Richtig, ein guter Artikel - dennoch sollte der freiheitlich-demokratische Machtanspruch menschliche Anständigkeit und Taktgefühl nicht ausschließen: dazu gehört, andere nicht in ihrem Wichtigsten kränken zu wollen, und die Karikaturen waren(!) kränkend und geschmacklos. Zwar müssen sie erlaubt sein, dennoch muss im Sinne des Satzes, dass meine Freiheit endet, wo die des Anderen anfängt, neu über den Umgang mit den religiösen Sensibilitäten anderer Leute, egal welcher Konfession, nachgedacht werden.
Ich bekenne, ich bin nicht Charlie, ich heiße nicht Müller. Und mich macht auch die massenhaft ausgegebene Parole traurig. Warum? Ich bin nicht Charlie, aber ich bin Jude, spätestens seit dem Gemetzel an betenden Juden in Israel. Ich hätte es wohltuend empfunden, hätte es diese Welle der Solidarisierung schon viel früher gegeben. Oder ist das Zerhacken von friedlich betenden nichts ahnenden Menschen etwa kein Angriff auf die Freiheit aller? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum haben es die jetzt so zahlreich strömenden Massen damals überwiegend mit einem Achselzucken nur zur Kenntnis genommen, ohne aufzustehen, ja, nicht einmal dann, als die dafür verantwortliche Hamas von der Terrorliste genommen wurde? Kann mir das einer erklären? Ich verstehs nicht. Und, es wurden übrigens nicht nur Mitarbeiter von Charlie Hebdo getötet. Da war doch noch was anderes? Keine Frage, es ist schauerlich, wenn Menschen einfach dahingemetzelt werden, nur weil sie zT schauerliche Karikaturen gemalt haben, deren Geschmacklosigkeit auch durchaus zu Zahlreichen Protesten hätte Anlass geben dürfen. Aber eben nicht mehr als das. Aber da sind auch noch Menschen abgeschlachtet worden, die gar nichts gemacht haben, die einfach nur sie selbst waren, sie waren Juden. Und wenn man auch das Grauen von solchen Taten nicht relativieren sollte, so finde ich das zweite noch grauenvoller, noch empörender. Und Je suis Charlie lässt das einfach unter den Tisch fallen. warum? Weil da einfach NOCH EIN je suis fehlt. Je ne suis pas Charlie. Ich bin heute Jude. Und ich bin stolz darauf. Ich habe nur ein ganz klein bisschen Schiss, ob ich das als Deutscher eigentlich darf. Aber wenn es sonst keiner macht. Einer muss ja den Anfang machen, oder?
Glückwünsch: Ihr Artikel über den nicht ganz so neuen Machtanspruch der Islamisten umfasst über 900 Wörter, doch Wörter wie “Islam”, “Islamisten” oder “Moslems” kommen darin nicht vor. Zufall oder Kalkül? Mich erinnert das an “Harry Potter”. Dort trauen sich viele Protagonisten nicht, den Namen von Lord Voldemort (das personifizierte Böse) auszusprechen und reden wie die Katze um den heißen Brei, wenn es um ihn geht. Auch möchte ich darauf hinweisen, dass der Terror in Paris nicht nur ein Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit war, sondern auch ein Anschlag auf das europäische Judentum. Vier französische Juden mussten in einem jüdischen Supermarkt sterben, nicht, weil sie den Propheten karikiert und damit den Islam beleidigt hatten, nein, sie mussten sterben, weil sie Juden waren. Sie starben aus demselben Grund wie die Millionen von europäischen Juden während des Holocaust. Sie starben aus demselben Grund wie die fünf Juden, die im vergangenen November in einer Jerusalemer Synagoge beim Beten ermordet wurden. Warum wird die judenfeindliche Motivation des Anschlags in Paris unterm Teppich gekehrt? Wenn, wie Sie schreiben, mit den Januar-Morden in Paris ein totalitärer Machtanspruch im Raum steht und die moderne pluralistische Gesellschaft darauf nur mit einem eigenen Machtanspruch antworten kann, dann wird die Gesellschaft nicht umhin kommen, als die dunkle Macht zu entzaubern, indem man sie zumindest schon mal beim Namen nennt, und Lord Voldemort ins Zeitalter der Aufklärung verhilft.
“Wenn eine wirklich große Umgruppierung der öffentlichen Aufmerksamkeit und der politischen Agenda ansteht, dann sollte man den Parteien, den Medien und den Menschen insgesamt Zeit geben, sich darauf einzustellen. Manche Position wird sich, unter dem Druck der Realitäten, ändern.” Das ist der einzige Punkt in dem Artikel, dem ich nicht zustimme, obwohl es mich freuen würde, wenn es so wäre. Es gab den 11. September. Es gab die Attentate in Spanien und England - mit viel mehr Toten als in Paris. Hat sich die Haltung der Politiker dadurch verändert? Es ist, glaube ich, die allgemeine Betroffenheit, die im Moment zu dem Gedanken verleitet, daß man tatsächlich beginnt, gewisse Themen offen zu diskutieren. Ich denke nicht, daß eine Veränderung von gestandenen Parteien ausgehen wird. Die Hoffnung liegt bei Neugründungen wie der AFD oder dem Volk.
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