Wolfram Weimer / 08.03.2009 / 12:12 / 0 / Seite ausdrucken

Eine Krise für die Armen

Aldi ist einer, McDonalds ist einer, Autofahrer sowieso. Krisengewinner. Während die Öffentlichkeit noch mit schlechten Nachrichten den Rausch der Tiefe erprobt, zeigen sich immer häufiger positive Überraschungsgeschichten der Wirtschaftskrise. Die Rede ist nicht von Insolvenzverwaltern, Pfandleihern und der FDP. Es sind viele Millionen Menschen, die rund um den Erdball den historisch beispiellosen Preissturz bei Öl und Gas genießen. Die Fahrt zur Tankstelle war vor einem Jahr ein Stresstest für Portemonnaie und Laune, heute wird sie zur Entspannungsübung. Da aber alle Rohstoffpreise fallen und die Nachfrage global schwächelt, haben Konsumenten diesen Krisengewinneffekt bei so vielen Produkten wie noch nie. Vom Auto über das Baumwollhemd bis zum Flachbildschirmfernseher…

Noch größer ist die Zahl der Menschen, denen der drastische Verfall der Nahrungsmittelkosten zugute kommt. Vor allem den Ärmsten. Die Preise für Mais und Sojabohnen haben sich binnen Jahresfrist glattweg halbiert, der Preis für Weizen und Hafer ist sogar gedrittelt. Obendrein war die globale Reisernte (auch hier helfen fallende Preise für Saatgut und Energie) überraschend gut und hat rekordverdächtige 683 Millionen Tonnen erbracht, so dass die Reispreise von fast 1000 Dollar je Tonne auf nur noch 600 Dollar gefallen sind. In vielen Regionen Afrikas und Asiens hat sich darum die Ernährungslage der Bevölkerung deutlich verbessert.
Pessimisten warnen zwar, dass dieser Effekt nicht von langer Dauer sein werde und die Folgen der Krise doch noch nach unten durchschlagen könnten. Bislang aber gilt: Erstmals profitieren die Ärmsten von einer großen Krise. Und zwar sowohl im Weltmaßstab wie im nationalen Rahmen. So haben alle Hartz-IV-Empfänger in Deutschland bei festen, ja sogar leicht steigenden Einkommen durch den deutlichen Preisverfall bei Grundgütern einen überraschenden Wohlstandszuwachs. Und selbst die Abwrackprämie nutzt im Wesentlichen dem ärmeren Teil der Bevölkerung.
Die Reichen hingegen werden diesmal überproportional getroffen. Vom Investmentbanker bis zum Ölscheich, vom Oligarchen bis zum Ferienimmobilienbesitzer, vom Aktionär bis zum Kunstauktionator sind sie alle von dramatischen Rückschlägen erfasst. Die Kapitalschmelze führt sogar insgesamt zu massiven Substanzverlusten in den reichen Gesellschaften des Westens, den Ölstaaten und rohstoffabhängigen Halbdiktaturen von Russland bis Venezuela.
Die sich ausbreitende Deflation bereitet insgesamt den Reicheren Sorgen, denn sie bestraft immer diejenigen, die etwas haben. Umgekehrt profitieren von ihr diejenigen am meisten, die sich kaum mehr als ihr täglich Brot leisten können. Das erklärt auch, warum alle von der „schlimmsten Krise seit Jahrzehnten“ reden, aber nirgends soziale Unruhen aufbrechen. Vor zwei Jahren hingegen – auf dem Höhepunkt des Booms der Reichen, da brachen in vielen Teilen der Welt Hungerrevolten aus, weil der reiche Norden nicht nur alle Preise trieb sondern am Ende auch noch Nahrungsmittel verfeuern wollte, um das Klima zu retten. Und so zeigt die Krise – bislang zumindest - doch eine gute Seite: Das Glück der Kleinen im Unglück der Großen.

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