Thilo Schneider / 19.09.2023 / 06:25 / Foto: Tim Maxeiner / 46 / Seite ausdrucken

Eine neue Partei gründen? Ratgeber für die Ochsentour

Es wird gerade wieder viel von der Gründung neuer Parteien geredet. In anderen Ländern sind solche Newcomer längst erfolgreich und teilweise sogar an der Regierung. Warum ist es in Deutschland so schwer, eine neue Partei zu etablieren? Hier ein kleiner Führer von einem, der bei so einer Ochsentour dabei war.

Viele warten darauf, keiner weiß aber, wann es geschehen soll: Die sogenannte „Wagenknechtpartei“ käme laut Umfragen locker auf Anhieb über die Fünf-Prozent-Hürde. Warum also dauert das so lange?

Eine Parteigründung ist vom Grunde her ganz einfach, wenn einige Spielregeln bei der Gründung beachtet werden. Grundsätzlich ist die Gründung einer Partei gemäß Grundgesetz Artikel 21, Absatz 1, Satz 2 frei. Die einzige Bedingung ist, dass die neue Partei in ihrer „inneren Ordnung demokratischen Grundsätzen entspricht.“ Diese sind im Parteiengesetz genau geregelt. Wichtig ist bei der Gründung, dass ein Gründungsvertrag geschlossen wird, der den Willen der Beteiligten, eine Partei zu gründen, dokumentiert.

Zu dieser Parteigründung selbst braucht es, da sich das Parteienrecht an das Vereinsrecht anlehnt, wenigstens fünf Mitglieder. Diese Mitglieder müssen „natürliche Personen“ sein, juristische Personen und Körperschaften können keine Partei gründen. Es soll hier ein dreiköpfiger Vorstand in einer freien und geheimen Wahl gewählt werden, ferner zwei weitere Personen für ein Schiedsgericht. Unter fünf Personen ist keine Parteigründung möglich. Ferner müssen die Personen im Vorstand mehrheitlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Sobald nun die neue Partei besteht und der Vorstand demokratisch gewählt wurde (und dies, inklusive der Verwahrung und Archivierung der Stimmzettel ordnungsgemäß dokumentiert wurde), geht es an die Entwicklung und den Beschluss eines Grundsatzprogramms. Welche Ziele hat die neue Partei und wie will sie sie erreichen? Wichtig: Sie muss den Willen haben, eine „längerfristige Vertretung des Volkes auf Bundes- oder Länderebene“ anzustreben. Damit sind kommunale Wahlgemeinschaften und Bürgerinitiativen nicht vom Parteienrecht erfasst.

Enthusiasmus für Protokolle

Nach §4 des Parteiengesetzes muss sich die neue Partei in ihrer Namensgebung deutlich von bereits bestehenden Parteien unterscheiden. Die jetzt zu beschließende Satzung schafft die inneren demokratischen Spielregeln in der Partei. Sie muss enthalten: Name, Kurzbezeichnung und Sitz der Partei, Aufnahme, Austritte, Pflichten und Rechte der Parteimitglieder, Zusammensetzung und Befugnisse des Vorstands, Einberufung von Mitglieder- und Vertreterversammlungen, Organe, die zur Einreichung von Wahlvorschlägen befugt sind und natürlich eine Finanzordnung, wie beispielsweise die Höhe der Mitgliedsbeiträge.

Aus der eigenen Erfahrung weiß ich, dass es vor allem Kleinparteien mit der eigenen Satzung nicht ganz so genau nehmen, wenn es gute innere Gründe gibt, dagegen zu verstoßen. Beispielsweise die kurzfristige (48 Stunden) Absage eines Parteitags, zum einen wegen angeblicher Coronagefahr, zum Zweiten wegen der weiten Anreise der meist älteren Mitglieder und zum Dritten wegen eines unangenehmen Konkurrenten um den Parteivorsitz. Aber wo kein Schiedsgericht, da keine Klage und tatsächlich steht ja auch die Frage im Raum, ob man einen Bohei um den abgesagten Parteitag einer Partei machen soll, die weniger Mitglieder als der örtliche Kleingartenverein hat.   

Sind nun alle Unterlagen beisammen, muss der Bundeswahlleiter darüber informiert werden, dass es hier eine neue Partei gibt. Einzureichen sind: Die Satzung und das Programm der Partei, die Namen der Vorstandsmitglieder und der Landesverbände (sofern die neue Partei welche hat) und die Angabe der einzelnen Funktionen. Ebenfalls benötigt wird das Gründungsprotokoll, aus dem sich Satzung und Programm ergeben und das Protokoll über die demokratische und freie Wahl des Vorstands. Dieses Protokoll wiederum muss vom Parteivorsitzenden oder seines Stellvertreters und zwei weiteren Vorstandsmitgliedern handschriftlich unterzeichnet sein.

Wer je auch nur einen Ortsverband einer Partei gegründet hat, weiß, wie viel Enthusiasmus bereits das Erstellen der entsprechenden Protokolle kostet. Außerdem müssen dem Bundeswahlleiter die Hausanschrift, die Telefon- und (tatsächlich) Telefaxnummen sowie die E-Mail-Adressen mitgeteilt werden. Das ist übrigens noch keine offizielle Anerkennung einer Parteieigenschaft – die Information des Bundeswahlleiters dient lediglich der Dokumentation, dass es eine neue Partei gibt. Die Parteieigenschaft wird jeweils durch die örtlichen Behörden und Gerichte im Einzelfall entschieden, ohne Bindungswirkung für andere Parteigliederungen. Das zuständige Finanzamt entscheidet über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Tatsächlich sind Barspenden verhasst, denn der Weg vom Öffnen des Geldbeutels bis auf die Verbuchung auf dem Parteikonto und die Abstimmung über die Verwendung ist lang und nervenaufreibend und sorgt gelegentlich für Ärger.

Formulare für Mutige

Die Partei steht, der Bundeswahlleiter weiß Bescheid, jetzt geht es los mit der Bundestagswahl. Jedenfalls fast. Denn jede Partei, die nicht bereits im Bundestag oder in einem Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten ist, muss nun dem Bundeswahlleiter bis zum 97. Tag vor dem Wahltag schriftlich anzeigen, dass sie an der Wahl teilnehmen möchte. Jetzt entscheidet der Bundeswahlausschuss, ob er die Partei als Partei im rechtlichen Sinne anerkennt. Ist dies der Fall, so ist die Partei berechtigt, sowohl mit einem Direktkandidaten („Kreiswahlvorschlag“), als auch mit einer Landesliste anzutreten. Wie eine richtige Partei.

Die größte Hürde folgt aber jetzt: Denn nun wird der Bedarf nach einer neuen Partei abgefragt. Jeder Direktkandidat braucht 200 „Unterstützerunterschriften“, die Landesliste 2.000 „Unterstützerunterschriften“. Jede Partei, die diese Unterschriften beibringen kann, kann an einer Bundes- oder Landtagswahl teilnehmen. Für diese Unterstützerunterschrift existiert für jeden Wahlkreis ein entsprechendes Formular, auf dem der Unterstützer seinen Namen und seine Anschrift vermerkt sowie, tatsächlich, selbst unterschreibt. Hiermit soll geprüft werden, ob der Unterstützer das Wahlrecht für die entsprechende Wahl besitzt, sonst gilt die Unterschrift nicht. Außerdem muss der Unterstützer aus dem gleichen Wahlkreis stammen wie der Direktkandidat.

Ich habe solche Unterstützerunterschriften gesammelt – und gerade die namentliche Nennung nebst Adresse ist bereits eine riesige Hürde, denn der Wähler „outet“ sich somit als Unterstützer, und viele Menschen haben Angst, dass ihnen eine offizielle Unterstützerunterschrift eines Tages und unter einem anderen Regime irgendwann auf die Füße fällt. Die Formulare mit den Mutigen, die sich offiziell bekannt haben, wandern nun nämlich an die Städte und Gemeinden der Unterschreiber, auf denen sie beglaubigt werden müssen, dass der Unterzeichner das Wahlrecht für die entsprechende Wahl hat. Das macht die Unterschriftensammlungen in kleinen Orten, in denen jeder jeden kennt, besonders charmant und aufwendig.

Sind nun alle Formulare vollzählig und komplett (und wieder beglaubigt an die Partei zurückgesendet worden), gehen diese nun zur Zählung an den Landeswahlleiter, möglichst komplett (allerdings ist nicht jede Gemeinde mit dem Prozedere vertraut, eine hiesige, gar nicht so kleine Gemeinde, schickte die Formulare statt an die Partei an die Unterzeichner zurück, was zu einigermaßen großem Durcheinander führte…). Erst wenn der Landeswahlleiter nun die Korrektheit und Mindestanzahl der Unterstützerunterschriften bestätigt hat, erscheint der Name der Partei und ihres Direktkandidaten auf dem Stimmzettel.

Und schon kann es losgehen.

 

Thilo Schneider, Jahrgang 1966, freier Autor und Kabarettist im Nebenberuf, LKR-Mitglied seit 2021, FDP-Flüchtling und Gewinner diverser Poetry-Slams, lebt, liebt und leidet in der Nähe von Aschaffenburg.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Uwe Elschner / 19.09.2023

es ist ja so, dass diejenigen Länder, welche und als Vorbild gelten sollen, in Hinsicht Demokratie, nur jeweils 2 Parteien zulassen, also Pest oder Cholera aber wir werden “bunt” beschossen m.E, nur divide und impera, nichts anderes, so können Wahlen nie etwas verändern

h.j.keub / 19.09.2023

Parteien gab es schon als es noch Pferdedroschken gab. Heutzutage fährt so mancher Zeitgenosse mit hunderten von Pferden unter der Haube herum. Bleibt die Frage ob uns im hinblick auf das regiert werden denn absolut nichts besseres einfällt.

Thomas Szabó / 19.09.2023

Neue Parteien gründen, wozu? Das ergäbe nur dann einen Sinn, wenn man auch neue Wähler gründen könnte. (Für neue Wähler für eine neue Partei sorgen bisher nur die Linken. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine islamische Partei gegründet wird.) Man möchte z.B. eine neue Partei gründen, weil man die AfD nicht wählen möchte. Und welche Wähler sollen diese neue Partei wählen? Anonyme, geheime Wähler, die bisher versteckt im Untergund lebten? Oder etwa die bösen AfD-Wähler? In dem Fall ist es einfacher die AfD neu zu streichen, wie damals die SED. Die Frage lautet, welche Wähler soll eine neue Partei ansprechen?

Jörg Themlitz / 19.09.2023

Herr Schneider, etwas mehr Enthusiasmus und Unternehmertum! Mit Ihrem Wissen gründen wir BfP GmbH (Büroservice für Parteigründungen GmbH) für jede politische und unpolitische Richtung. “Geld stinkt nicht”. Damit die Sache für die Parteien rund wird und wir nicht nur auf einem Fuß stehen, gründen wir noch: MeP GmbH (Miete ein Parteimitglied GmbH) und MeW GmbH (Miete einen Wähler GmbH). Nach kurzem Nachdenken werden wir wohl mit MeP und MeW GmbH bei den Parteien der Nationalen Front besonders Kohle scheffeln können. Mit Sicherheit erhalten wir dann jede Menge Steuerkohle aus dem Fond Demokratievernichtungsgesetz oder so ähnlich. ...und dann Tschüss Aschaffenburg. “Lieber barfuß am Strand als mit dem Mercedes auf Arbeit”

F.Bothmann / 19.09.2023

Es gibt in D ein Parteienverhinderungsgesetz, kurz „Parteigesetz“ genannt. Wir sind jetzt im dritten Jahr nach Parteigründung und sicherlich mehr als 50% der Kapazitäten gehen in die Organisation und die sog. Rechtssicherheit“ nach Parteigesetz. Wir leben in und bezahlen eine Scheindemokratie in D.

Ludwig Luhmann / 19.09.2023

Dank künstlicher Intelligenz wird diese mühselige Demokratiefarce bald der Vergangenheit angehören. Außerdem ist der genetisch uneditierte Mensch ein Auslaufmodell. Der einzig wahren Zukunft gehört die Zukunft!

Armin Reichert / 19.09.2023

Das Regime unterstützt natürlich jegliche Zersplitterung der (einzigen) Opposition. Wie dumm muss man sein, um diesen Typen auf den Leim zu gehen?

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