Rainer Bonhorst / 17.10.2019 / 11:00 / Foto: Pixabay / 22 / Seite ausdrucken

Eine messerscharfe Bayernkunde

Aus aktuellem Anlass, und weil ich eine Schwäche für Auslandsberichterstattung habe, biete ich hier eine kleine Bayernkunde an. Klein ist die Bayernkunde, weil sie mir nur begrenzt zusteht. Als gebürtiger Nürnberger („man muss dem lieben Gott für alles danken, auch für Ober-, Mittel- und Unterfranken“ – altbayerische Volksweisheit) habe ich keinen Anspruch auf wahres Bayerntum. Im Ruhrgebiet sozialisiert („wat bisse, Schalke oder Borussia?“) habe ich mich auch sprachlich in Richtung „Saupreißen“ entfernt. Als langjähriger Augsburger, also Lernschwabe (woisch?) bin ich dem Altbayerischen nur geografisch näher gerückt. Aber ich will trotzdem dieses Stück Volkskunde wagen. Es geht immerhin um ein ethnologisch relevantes Artefakt, genauer: um das bayerische Trachtenmesser.

Nach dieser etwas persönlich geratenen ersten Einführung in bayerische Besonderheiten, hier nun der aktuelle Anlass: Der Niederbayer Hubert Aiwanger („Oywonger“) hat mit seiner ebenso schweren und wie lockeren Zunge gesagt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau in der Tasche ein Messer haben dürfte. 

Das war erstklassiges Shit-Storm-Material. Der Chef der Freien Wähler, Staatsminister und stellvertretende Ministerpräsident wurde umgehend zum „Crocodile Hubert“ und zum „Messer-Aiwanger“ umgetauft. Auch zum niederbayerischen Donald Trump, der ja seinerseits Amerika für sicherer hält, wenn jeder eine Schusswaffe tragen dürfte. Mit der Lappalie Messer befasst sich der amerikanische Präsident gar nicht erst.

Ich will mich in diese heikle Sicherheits-Debatte nicht hineindrängen. Vielmehr möchte ich auf die volkskundliche Dimension hinweisen, die beim Aiwanger-Gate fast unbemerkt zutage trat. Schließlich sieht die altbayerische Männertracht eigens einen Aufenthaltsort für ein Messer vor. Die traditionelle Lederhose verfügt am Hosenbein über eine Scheide, die geradezu nach einem Messer schreit. Heute schreit sie meist vergebens, denn die Scheide bleibt leer. 

Den Bayern das Messer aus der Hose nehmen

Aber die Tradition ist vorhanden, auch wenn sie nur noch bedingt lebt. Und Messer-Aiwanger steht nicht allein. Vor ihm hat sich schon Ludwig Thoma, dieser literarische Ober-Bayer, mit dem Trachten-Messer dichterisch auseinandergesetzt. In seinem Text „Agricola“ hat er frei nach der „Germania“ des alten Tacitus die Bewaffnung seiner Bayern beschrieben. Dabei wies er besonders darauf hin, wie vergeblich die Obrigkeit schon seit ewigen Zeiten versucht, den Bayern das Messer aus der Hose zu nehmen. Gelingt es doch mal, so steckt schon am nächsten Tag ein neues Messer in der Lederhosen-Scheide.

So weit Ludwig Thoma. Der Ordnung halber sei erwähnt, dass das bayerische Trachtenmesser bei weitem nicht die Dimension der Waffe hat, mit der Crocodile Dundee in New York eine ganze Räuberbande verscheuchte. Aber immerhin: Crocodile Hubert hat die Tradition auf seiner Seite, wenn auch kaum noch in der Lederhose der Gegenwart.

Und so bayerisch sich Messer-Aiwanger auch gibt, er kann sich mit dem gleichen Recht als Internationalist fühlen. Die Angehörigen eines anderen Bergvolks, die Schotten, tragen, wie einst die Bayern, ebenfalls ein Messer zu ihrer Tracht. Eine Tracht, auf die sie ebenso stolz sind wie das süddeutsche Bergvolk auf die seinige, um es landsmannschaftlich auszudrücken. Allerdings befindet sich das Messer der Kilt-Träger in Ermangelung einer Hose eine Etage tiefer, nämlich im Kniestrumpf. Aiwanger sollte seine Kritiker zu einem Trip in die Highlands einladen, wo sie sich vor Ort und wunderbar weltoffen über die volkstümliche Messerkunde informieren können. 

Ob die große bayerische Messer-Debatte auch für das Land nördlich des Weißwurst-Äquators, also nördlich der Main-Linie, irgendeine Bedeutung hat, kann ich nicht sagen. Allerdings finde ich, dass es den Bewohnern der norddeutschen Tiefebene nicht schadet, wenn sie ab und zu mit aktuellen Informationen über fremde Völker versorgt werden. 

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herbert binder / 17.10.2019

Ihr Beitrag, lieber Herr Bonhorst, hat mich an eine “wunderschöne” Filmszene aus dem Western “El Dorado” von Regisseur Howard Hawks denken lassen, in dem ein junger Mann, “Mississippi” genannt,  in einer fairen Auseinandersetzung seinem revolverbewehrten Kontrahenten mit…..dem Messer den Garaus macht. Er hat tatsächlich schneller “gezogen”. Aber das war weniger Notwehr - eher schon hohe Akrobatik, ein Ballett der [ungleichen] Waffen. Einfach ein cineastisches Vergnügen. Das Leben, nicht nur in Deutschland - aber besonders hier, ist alles andere als filmherrlich.

Andreas Bitz / 17.10.2019

Realitätsfremd. Auch der Aiwanger. Seit 2015 sind in der Handtasche aller Mädels bzw. im Auto wegen der vielen gefährlichen Hunde mindestens Tierabwehr=Pfefferspray, so heißt dies wirklich. Ein Verkaufsschlager. Ich bin immer mit dem Auto auf dem Weg zum Holzmachen (Axt) oder Gartenarbeit (mit Schweizer Gretel, ähnlich einer kleinen Machete). Der Irrsinn: Mit Messer als Syrer dürfen Sie Rg. Synagoge marschieren, Sie müssen nur Ihre Meinung “Allahu Akbar” frei und deutlich äußern, dann passiert: nichts. Kerzenhaltereinsatz (ohne “Allahu Akbar”) gegen fünf des Lokals Verwiesene (Hausrecht) und Sie bekommen eine Strafe wg. Körperverletzung von Südosteuropäern…

WOLF-D. SCHLEUNING / 17.10.2019

Ergänzend zu erwähnen: Der Kirpan der Sikhs

A.Lisboa / 17.10.2019

Ein scharfes, qualitativ hochwertiges Messer ist des Waidmanns bester Freund. Wie sonst sollte er sein Wildbret waidgerecht versorgen können? Die Arbeit des Jägers beginnt nach dem Schuss, das wissen die wenigsten, die gerne Wild essen. Der Hirschfänger, der in die Krachlederne ghört, diente früher auch dem Wilderer. Auf bayrischen Volksfesten gabs nach reichlich Biergenuß manchmal auch Messerstechereien, insbesondere die Niederbayern haben und hatten diesen Ruf. Meist ging es dabei natürlich um ein fesches Weiberleid. Im Vergleich zur täglichen Praxis der Merkelgäste seit 2015 war das alles jedoch fast immer harmlos, königlich bayrisches Amtsgericht. Der importierte Messerkult der Anhänger der Wüstenreligion wird auch den Freistaat nachhaltig ändern, man kann das jetzt schon sehen. Aber der Michl will es nicht sehen, er ist verfangen in der Romantik.

marc Stark / 17.10.2019

Und wieder unsterschwellig dieses dämlich Pseudo-Argument das Schusswaffen töten. Nein, es tötet derjeniege der sie benutzt! Was wäre wohl jeweils in Halle passiert, wenn der Täter nicht so dilettantisch gewesen wäre. Im Fall A hat keiner der gefangenen Insassen hat eine Waffe und im Fall B hätten ein paar beherzte Mensche eine Waffe getragen… in welchem Fall wäre die Opferzahl höher gewesen? Die Schwiez hat überigens ein fast so lockeres Waffengesetz wie die USA. Trotzdem ist die Schweiz nicht gerade wegen ihre Gewalt berüchtigt. Das dürfte wohl daran liegen, das die meisten Waffenbesitzer dort brave Steuerzahler sind und keine Gang-Member! Waffen töten nicht, Menschen tötet!  Und von einem Verbot lassen sich Kriminelle wohl kaum einschüchtern! Wohl aber derjeniege der nur im alleräussersten Notfall eine Waffe benutzen würde!

Detlef Dechant / 17.10.2019

Bei uns in der Familie ist es immer Tradition gewesen, ein größeres Taschenmesser mitzuführen. Man brauchte es immer, mal musste ein Bändchen abgeschnitten werden, oder beim Gang durch den Garten musste Messer angelegt werden, für die Brotzeit gebraucht, ein Stock für die Kinder geschnitten, ein Nagel entfernt, und und und. Ich kann nicht erinnern, dass irgendwann einmal in meinem Umfeld ein Gegenüber verletzt wurde. Die einzigen Schäden entstanden durch fehlerhafte Nutzung bei einem selbst. Und was wird danach verboten? Brauche ich bald einen Waffenschein, wenn ich mit meinem Werkzeugkoffer, der einige “Mordinstrumente” beinhaltet, dem Nachbarn zu Hilfe eile?

A.Lisboa / 17.10.2019

Der Main ist nicht der Weißwurstäquator, sondern die Donau!

Gereon Stupp / 17.10.2019

Solange der Michel sein Verhalten davon abhängig macht, was ihm erlaubt ist oder nicht, wird er immer der Michel bleiben.

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