Chaim Noll / 01.11.2021 / 12:00 / Foto: Pixabay / 55 / Seite ausdrucken

Eine erschreckend harmonische Gründungssitzung

Der Deutsche Bundestag, so aufgebläht, bunt und jung wie nie zuvor, scheint zum größten Teil aus glücklichen Menschen zu bestehen. Schon wegen der für die nächsten vier Jahre – Krisenjahre höchstwahrscheinlich – gesicherten üppigen Bezüge. Die erste Zusammenkunft, live im Internet übertragen, vermittelte eine heitere, selbstzufriedene Stimmung. Claudia Roth, in Minirock und rosa Schal, wusste ihre weiß bestrumpften Beine in immer neuen verführerischen Posen anzuordnen. Auch andere ältere Damen hatten sich hübsch gemacht. Buntfarbige Jacketts überwogen, die dem magischen „Blazer“ der scheidenden Kanzlerin ähnelten. Und wie gut, dass die Frisöre wieder arbeiten dürfen. Bei den Männern dominiert Marineblau als Anzugfarbe, eine fesche Farbe: Hoffnung, strahlender Azur, frohgemut in See stechen...

736 Abgeordnete gehören dem neuen Bundestag an, fast schon eine Massenorganisation. Zu Beginn der Amtszeit Angela Merkels waren es noch 611. Wie ist die Zunahme um 125 Abgeordnete zustandegekommen? Und womit lässt sie sich begründen? Die deutsche Bevölkerung jedenfalls ist nicht im gleichen Maß angestiegen, trotz aller verzweifelten Importe. Die 125 neuen Parlamentarier bedeuten rund 60 Millionen mehr an Abgeordneten-Diäten für die nächste Legislaturperiode, dazu „Kostenpauschale“, Büros, Mitarbeiter, Reisespesen, Fahrdienste… Zum Vergleich: Das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten mit einer viermal so hohen Bevölkerung wie Deutschland hat nur 435 Mitglieder.

Die Stimmung in dieser Riesen-Runde ist erschreckend harmonisch. So sehr, dass die viel geschmähte „Alternative für Deutschland“ die einzige echte Opposition in dem ganz auf Konsens gestimmten Monster-Gremium zu sein scheint. Und daher unverzichtbar. Die 654 Abgeordneten der Konsens-Parteien konnten der AfD keinen größeren Gefallen tun, als sie schon am ersten Sitzungstag zu stigmatisieren. Besonders infantil ist die Weigerung mehrerer Parteien, im Plenarsaal „neben der AfD“ zu sitzen. Mein Schwiegervater erzählte mir einst, zu seiner Gymnasialzeit, Ende der Weimarer Republik, hätten sich die Kinder von Nazi-Anhängern geweigert, neben jüdischen Mitschülern zu sitzen. Ich will die AfD nicht in die jüdische Rolle schieben, aber die deutschen Abgeordneten daran erinnern, dass sie sich wie unbelehrbare deutsche Spießer benehmen, die immer irgendwen ausgrenzen und abstrafen müssen.

Auf Parteidisziplin eingestimmt und eingeschüchtert

Diesmal sind sehr viele junge Abgeordnete in das alte Reichstagsgebäude eingezogen, die deutschen Medien können es nicht genug hervorheben. „In den vergangenen Wochen ist viel über das junge neue Parlament geschrieben und berichtet worden“, stellt stern online befriedigt fest. Die Anhäufung von jungen Leuten führt aber nicht zu einer „Verjüngung“ im eigentlichen Sinn. Eher im Gegenteil. Den jungen Abgeordneten wird schnell klar gemacht, wie sie sich innerhalb ihrer Fraktionen zu verhalten haben. Sie werden auf Parteidisziplin eingestimmt und auf lustige Art eingeschüchtert.

Wie? Die Abgeordnete Annika Klose, 29 Jahre alt, Sozialwissenschaftlerin, freundliches Gesicht, ist neu im Bundestag. In welcher Fraktion, ist nebensächlich, die internen Verhaltensmaßregeln sind parteiübergreifend. Fabian Köster von der heute show des Zweiten Deutschen Fernsehens hat Annika Klose in einer kurzen Doku vorgestellt und bei dieser Gelegenheit auch Karl Lauterbach befragt. Wie der stern berichtet, wollte der Fernseh-Mann wissen, „was Annika Klose denn nun alles so beachten müsse. Lauterbach hat humorvolle Tipps: 'Hier schwimmt man mit dem Strom', scherzt er. Oder: 'Auch in der Sache begründete Kritik ganz sparsam. Gerade in den ersten Jahren.' Zu Idealen in der Politik rät Lauterbach mit einem Augenzwinkern: 'Ideale darf man haben, das ist gar nicht das Problem. Man darf sie nicht zeigen.'“

Ist das wirklich humoristisch gemeint? Eigentlich kennen wir Karl Lauterbach als bitterernsten Menschen. Als unerbittlichen Corona-Apostel und Verfechter von Maßnahmen zur Disziplinierung seiner Mitmenschen. Er ist nicht wirklich das, was man einen Spaßvogel nennt. Ich fürchte, seine Ratschläge an Annika Klose sind so ernst gemeint wie all die Restriktionen, Verbote und Hinweise, die wir von Lauterbach kennen. Es gibt Scherze, die nur die camouflierte bittere Wahrheit sind. Mit dem Strom schwimmen, möglichst keine Kritik üben, Ideale, falls man welche hat, verleugnen, vor allem, wenn man jung ist und es zu etwas bringen will... Haben es die jungen Leute nicht längst verinnerlicht, darauf getrimmt in politisch korrekten Gymnasien, an geistig verödeten Universitäten, in unteren Parteigremien, ehe sie überhaupt zur Wahl nominiert wurden?

Und was können wir von einem Parlament erwarten, das zu neunzig Prozent aus Jasagern und Mitläufern besteht? Die Gründungssitzung dieses Bundestages war, wie gesagt, von erschreckender Harmonie. Erschreckend deshalb, weil sie nicht den wirklichen Stimmungen in der deutschen Bevölkerung entspricht. Da braut sich manches zusammen an Unmut und Verzweiflung, in der Stille, in verordnetem Verstummen und echter Not, was in diesem Parlament kaum noch eine Entsprechung findet. Und wenn, dann ganz am Rand. Dort, wo keiner sitzen will.

Foto: Pixabay

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Ulrich Ziller / 01.11.2021

Lauterbach hat ausnahmsweise mal die Wahrheit gesagt. Mit dem Strom schwimmen, nicht anecken, aufpassen, dass die eigene Meinung identisch mit der Mehrheitsmeinung ist.  Das ist nicht nur in der Politik, sondern in unserer gesamten Gesellschaft der Erfolg für Karriere und und Anerkennung Querdenken, auch außerhalb von Coronazeiten, ist nicht angesagt.  Dabei hat unsere gottgleiche Kanzlerin, dem   ehemaligen MP von Sachsen, Kurt Biedenkopf, attestiert, daß er großes für das Land geleistet habe, weil er “quer gedacht habe”. So ändern sich die Zeiten.

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