Der Vergleich hinkt, sagt man hin und wieder. Falsch: Nicht der, jeder Vergleich hinkt. Das wird Jesus nicht gerne hören, denn er liebte Vergleiche, Luther nennt sie Gleichnisse. Doch hier gilt: Quod licet Iovi non licet bovi. Frei übersetzt: Was Jesus (dem Jupiter) erlaubt ist, ist Armin Rohde (dem Ochsen) nicht erlaubt. Der Schauspieler, von dem ich neulich (in meiner Eigenschaft als vierfacher Opa) eine wunderbare Lesung von Otfried Preußlers „Räuber Hotzenplotz“ hörte, hatte kürzlich folgenden Tweet (das ist das „Gezwitscher“ auf dem Kurznachrichtendienst Twitter) abgesetzt (gepostet):
„An sämtliche Auswahlgremien sämtlicher Kunstakademien: Sollte sich Sebastian Kurz jemals bei Ihnen bewerben – nehmen sie ihn auf um Himmels Willen, scheissegal was er vorlegt!“
Das Verständnis dieses Appells setzt einige Geschichtskenntnisse voraus. Er spielt auf einen Landsmann des österreichischen Bundeskanzlers (seit 18. Dezember 2017) Sebastian Kurz an, dessen Bewerbung um ein Studium als Kunstmaler die Wiener Kunstakademie im Oktober 1907 abgelehnt hatte. Der verkannte Künstler ging später nach Deutschland, nahm am Ersten Weltkrieg teil, wurde am 1. April 1924 wegen Hochverrats verurteilt, aber nicht ausgewiesen, und am 25. Februar 1932 zum Regierungsrat des Freistaates Braunschweig berufen, was automatisch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach sich zog; ergriff am 30. Januar 1933 als Reichskanzler die Macht im Deutschen Reich, wurde bald darauf dessen unumschränkter „Führer“, begann am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg und ließ im Holocaust sechs Millionen Menschen, vornehmlich Juden, umbringen, ehe er sich am 30. April 1945 eine Kugel in den Kopf schoss.
Rohdes Tweet geht davon aus, dass dieser Gang der Geschichte der Welt erspart geblieben wäre, hätte die Wiener Kunstakademie anders entschieden, und bittet nun inständig, bei Sebastian Kurz diesen Fehler gegebenenfalls nicht zu wiederholen. Diese Bitte ist nur verständlich, wenn man davon ausgeht, dass Rohde Sebastian Kurz einen ähnlichen Werdegang zutraut, wie wir ihn von Adolf Hitler kennen. Das ist starker Tobak oder einfach Satire, die nach Ignaz Wrobel alias Kurt Tucholsky alles darf – so es sich denn wirklich um eine solche handelt („Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine.“).
Vergleiche auf Krücken
Die Zahl möglicher Vergleiche ist groß, theoretisch sogar endlos. Nur eines ist absolut verpönt: Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Denn im Vergleich steckt eben „gleich“, was zwar nicht unbedingt gleich im strengen Sinn bedeutet, aber in einer bestimmten Beziehung muss Gemeinsamkeit gegeben sein. Nun mag es Vergleiche geben, bei denen diese Gemeinsamkeit jeweils so überzeugend ist, dass sie jeden Kritiker zum Schweigen verdammt. Doch solche Vergleiche gelingen nur großen Geistern, Meistern der Sprache wie Goethe, Thomas Mann oder Heinrich Lübke. Für normal Sterbliche gilt: Jeder Vergleich hinkt, der eine mehr, der andere weniger. Darin liegt geradezu sein Reiz.
Nazi-Vergleiche sind besonders beliebt. Und zwar nicht etwa, weil man dadurch das Gemeinte besonders treffend zum Ausdruck bringen kann, sondern aus drei ganz anderen Motiven:
- Einmal erregt man dadurch mit Sicherheit Aufmerksamkeit.
- Zum zweiten gehört man damit automatisch zu den Guten.
- Und drittens hat die Verwendung der „Nazikeule“ die Wirkung eines „Totschlagarguments“: Man bringt den Gegner garantiert zum Schweigen.
Deshalb und nur deshalb sind Nazi-Vergleiche nicht totzukriegen, mögen sie sich auch nur noch auf Krücken daher schleppen. Kostproben gefällig? Fangen wir doch gleich bei dem Rohde-Tweet an. Was sind die Gemeinsamkeiten zwischen Sebastian Kurz und Adolf Hitler?
- Beide sind/waren Österreicher.
- Beide sind/waren Regierungschefs (Bundeskanzler/Reichskanzler).
- Beide sind/waren „rechts“ (tatsächlich oder angeblich, was auch immer); auf jeden Fall hat Kurz mit Heinz-Christian Strache einen Mann „mit braunen Flecken“ zum Vizekanzler gemacht.
- Beide haben/hatten was gegen zu viele Ausländer im eigenen Land.
- Und wer weiß, was man bei tieferem Schürfen noch alles findet.
Alles ein bisschen vage oder? Vielleicht bleiben wir doch besser bei der Satire. Da ist Rohde, jedenfalls juristisch, auf der sicheren Seite. So wie Christian Ehring mit dieser Attacke gegen die AfD-Dame Dr. Alice Weidel, die die political correctness auf den Müllhaufen der Geschichte werfen möchte (mein Gott, was da schon alles liegt): „Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit. Lasst uns alle unkorrekt sein. Da hat die Nazi-Schlampe doch Recht!"
Für die Drecksarbeit haben wir Rohde und den WDR
Bei den Österreichern kommt noch eins hinzu. So wie wir den Juden den Holocaust nie verzeihen werden (Warum haben sie sich das gefallen lassen und uns dadurch zu Tätern gemacht?), so nehmen wir es den Österreichern bis zum Jüngsten Tag übel, dass sie uns ihren Landsmann aus Braunau nicht vom Leibe gehalten haben. Das haben wir schon gemeinsam mit den anderen, damals 13, EU-Staaten im Jahr 2000 deutlich gemacht, als der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel Jörg Haiders „rechtspopulistische“ Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ, dieselbe, der auch Strache angehört) an der Regierung beteiligte.
Jetzt fallen die offiziellen Reaktionen etwas moderater aus. Für die Drecksarbeit haben wir ja Rohde und den WDR, dessen Chefredakteurin Sonja Mikich in einem Tweet der Tagesthemen den 31-jährigen Basti kurzerhand zum „Pimpf“ machte. Pimpf ist, laut Wikipedia, „eine umgangssprachliche, scherzhaft bis abwertend konnotierte Bezeichnung für einen Jungen“. Weiter heißt es dann aber dort: „In der Zeit des Nationalsozialismus diente Pimpf ab 1933 als Dienstgrad für 10- bis 14-jährige Mitglieder des Deutschen Jungvolks. Nach bestandener „Pimpfenprobe“ durften sie zur Jungvolkuniform außer Diensthose, Lederkoppel mit Koppelschloss, Braunhemd, Halstuch und Lederknoten auch den Schulterriemen und das HJ-Fahrtenmesser tragen.“ Also noch einer dieser beliebten Nazi-Vergleiche.
Natürlich wollte sich Mikich damit nicht auf eine Stufe mit dem AfD-Mann Steffen Königer stellen, der auf dem Parteitag Anfang Dezember 2017 folgendes ausführte: „Vom Kindergarten bis zum Abitur werden unsere Kinder vollgepumpt mit Ideologien, mit Frühsexualisierung, Gender-Mainstream, mit Political Correctness. Die 68er haben im Bildungssektor eine Kraterlandschaft hinterlassen, verbrannte Erde, eine zerbombte Kulturnation. Liebe Freunde, das ist der totale Krieg gegen das Volk der Dichter und Denker.“ In der Kritik dieser Passage ging es mitnichten um die Berechtigung dieses vernichtenden Urteils, sondern ausschließlich um die Nazi-Vokabel „totaler Krieg“ (aus der berüchtigten Sportpalastrede von Propaganda-Minister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943).
Apropos Goebbels. Erinnern Sie sich noch an Helmut Kohl, der, bevor er dank Gorbi zum „Kanzler der Einheit“ wurde, über den damaligen Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (von 03/1985 bis 08/1991) Michail Sergejewitsch Gorbatschow in einem Interview mit dem US-Magazin „Newsweek“ am 15. Oktober 1986 sagte: „Er ist ein moderner kommunistischer Führer, der sich auf Public Relations versteht. Goebbels, einer von jenen, die für die Verbrechen der Hitler-Ära verantwortlich waren, war auch ein Experte für Public Relations.“ Später sollen die beiden sogar Freunde geworden sein, was allerdings wohl eher in das Reich der Sagen und Märchen gehört, die man in der Politik gelegentlich antrifft.
Auch die Griechen sparten nicht mit Nazivergleichen
Auch die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin konnte der Versuchung eines Nazivergleich nicht widerstehen: „Mit einem Krieg gegen den Irak wolle Bush vor allem von innenpolitischen Problemen ablenken, habe Däubler-Gmelin bei einer Diskussion mit rund 30 Metallgewerkschaftern in Derendingen (Stadtteil von Tübingen) gesagt, berichtet das ‚Schwäbische Tagblatt‘. Solche Ablenkungsmanöver seien eine ‚beliebte Methode seit Adolf Hitler‘, zitiert die Zeitung die Ministerin weiter. Damit wolle sie jedoch unter keinen Umständen Bush mit Hitler vergleichen.“ So wie ich niemals auf die Idee käme, Frau Däubler-Gmelin als alte Quatschtante zu bezeichnen.
Aber nicht nur deutsche Politiker (jedweden Geschlechts) schwingen die Nazikeule. Auch im Ausland ist dieser Beitrag zur politischen Kultur durchaus beliebt. So hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Bundesrepublik wiederholt mit dem nationalsozialistischen Terrorstaat gleichgesetzt. Und auch die Griechen sparten nicht mit Nazivergleichen gegenüber Deutschland und seiner Kanzlerin.
Nun kann jeder von solchen Vergleichen halten, was er will. Nur eines ist klar: „Ob Erdogan, die Polen, die Griechen oder die Antifa – die Inflation der Nazivergleiche in der politischen Debatte nervt nur noch“, wie Dirk Schümer in der „Welt“ feststellte, ob sie nun hinken, kriechen oder auf der Stelle treten.