Eine Frage der Ehre?

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht die Rede von Bedrohungen wäre, denen Politiker im Netz ausgesetzt sind. Sogar auf der Bühne wurde bereits verlesen, welcher verbale Unflat sich in ihre Postfächer ergießt. Neben anderen zählte Iris Berben zu den Rezitatoren der Hamburger Veranstaltung. Dem Publikum sollte der Atem stocken, das ganze Land vor den persönlichen Angriffen erzittern. Auch als Cem Özdemir und Claudia Roth Anfang der Woche berichteten, dass sie abermals Morddrohungen von anonymen Absendern erhalten hätten, klang das, als wäre Deutschland in höchster Gefahr.

Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von einem „Angriff auf die freiheitliche Demokratie insgesamt“. „Politiker dürfen kein Freiwild werden“, sagte Konstantin Kuhle, Innenexperte der FDP. Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende der Grünen, forderte in der ARD den Aufbau einer „Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die zuständig ist vor allen Dingen für Hasskriminalität, rechtsextreme Hetze“. An derselben Stelle, in den Tagesthemen vom 4. November, verlangte Uli Grötsch, MdB und Mitglied des SPD-Parteivorstandes, dass „Vater Staat seine schützende Hand“ über die Politiker hält. Hier, bei 19:50

Und spätestens nun mag einem der Atem wirklich stocken. Muss doch der Staat seine schützende Hand über alle Bürger halten. Und dafür, dass er das tut, haben die Politiker zu sorgen. Dafür tragen sie Verantwortung; dafür werden sie gewählt. Bauschen sie dagegen ihre persönliche Bedrohung zu einer Gesellschaftskrise auf, erliegen sie einem grundsätzlichen Irrtum. Sie genießen keine Sonderrechte. Sie sind Staatsdiener, keine privilegierte Kaste.

Politiker leben gefährlich

Natürlich haben sie, wie jeder Bürger, Anspruch auf den Schutz ihrer individuellen Existenz durch Justiz und Polizei, nicht aber auf die präventive Abwehr von Anwürfen, wie primitiv, unverschämt und ordinär sie vielfach sein mögen. Wer sich für ein Leben in der Öffentlichkeit entscheidet, lebt nun mal en wenig gefährlicher als Lieschen Müller und der kleine Mann auf der Straße. Das hat inzwischen sogar Angela Merkel eingesehen. In einem Interview mit Spiegel Online sagte sie: "Ich ermuntere jeden, seine oder ihre Meinung zu sagen, Nachfragen muss man dann aber auch aushalten. Und gegebenenfalls sogar einen sogenannten Shitstorm. Ich habe das ja auch schon erlebt. Das gehört zur Demokratie dazu."

Selbst die "Influencer", die Dummbeutel der sozialen Netzwerke, werden im Internet angepöbelt, gar mit dem Tod bedroht, wenn einem User partout nicht gefällt, was sie ihm einreden oder verkaufen wollen.

Politiker waren dieser Unsicherheit schon immer ausgesetzt. Walther Rathenau, Reichsaußenminister der Weimarer Republik, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, John und Robert F. Kennedy, der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin: Sie alle wurden vor ihrer Ermordung massiv bis zur Todesdrohung angefeindet. Dass sie sich deshalb so melodramatisch in Szene gesetzt hätten wie die politischen Maulhelden unserer Tage, ist nicht überliefert. Das kann freilich auch mit dem Internet zu tun haben.

Anschwellend bis zur Peinlichkeit klagen sie über Beleidigung, Hass und Hetze. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie wenig sie auf die Würde der Bürger gaben, wenn sie größere Teil des Volkes als „Pack“ oder „eine Schande für Deutschland“ beschimpften, jammern sie über die Verletzung ihrer „persönlichen Ehre“. Bedenkenlos bemühen sie einen Begriff, der längst zuschanden geritten ist. 

Im Duell wurde die Ehre wiederhergestellt

Seine Etymologie, die Wortgeschichte, reicht weit zurück. Im christlichen Mittelalter kämpften die Ritter um der Ehre willen. Die Adligen schlugen sich noch jahrhundertelang dafür die Köpfe ein, je mehr, desto weniger sie zu sagen hatten. Fühlte sich ein Barönchen vom anderen gekränkt, kam es zum Duell, um „die Ehre wiederherzustellen“, tot oder lebendig. Das Bürgertum war davon seltener betroffen, weil nicht satisfaktionsfähig. Mit der pathetischen Aufwallung wussten die gebildeten Schichten ohnehin wenig anzufangen. 

In der modernen Gesellschaft verlor der Ehr-Begriff seine Bedeutung. Der Rechtsstaat machte ihn überflüssig. Statt seiner wurden Anstand und Vernunft hochgehalten. Wenn man das Wort überhaupt noch verwendete, war es auf Institutionen bezogen, auf des Amt des Bundespräsidenten zum Beispiel. Wer es indes persönlich verstand, lief Gefahr, sich lächerlich zu machen. 

Erst in in den letzten Jahren, mit der forcierten Zuwanderung aus archaisch geprägten Gesellschaften, ist die „Ehre“ wieder in Mode gekommen. Wann immer einigen der Zuwanderer aus dem arabischen Kulturkreis etwas gegen den Strich läuft, schwillt ihnen der Kamm. Sie fühlen sich „in ihrer Ehre verletzt“. Der Verletzer darf sich glücklich schätzen, bleibt es bei verbalen Wutausbrüchen, werden nicht gleich die Messer gezückt. 

Da aber das schlechte Beispiel bekanntlich schnell Schule macht, bestehen unsere wehklagenden Politiker jetzt ebenfalls darauf, dass ihr „Recht der persönlichen Ehre nicht eingeschränkt“ wird. Eine Privatisierung der Politik, bei der es darauf hinausläuft, die Bürger mundtot zu machen, indem man sich deren Mitleid erschleicht, durchaus scheinheilig.

Oder wer könnte sich etwa erinnern, dass Iris Berben auf die Bühne gegangen wäre, um Hass-Mails vorzutragen, die Hamed Abdel-Samad, Ahmad Mansour und Necla Kelek mit dem Tod bedrohten? In aller Stille wurden sie unter Polizeischutz gestellt; ansonsten gab es kein großes Aufhebens, keine Forderung nach dem Aufbau einer „Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die zuständig ist vor allen Dingen für Hasskriminalität, rechtsextreme Hetze“.

Freilich ging es da auch nicht um Cem Özdemir oder Claudia Roth und andere Hoheiten des politischen Status quo.

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Thomas Taterka / 08.11.2019

Das Wesen der Demokratie besteht ( ! ) im offenen, aber disziplinierten Streit darüber, wie eine Politik zu ändern ist, die nicht mehr den Frieden ALLER Bürger gewährleistet, die in diesem Land gesetzestreu , d.h. FREI leben wollen. Wer diese legitime Kritik als Ehrverletzung missversteht, muß sich den berechtigten Vorwurf gefallen lassen, daß er nicht ganz verstanden hat, im Auftrag welcher Regierungsform er eigentlich im Parlament sitzt. Deutschland hat bereits zweimal die Folgen dieser Anmaßung erlitten, im Nationalsozialismus und in der DDR und es ist allerhöchste Zeit , daß Politiker , die dieses Erbe der Selbstermächtigung zur demokratiezerstörerischen Macht sich noch einmal ins Gedächtnis rufen, bevor sie Anstalten machen, sich erneut an Teilen der Bevölkerung zu vergreifen, nur weil es ihnen peinlich ist, sich zur Diskussion über ihre eigenen Fehler zum Volk herabzulassen. Es ist ein grundsätzlicher und für das Land folgenschwerer Fehler, wenn sie sich anders verstehen denn als REPRÄSENTANTEN DES VOLKES und im Kern UNDEMOKRATISCH .

Rainer Hanisch / 08.11.2019

Ja, das muss ein Politiker eben aushalten. Schließlich hat die se “Elite” dafür gesorgt, dass in D derartige Zustände erst in diesem Ausmaß entstehen konnten. Sollen die mal selbst am eigenen Leib erfahren, was dem gemeinen Volk tagtäglich zugemutet wird. Und von dem erwartet wird, dass es sich damit abfindet. “Toleranz” genannt. Ist wohl bei den Grünen nicht so bekannt? Ansonsten wäre als Alternative der Ausstieg aus dem Politikerleben. Aber was sollen die dann machen, zu etwas Vernünftigen taugen sie doch kaum.

Robert Jankowski / 08.11.2019

Ferdinand Lassalle hatte zumindest soviel Eier, sich auf den Tod zu duellieren. Nicht schlau und ziemlich bürgerlich, aber immerhin. Diese “Eier” sehe ich momentan kaum auf der politischen Ebene, nur Rumgeweine und Geheule über böse Briefe. Nebenbei: Artikel zur Gewalt gegen Politiker erschienen diesen Spätsommer sowohl in der Zeit, als auch im Spiegel. Mit knapp 80% war die AFD dabei Spitzenreiter, in das Geheule der Grünen stimmen sie trotzdem nicht mit ein. Aber das ist wahrscheinlich einfach nur dem perfiden Plan geschuldet, sich als Opfer zu präsentieren.

Sven Kaus / 08.11.2019

Neonazis sind im Regelfall bescheuert. Daher sind ihnen auch Morddrohungen gegen Andersdenkende zuzutrauen. Außerdem haben u. a. der NSU-Terror sowie der Mord an Walter Lübcke und der antisemitische Anschlag in Halle gezeigt, dass Rechtsextremisten sehr wohl auch zur Tat schreiten. Andererseits fällt aber auf, dass Meldungen über anonyme Drohungen gegen Politiker zunehmend im Zuge des “Kampfes gegen Rechts” auftauchen. Da die angeblichen Drohungen namenlos oder unter Phantasienamen verschickt werden, ist bis zur hoffentlich baldigen Ermittlung und Bestrafung der Absender auch die Frage zulässig, ob es nicht mindestens in einigen Fällen gezielte Provokationen von anderer Seite sind. Wichtig ist immer die uralte Frage: Wem nützt es? Und gilt die Solidarität, die bedrohte Politiker zu Recht erfahren, auch Hoteliers und Gastwirten, die von der „Antifa“ bedroht oder sogar angegriffen wurden, weil sie Räume an die AfD vermietet haben?

Andreas Rühl / 08.11.2019

@ Herr Dollhopf: Vielen Dank für die Ergänzungen, spart mir Schreibarbeit. Wenn man den “Ehrbegriff” zurückführt auf seine eigentliche Quelle (Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, der “ehrbare Lebenswandel” und so weiter), wird deutlich, dass er nicht einer “finsteren Zeit” angehört und ganz bestimmt ein Leutnant Gustl ihn nicht für sich gepachtet hat. Die Ehrbarkeit eines Anwalts ist zum Beispiel das Vertrauen seiner Mandanten darauf, dass er ausschließlich die Interessen seiner Mandanten durchzusetzen versucht und sich dabei nicht von Interessen anderer, gar des Gegners, leiten lässt. Die Ehrbarkeit eines Bankiers besteht in dem Vertrauen, dass seine Kunden darin haben, dass er ihr Geld wie eigenes verwaltet, treu und verlässlich. Wer dem Anwalt Parteiverrat vorwirft oder dem Bankier Untreue, greift dessen Ehre an: denn für beide ist ihr “guter Ruf”, ihre Verlässlichkeit, schlicht die Grundlage ihrer beruflichen Existenz. Nichts anderes im Mittelalter: Wenn der Lehnsmann in Verruf geraten ist, nicht mehr dem Lehnsherrn “auxilio et consilio” leisten zu wollen, mithin seine “Treuepflichten” verletzt hat, drohte der Verlust des Lehens Was befürchten also die lamentierenden Politiker unserer Tage, dass ihnen die Macht und ihr Einkommen geraubt wird durch ein Post eines Stänkerers vom Wasserhäuschen Bornheim West? Oder haben wir es eher mit Leutnant Gustl zu tun? Oder fühlen sich die Damen und Herren vielleicht ertappt und entlarvt, nämlich, dass sie nicht ehrbar, nicht verlässlich, nicht treu sind? Zu verlieren hätten unsere Politiker jedenfalls nichts, wenn sie der Achtung wert wären, die sie von uns einfordern. Und genau da liegt das eigentliche Problem, nicht bei den Pöblern vom Wasserhäuschen Bornheim West.

M. Haumann / 08.11.2019

Wenn jeder AfD-Politiker oder -Wähler die zahllosen verübten Straftaten gegen ihre persönliche Ehre - gern auch durch die jetzt um ihre “Würde” besorgten Politiker - verfolgen würde, wären die Gerichte hier seit Jahren wegen Überlastung zusammengebrochen. Wer anderen die Ehre abschneidet, sitzt doch ziemlich im Glashaus, wenn das Vorbild um sich greift. Und Politiker sind nun einmal Vorbilder für die Bürger und sollen es ja auch sein. Man kann für unser Land nur hoffen, dass sich für die opportune Nichtbeachtung von Recht und Gesetz nicht auch noch viele Nachahmer finden. Was dann hier los wäre, möchten wir alle nicht erleben.

Steffen Rascher / 08.11.2019

Wenn jeder an sich denkt ist an alle gedacht. Heute las ich, wie Abgeordnete im Bundestag kollabiert sind. Nicht das mich das freut denn ich bin auch am Boden, aber mit 60 Jahren muss ich weitermachen, um all den Quark zu bezahlen, den mir eben diese Volksvertreter verschreiben. Die Antifanten standen schon vor meinem Haus, um mir ein wenig Angst zu machen. Ich hab es erst später begriffen. In Leipzig ist seit Jahren der infantile Teufel von der Leine gelassen worden. Leipzig nimm Platz, wir sind mehr, Gesicht zeigen und, und, und. Selbst die Kirche zieht hier mit. Gott zum Gruß ihr Amtschristen. Wer nicht mit hüpft, wird abgesägt und nicht gesegnet. Der Bischof wurde bereits aus dem Amt gejagt – er hüpfte wohl nicht richtig. Es ist ein Irrenhaus und der Fisch stinkt wie immer am Kopf zuerst. Jetzt hat der Kopf Angst. Uijuijui. Fragt mich mal jemand, wie es mir geht! Ach fragt mich nicht.

Matthias Braun / 08.11.2019

” Die Ehr’ ist nur ein unsichtbares Wesen, und oft besitzt sie der, der sie nicht hat.” ( William Shakespeare )

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