Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 29.10.2013 / 23:21 / 0 / Seite ausdrucken

Eine hohe Staatsquote verwandelt Europa in eine Zone des Nullwachstums

Am Montag veröffentlichte die europäische Statistikbehörde Eurostat ihre amtlichen Jahresdaten für die öffentlichen Finanzen der Europäischen Union. Bei oberflächlicher Betrachtung enthalten die Zahlen zumindest einige gute Nachrichten: das Defizit der Eurozone für 2012 betrug 3,7 Prozent des BIP. Das ist sicherlich recht hoch. Eigentlich zu hoch für die europäischen Verträge, die nur 3 Prozent neue Schulden pro Jahr gestatten. Aber zumindest ist es besser als die im Jahr 2011 verzeichneten 4,2 Prozent Defizit, von den 6,2 Prozent 2010 oder den 6,4 Prozent 2009 ganz zu schweigen.

Auf der anderen Seite sind die Eurostat-Daten nach wie vor niederschmetternd. Auch wenn das Defizit zurückgeht, so bedeutet selbst ein vermindertes Defizit jedoch, dass die Gesamtschuldenlast wächst. Von 2009 bis 2012 stieg die Schuldenquote für die Eurozone um 10 Prozentpunkte von 80 auf 90 Prozent. In absoluten Zahlen klingt das noch verheerender. Die öffentliche Verschuldung belief sich 2009 auf 7,1 Billionen €, 2012 dagegen auf 8,6 Billionen €.

Bei diesem Defizit handelt es sich natürlich um die Differenz zwischen staatlichen Einnahmen und staatlichen Ausgaben. Bei all dem Gerede um „Sparmaßnahmen“ könnte man ganz naiv annehmen, der Rückgang des Defizits sei einfach die Folge des Abbaus von Staatstätigkeiten.

Nun ja, nicht ganz.

Die staatlichen Ausgaben sind seit 2009 tatsächlich zurückgegangen. Damals entfielen in der Eurozone 51,2 Prozent der Wirtschaftsleistung auf den Staatssektor. Im Jahr 2012 war diese Zahl auf ‘nur’ 49,9 Prozent gesunken. Anders ausgedrückt, war die Eurozone nun lediglich 0,1 Prozent von einem halb sozialistischen Status entfernt.

Mit einer Verringerung der Staatsausgaben um 1,3 Prozentpunkte gingen ähnliche Erhöhungen der Staatseinnahmen einher: von 44,9 Prozent des BIP auf 46,3 Prozent des BIP, ein Zuwachs von 1,4 Prozentpunkten. Faktisch war also rund die Hälfte der Defizitverringerung in der Eurozone auf Einnahmeerhöhungen zurückzuführen, die andere Hälfte auf echte Kürzungen der staatlichen Ausgaben.

Eine Verringerung der Staatsausgaben um etwas über 1 Prozent des BIP über einen Zeitraum von vier Jahren kann kaum als radikales Sparprogramm durchgehen, vor allem dann nicht, wenn die Summe der Staatsausgaben annähernd 50 Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.

Das eigentliche Problem mit diesen Daten besteht in den darin erkennbaren Trends. Auch wenn es der Eurozone gelingen sollte, staatliche Ausgaben und Einnahmen einander anzunähern, wird dies auf sehr hohem Niveau geschehen. Am Ende dieses Defizitabbauprozesses werden beide Zahlen bei 48 Prozent oder 49 Prozent des BIP liegen. Das mag positiv für die Staatshaushalte sein und wird die Staatsverschuldung stabilisieren – es ist jedoch nicht das, was die Wirtschaft der Eurozone wirklich braucht.

Aus der Wirtschaftsgeschichte ist zu lernen, dass größere Staaten meist das Wirtschaftswachstum verlangsamen, obwohl bekanntlich schwer zu schätzen ist, um wie viel. Die Ergebnisse hängen nicht nur vom Anteil der Staatstätigkeit an der Wirtschaftsleistung ab, sondern auch von anderen sozialen und kulturellen Faktoren.

In einer Studie von 2011 suchten die schwedischen Wirtschaftswissenschaftler Andreas Bergh und Magnus Henrekson in der ökonomischen Literatur nach empirischen Untersuchungen, in denen der Zusammenhang zwischen der Größe des öffentlichen Sektors und dem Wachstum berechnet wurde. Ihre Schlussfolgerung: „In den jüngsten Studien wird eine signifikante negative Korrelation festgestellt: Eine Vergrößerung des öffentlichen Sektors um 10 Prozentpunkte ist mit einer um 0,5 bis 1 Prozent niedrigeren jährlichen Wachstumsrate verbunden.“

Die Bestimmung einer zur Maximierung des Wachstums optimalen Größe des Staatssektors ist noch schwieriger als die Berechnung der Wachstumsdifferenz zwischen verschieden großen Staaten. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass diese Differenz sicher nicht so groß ist wie in der Eurozone heute. Einige liberale Ökonomen wie James Gwartney, Mitautor des jährlichen Berichts Economic Freedom of the World, schätzen sie auf nur 15 Prozent des BIP. Andere, wie etwa der IWF-Direktor Vito Tanzi, setzen das Optimum bei rund 30 Prozent des BIP an.

Wenn Tanzi Recht hatte und wir davon ausgehen, dass je 10 Prozentpunkte Staatsausgaben eine jährliche Wachstumsdifferenz von z.B. 0,75 Prozent ausmachen, könnte die Eurozone durch Verkleinerung ihrer Staatssektoren zusätzliche 1,5 Prozent Wachstum im Jahr erzielen. Natürlich könnte (und sollte) das nicht über Nacht bewältigt werden. Wenn Europa jedoch ein stärkeres Wachstum seiner Volkswirtschaften wünscht, darf die Staatsquote keinesfalls so hoch bleiben wie zur Zeit.

Zusätzliche 1,5 Prozent Wachstum im Jahr klingt vielleicht nicht viel. Über längere Zeiträume erzielen solche Differenzen durch den Einfluss der Gesamtwachstumsrate jedoch beträchtliche Wirkungen. Ein Wachstum von 1 Prozent im Jahr führt nur zu 22 Prozent Wachstum innerhalb von zwei Jahrzehnten. Ein Wachstum von 2,5 Prozent dagegen steigert die Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum um 64 Prozent.

Ein wachstums- und wohlstandsfreundliches Klima zu schaffen, ist eine schwierige Aufgabe. Natürlich gehört dazu mehr als nur die richtige Bemessung der Größe des öffentlichen Sektors. Gesicherte Eigentumsrechte, stabile politische Institutionen und Vertragsfreiheit sind ebenfalls von Bedeutung.

Dennoch kann kaum ein Zweifel bestehen, dass zur Erschließung des europäischen Wachstumspotenzials ein erheblicher Abbau des Staates und seiner Aktivitäten erforderlich wäre. Das Unbehagen der Öffentlichkeit über die so genannten Sparmaßnahmen lässt bisher darauf schließen, dass eine solche Politik in Europa nicht gewünscht wird. Umgekehrt könnten wir, sofern solche Reformen politisch nicht durchsetzbar sind, damit rechnen, dass Europas Wirtschaftswachstum auch in Zukunft schleppend verlaufen wird – ganz gleich, ob den Staaten ein ausgeglichener Haushalt gelingt.

Demgegenüber bleibt die Steigerung der Wirtschaftsleistung der Eurozone der beste Weg zur Bewältigung ihrer Schuldenkrise. Das absolute Wachstum der Staatsschulden zu stoppen, geschweige denn diese zurückzuzahlen, ist illusorisch. Die Alternative muss daher sein, den Nenner in der Schuldenquotengleichung zu erhöhen. Dadurch könnte die Eurozone zumindest ihre akuten Schuldenprobleme bewältigen, indem sie aus ihnen hinauswächst.

Leider ist bei dem derzeitigen Kurs Europa damit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Big government makes Europe a no-grow zone’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 24. Oktober 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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