlamentarische Mehrheit, und der Wiedereinzug der FDP ist ungewiss. So könnte es sein, dass ein Bundeskanzler Merz zusammen mit der SPD oder den Grünen (und im schlimmsten Fall mit beiden) jene Stagnation weiterverwalten muss, die in der bleiernen Merkel-Zeit das Land ergriffen hat. Schuldenbremse und Indolenz beim Sparen würden sich in diesem Fall wirksam ergänzen: Eine grundlegende Reform des Bürgergeldes, eine wirksame Begrenzung der Zuwanderung in den Sozialstaat, ein leistungsgerechtes Steuersystem, ein Abbau von Bürokratie und Verwaltungswasserköpfen in den Ministerien würden weiter auf der Strecke bleiben, weil SPD und Grüne dagegen sind. Die Infrastruktur würde wegen Geldmangels vor sich hin bröseln und die Ertüchtigung der Bundeswehr auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden, weil SPD und Grüne sich bei den Ausgaben und die CDU/CSU bei der Einhaltung der Schuldenbremse durchsetzen.

In den östlichen Bundesländern wird, solange die politische Brandmauer gegen die AfD steht, überhaupt keine Regierungsbildung mehr ohne das BSW möglich sein: In Sachsen liegt die AfD nach der Wahl miti 30,6 Prozent einen Hauch hinter der CDU, in Thüringen ist sie mit 32,8 Prozent stärkste Kraft, in Brandenburg stehen demnächst Landtagswahlen an, und laut Umfragen ist die AfD ebenfalls größte Partei. Das BSW erreichte in Sachsen 15, in Thüringen 15,8 Prozent.  Nur mit dem BSW zusammen hätten die amtierenden Ministerpräsidenten bzw. die CDU die Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit, die die AfD in die Opposition verweist.

Dem BSW sitzt die AfD im Nacken

Welchen Preis wird das BSW dafür verlangen, beziehungsweise kann Sahra Wagenknecht eine solche Regierungsbeteiligung ein Jahr vor der Bundestagswahl überhaupt recht sein? In ihren beiden politischen Hauptanliegen – der Beendigung der Waffenlieferungen an die Ukraine und dem Stopp der weiteren asylbedingten Zuwanderung – könnte das BSW auf Landesebene mangels Zuständigkeit gar nichts bewegen, würde aber sofort eingebunden in die Kompromisszwänge des täglichen Regierungskleinkleins. Der politische Preis des BSW für eine mögliche Regierungsbeteiligung in ostdeutschen Ländern wird deshalb hoch sein. Schließlich sitzt ihr ja dort auch mit weitgehend ähnlichen Themen die AfD im Nacken.

Im öffentlichen Meinungsbild trägt die AfD einen moralischen Makel, weil sie vom rechten Rand kommt. Das BSW trägt demgegenüber eher einen Heiligenschein, weil es vom linken Rand kommt. Tatsächlich sind beide Parteien in ihren politischen Kernaussagen zu Migration und Ukrainekrieg weitgehend deckungsgleich. Ihre Wähler wissen das. Es wäre nicht überraschend, wenn die politische Brandmauer zuerst beim Verhältnis von BSW und AfD bröseln würde.  So könnte eine neue wahrhaft explosive „Volksfront“ entstehen. Dazu müsste die AfD die Kraft aufbringen, sich stärker von rechtsextremistischem Gedankengut abzugrenzen. Ob ihr dies gelingt und ob sie das überhaupt will, ist gegenwärtig ungewiss.

 Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Stephan Bender / 03.09.2024

Interessant! ... Auch Thilo Sarrazin lebt also in einer Welt, die es schon länger nicht mehr gibt. Er holt die Leute dort ab, wo sie nie waren. Die iranisch-stämmige Kommunisten-Uschi aus dem Hause Lafontaine als maßgeschneidertes Rosa-Luxemburg-Imitat wird nicht lange überleben, denn auch ihr fehlt das politische Format, welches über eine Persönlichkeitsneurose hinaus geht.

Talman Rahmenschneider / 03.09.2024

Die SPD wird bei der BTW genauso abschmieren. Taurus nein - wir sind erleichtert. Dann aber vielleicht doch, aber auf jeden Fall atomar bestückbare Tomahawk. Rentner leiden, aber wir schieben es in die Ukraine, einen korrupten Staat ohne Verhandlungsbereitschaft, der natürlich auch schonmal ins russische Inland ballert. Die Hälfte der Bevölkerung hat die richtigen Lehren aus WKI und II gezogen, die andere Hälfte checkt es nicht, denn sonst wäre die CDU mit untergegangen, zumal sie in der Opposition nicht darauf drängt, dass der terroristische Sabotageakt auf NS aufgeklärt wird und sich einen Kiesewetter leistet. Wir haben überhöhte Gaspreise - Leute leiden - aber wir klären das nicht auf und verkaufen Märchen von 15m langen Segelbooten und neuartigen Tauchern, die immun gegen Caissonkrankheit sind. Der ganze Schwachsinn lässt die Regierung wie einen Ballon kollabieren. Schuld sind die Medien. Wer ihnen noch was abkauft, wählt die Scheinalternative CDU.

Sabine Heinrich / 03.09.2024

Machen wir uns doch nichts vor: Wenn das Bündnis Sahra Wagenknecht nicht so eine attraktive Vorsitzende hätte, sondern z.B. einen S.K. (Prinzen) , der genau das Gleiche sagen würde wie sie - die Partei würde unter “Andere” laufen. Bündnis Sebastian Krumbiegel - hmmm - ich weiß nicht!

Talman Rahmenschneider / 03.09.2024

“rechtsextremistischem Gedankengut”. Wer im Glashaus sitzt, Kopftuchmädchen, oder. Ist es nicht nur, was jeder immer mal denkt und somit Allgemeingut, also Populismus und mehr nicht? Es wird nur hergenommen, weil was nicht Plebs sein will, sondern artiger Intellektueller oder grüne Journalistin, darauf abfährt wie auf Schmierseife. Im Grunde ging es immer nur um den Euro und jetzt Russland, also um Bares. Es würde mich interessieren, was die AfD in Regierungsverantwortung daraus gestalten könnte, ohne dass die USA hier einen BK anstoßen, der in einen Krieg einmündet. Es geht also um die Banken, das ist alles. Aber mit “rechtsextrem” kann man eine Menge Leute abschrecken. Und da das - sagen wir FIAT-System - gefährdet ist von AfD, Trump, Putin und den BRICS, sind die alle extrem rechtsextrem. Lassen Sie doch die AfD mal mitregieren! Dann sehen wir, ob sie melonisiert wird, nicht wahr. Alles nicht so heiß gegessen wie gekocht. Man lässt sie aber nicht. Ideen dazu? Es gibt auch echte Probleme. Z.B. wenn man kurz vor einem Abkommen steht, und die - ich lass das Subst. mal aus - bringen sechs wunderschöne junge Leute um und zwar, weil sie Juden sind.

Talman Rahmenschneider / 03.09.2024

@ Justus Liebig: Genau. Ich würde das auch gern mal erklärt und mit Beispielen unterlegt haben. Die Autoren können sich problemlos im ersten Absatz Wikipedia bedienen. Ergo hätte ich gern jene Auszüge aus Reden und zwar nicht aus Reden, die über zehn Jahre alt sind. Sie renovieren gerade bei mir um die Ecke. Einer parliert bayrisch, die anderen divers. Gewiss musste sich auch die AfD an Notwendigkeiten anpassen. Notwendig sind aber nicht reichlich arbeitslose, integrationsunwillige Geschenke zum Durchfüttern. Und dass eine satte Mehrheit eine Beendigung des Krieges im Osten und eine Verhandlungslösung wünscht, davon aber die Hälfte nicht die AfD wählt und zwar nur zu diesem Zweck, ist erstaunlich. Denn dieser Krieg ist die größte Gefahr. Alles andere scheint mir sekundär.

Bärbel Witzel / 03.09.2024

Unser Land ist so gespalten, eine Wiedervereinigung hat gar nicht stattgefunden. Ich sehe unser Land am zerbröseln. Eine echte Demokratie kann nur vor Ort stattfinden. “Demokratie im Dorf vor dem aus?” Inzwischen sind auch viel Kommunen pleite. Die Strukturen Deutschland, so wie sie jetzt sind, halten eine echte Demokratie nicht stand.

Hjalmar Kreutzer / 03.09.2024

Von welchem „rechtsextremistischen Gedankengut“ müsste sich die AfD distanzieren? Direkte Demokratie? Neutralität? Deutsche Politiker vertreten zuerst die Interessen des deutschen Volkes? Sozialleistungen, Sozialwohnungen vorrangig für Deutsche und Förderung bevorzugt deutscher Wirtschaft und deutscher Familien? Raus aus EUdSSR und NATO? Ausstieg aus dem Klimaschwindel? Ausstieg aus der Energie- und Mobilitätswende? Weltanschauliche Neutralität der Behörden und Bildungseinrichtungen? Oder wird hier einfach nur der mediale Mainstream a la Bettina Schausten nacherzählt?

Harald Hotz / 03.09.2024

Es wäre schon originell, wenn sich BSW und AFD zu einer “Volksfront für die Wiederherstellung des demokratischen Diskurses” zusammenschließen könnten. Schließlich steht ihnen ja auch eine Phalanx von Amtsinhabern, Postenverwaltern, Staatszuwendungsempfängern und Gesprächsverweigerern gegenüber, die sich zunehmend zu einer Front gegen das Volk, die Meinungsfreiheit, die freie Entfaltung des Individuums, gegen jede Zukunft in Wohlstand und Freiheit entwickelt.- Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, und das, ohne wenn und aber - nicht nur dann, wenn es “hilfreich” ist - darauf sollte man sich eigentlich doch leicht einigen können.- Mag ja sein, daß die Union es irgendwann schafft, sich von der “Merkelbande” zu trennen, und irgendwann wieder in einen offenen politischen Diskurs eintreten kann, aber das kann noch einige Wahlniederlagen dauern.

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